XVI.

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Raphael hatte sich gerade umgedreht und wollte schon loslaufen, da rief Simon ihm nach:  ,,Warte!"  Der Ältere zog eine Augenbraue hoch, als er sich umdrehte und fragte: ,,Was?"  ,,Ich wollte nur . . . Es tut mir ehrlich leid." sagte der Frischling.   ,,Ich wollte nicht, dass du wegen mir Schwierigkeiten bekommst."  Raphael verdrehte die Augen.  ,,Aber Clary-"  ,,Nein." fiel Simon ihm ins Wort.  ,,Nein, kein 'aber'. Es tut mir leid. Alles." Raphael antwortete nichts, für einen Moment sah er ihn einfach nur an.  ,,Okay." sagte er schließlich. Simon sah ihn verwirrt an.  ,,Okay?"  ,,Ja, okay."  ,,Okay."   ,,Ich nehme an, du möchtest wieder ins Hotel einziehen?" fragte Raphael, doch Simon schüttelte zu seiner Überraschung leicht den Kopf.  ,,Ich brauch mal 'n bisschen Abstand." meinte er.  ,,Du weißt schon, einen Ort, wo ich mich zurückziehen kann, allein sein kann." Raphael nickte.  ,,Okay."  ,,Okay."  ,,Dann, eine schöne Nacht noch." verabschiedete der Ältere sich.  ,,Danke, gleichfalls."  ,,Danke."  ,,Okay."  ,,Okay." 

