XVIII.

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,,Er lebt in einem heruntergekommenen Schuppen, schläft in einem Boot und geht mit einem Köter aus, na super!"  Raphael rieb sich durch die Augen, als Lily sich auf der Kante seines Schreibtisches niederließ. ,,Kanu." ,,Was?" Raphael sah verwirrt auf.  ,,Er schläft in einem Kanu." grinste Lily. ,,¡Oh, cállate!" Da klopfte es an der Tür und eine blonde Vampirin kam herein. ,,Was gibt es, Rose?"  ,,Unten steht ein Shadowhunter." meinte sie. Raphael seufzte. ,,Kümmert ihr euch darum." Kaum dass sich die Tür wieder geschlossen hatte, drehte Lily sich zu ihrem Clanführer um und fragte: ,,Sicher, dass das eine gute Idee ist?"  ,,Ich hab gerade keine Nerven für Shadowhunters."  ,,Ja, aber du kennst doch Rose!" Leise auf spanisch fluchend stand Raphael auf und ging hinunter zum Hintereingang. Schon von der Tür aus konnte er Rose hören: ,,Du bist schnell, aber nicht schnell genug." ,,Vergiss das Gift." erwiderte eine weibliche Stimme, die Raphael bekannt vorkam. ,,Zu spät, meine Hübsche." Gerade als Rose die Shadowhunter angreifen wollte, packte Raphael sie an der Schulter und zerrte sie nach hinten. Nun konnte er auch sehen, wer besagter Shadowhunter war: Isabelle Lightwood. ,,Lasst den Shadowhunter frei!" forderte er. ,,Das ist ein Befehl." Widerwillig gingen die anderen Vampire zurück ins Haus. Gerade wollte Raphael fragen, was in Gottes Namen Isabelle hier tat, doch da schienen ihre letzten Kräfte sie zu verlassen und sie kippte um. Ohne groß darüber nachzudenken, fing Raphael sie auf. Erst da bemerkte er das Zittern ihrer Hand. ,,Ich dachte, du hasst mich." riss Isabelle ihn aus seinen Gedanken. ,,Ist eher 'ne intensive Abneigung." erwiderte Raphael. ,,Und wieso hilfst du mir dann?" ,,Keine Ahnung." Isabelles Augenlider fielen zu und ihr Körper wurde schlaff. Etwas hilflos stand Raphael einen Moment da, ehe er das Mädchen hochnahm und auf einem alten Fahrzeug absetzte. Da fing sie plötzlich heftig an, zu zittern. ,,Der Schmerz, er ist überall." ,,Was dachtest du, wie Yin Fen bei dir wirkt?" erwiderte Raphael, versuchend seine kühle Maske beizubehalten. ,,Ich brauch was . . . Damit es aufhört!" Raphael weigerte sich, doch Isabelle bettelte immer weiter. ,,Ich schwöre, ich frag nie wieder danach!" Schließlich gab Raphael nach und meinte: ,,Nur dieses eine Mal." Der Vampir sah kurz Richtung Himmel und murmelte: ,,Vergib mir.