Wieder im Hotel ging Raphael sofort in sein Büro, wo er Jakob, jemand aus dem Clan, anrief und ihm mitteilte, dass er und die Anderen die Suche beenden konnten. Gerade als er aufgelegt hatte, klopfte es an der Tür.  ,,Ja?" Lily betrat fröhlich sein Büro, in ihren Händen zwei Bloody Marys. Raphael hatte sie unterwegs angerufen und ihr alles erzählt, weshalb ihn das strahlende Lächeln auf den roten Lippen, der schwarzhaarigen Vampirin nicht weiter verwunderte.  ,,Endlich!" seufzte sie und schloss die Tür mit einem Tritt.  ,,Da kann ich dir nur zustimmen." entgegnete Raphael, zog sein Jackett aus und hängte es über die Stuhllehne. Mit den Drinks setzte Lily sich gegenüber von ihm an den Schreibtisch und meinte:  ,,Du hast vorhin am Telefon etwas von 'Simon hat sich entschuldigt' gesagt." Und sie hatte recht; genau das war Raphaels exakter Wortlaut gewesen, bevor er sich schnell verabschiedet und aufgelegt hatte. Doch seine langjährige und neugierige Freundin wollte natürlich mehr wissen.  ,,Na los, Details!" forderte sie, woraufhin Raphael nur die Augen verdrehte.  ,,Da gibt es keine erwähnenswerten Details." erwiderte der Latino.  ,,Wenn ich mich recht erinnere, bestand neunzig Prozent unserer Konversation aus dem Wort 'Okay.' ." Lily lachte.  ,,Und die restlichen zehn Prozent?"  ,,Simon meinte, er wolle eine Zeit in diesem Bootshaus am Jade Wolf leben." erklärte Raphael und nippte an seinem Drink.  ,,Es sagt, er braucht Abstand, Zeit für sich und so weiter."  ,,Kann ich gut verstehen," meinte Lily.  ,,aber es wäre besser, er würde hier leben. Je früher er sich in den Clan intigriert, desto besser ist es für ihn." Raphael nickte und beugte sich etwas nach vorne, um nach seinem Handy zu greifen, da packte Lily ihn am Arm und zog ihn in ihre Richtung.  ,,Was ist das?" fragte sie, als sie sein Hemd beiseite schob und sich die riesigen Narben ansah. Ihre Stimme hatte etwas ernstes bekommen, einen eisigen Unterton. Ruckartig riss Raphael sich aus ihrem Griff los und setzte sich zurück.  ,,Nichts." sagte er nur, doch die Vampirin war schon aufgestanden und setzte sich vor ihn auf die Tischplatte.  ,,Lüg mich nicht an!" erwiderte sie.  ,,Ich kann sehen, wenn du mich anlügst." Raphael seufzte, ehe er schließlich meinte:  ,,Es geht mir gut."  ,,Du hast also keine Schmerzen?"  ,,Nein." Lily beugte sich kurzerhand nach vorne und drückte ihre Finger fest auf die Verletzung. Sofort zischte Raphael auf und zuckte zurück, woraufhin die Ältere nur die Arme verschränkte und eine Augenbraue in die Höhe zog.  ,,Ich höre." Raphael zögerte einen Moment, erzählte dann aber, was passiert war:  ,,Der neue Leiter des örtlichen Instituts dachte, ich würde wissen, wo Camille ist. Er hat versucht es mit Folter aus mir herauszukriegen, was natürlich nicht klappte. Ich bin zu Magnus gegangen, damit er sich um  die sichtbaren Wunden in meinem Gesicht kümmert. Ich wollte ihm nicht noch mehr Arbeit machen." Langsam beugte Lily sich nach vorne und griff nach Raphaels Hemd, dieser jedoch hielt sofort ihre Hand fest.  ,,Raphael." sagte die Schwarzhaarige sanft. Der Vampir zögerte einen Moment, ließ schließlich jedoch ihre Hand los. Sie knöpfte das Hemd auf und schob den Stoff beiseite, um sich die Narben näher anzusehen. Es schmerzte, als sie vorsichtig eine berührte, doch Raphael biss die Zähne zusammen und ließ sich nichts anmerken. Da klopfte es an der Tür. Schnell knöpfte Raphael sein Hemd zu, stand auf und rief:  ,,Herein." Die Tür öffnete sich und Simon steckte den Kopf in den Raum.  ,,Stör ich?" fragte er, doch noch bevor Raphael antworten konnte, sprang Lily vom Schreibtisch, lief auf ihn zu und meinte:  ,,Nein, nein. Im Gegenteil, wir freuen uns, dich zu sehen. Was gibt es denn?" Langsam trat Simon in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Er räusperte sich, ehe er anfing, sich zu erklären:  ,,Also, i-ich . . . Ich weiß nicht genau, wieso ich das Bedürfnis hatte, es euch mitzuteilen, aber ich . . . ich will wieder Zuhause einziehen."  ,,Ach, ist das Bootshaus auf einmal doch nicht mehr gut genug?" fragte Raphael mit einem spöttischen Unterton.  ,,Meine Mom vermisst mich." erwiderte Simon daraufhin etwas gereizt.  ,,Außerdem hab ich mir schon ein paar Ausreden ausgedacht. Das einzige, was ich noch brauche, ist etwas Blut. Also, ich geh dann mal runter in die Küche und nehme was von dem Kuhblut, wenn das in Ordnung ist."  ,,Sicher ist es das." erwiderte Lily.  ,,Obwohl es wirklich besser wäre, wenn du hier bleiben würdest."  ,,Sie hat recht." stimmte Raphael ihr zu.  ,,Es ist gefährlich, in deinem Stadium mit Mundis zusammenzuleben; egal, wie viel wir trainiert haben."  ,,Ich schaff das schon." meinte Simon nur, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg. 

Doch schon am nächsten Tag bekam Raphael einen Anruf. Müde rieb er sich durchs Gesicht und nahm ab.  ,,Santiago." grummelte er, woraufhin sofort eine aufgeregte Stimme antwortete: ,,Raphael, ich hab ein Problem." Er wusste sofort, wer am Telefon war.  ,,Was ist denn jetzt schon wieder, Frischling?"  ,,Meine Schwester hat das Blut gefunden." erzählte er.  ,,Sie hat es im Klo runter gespült. Und ich krieg langsam Hunger."  Raphael setzte sich im Bett auf und seufzte.  ,,Okay, reiß dich zusammen, verstanden? Heute Abend kannst du vorbeikommen und dir neues holen." Er sah auf die Uhr; 14 : 26 Uhr.  ,,Sobald es dämmert kannst du dich auf den Weg machen."  ,,Sobald es dämmert?!" Simon klang nun noch aufgebrachter.  ,,Ja, sobald es dämmert!" erwiderte Raphael jedoch kalt.  ,,Ich meine, du kannst es auch jetzt schon versuchen, aber dass Sonnencreme dich vor diesem Sonnenbrand bewahrt, wage ich zu bezweifeln."  ,,Raphael, es muss doch möglich sein, mir Blut zu beschaffen!"  ,,Es ist Tag, Frischling!" sagte der Ältere nachdrücklich.  ,,Ich weiß, dass es Tag ist!" rief Simon in das Telefon, beruhigte sich jedoch schnell wieder und senkte die Stimme.  ,,Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch unter Kontrolle habe, okay?!"  ,,Darüber hättest du vorher nachdenken sollen!" Damit legte Raphael auf. Das Klopfen, das er kurz zuvor gehört hatte, realisierte er erst in diesem Moment. 

Als der Latino das nächste Mal aufwachte, klingelte erneut sein Handy. Wieder war es Simon und wieder begann er mit dem Satz: 'Raphael, ich hab ein Problem.' Das einzige, was sich verändert hatte, war die Uhrzeit; 18 : 55 Uhr.  ,,Was?!" fragte Raphael mies gelaunt. Doch Simons nächster Satz traf ihn, wie eine Ladung eiskaltes Wasser ins Gesicht und er war augenblicklich hellwach.  ,,Wie bitte?!" knurrte er.  ,,Meine Mom hat gesehen, wie ich eine Ratte ausges-"  ,,Ich hab gehört, was du gesagt hast!" fiel Raphael ihm ins Wort.  ,,Nur deine Mutter?"  ,,Ja." antwortete Simon und der Ältere konnte deutlich die Nervosität in seiner Stimme hören.  ,,Okay, sorg dafür, dass sie das Haus nicht verlässt. Ich bin sofort da."

Als er in Simons Elternhaus ankam, meinte Simon, seine Mutter würde im Wohnzimmer sitzen. Daraufhin nickte Raphael kurz und sagte:  ,,Wo ist dein Zimmer? Ich will mit dir reden." Nach kurzem Zögern zeigte Simon dem Älteren sein Zimmer, wo Raphael sich erst einmal umsah.  ,,Du warst wie lange Zuhause? Einen Tag? Und schon schaut dir ein Mundi beim Essen zu?" fragte er und ließ sich auf Simons Schreibtisch nieder.  ,,Ich hab sie wohl kaum darum gebeten!" erwiderte der Frischling.  ,,Außerdem wäre ich nicht in dieser Lage, wenn du mir das Null Negativ gebracht hättest."  ,,Seh' ich wie dein Laufbursche aus?" warf der Ältere ein.  ,,Raphael, ich hab keine Ahnung, was sie vorhat!" Erneut wurde Simon panisch.  ,,Du musst mir helfen." Raphael seufzte.  ,,Klingt, als hätte ich keine Wahl, oder?" Er stand auf und fügte hinzu:  ,,Aber das hat Konsequenzen, Amigo." Mit einem festen Klaps auf die Schulter ging er Richtung Tür.  ,,Was meinst du mit 'Konsequenzen'?" fragte Simon, woraufhin Raphael sich nur nochmal kurz umdrehte, ehe er in den Flur verschwand. 

Nachdem er Simons Mutter alles vergessen gelassen hatte, schickte er sie ins Bett, damit sie sich etwas ausruhte. Zurück in Simons Zimmer saß er der Frischling nervös und hibbelig auf dem Bett.  ,,Sie weiß nichts mehr." sagte Raphael.  ,,Sie kann sich weder an den Vorfall mit der Ratte erinnern, noch dass du wieder hier eingezogen bist. Sie ist der Meinung du seist mit deiner Band auf Tour."  ,,Das heißt, ich muss wieder ausziehen?" fragte der Jüngere und erhob sich mit einem frustrierten Blick von seinem Bett.  ,,Wie gesagt," erwiderte Raphael.  ,,das hat Konsequenzen." 

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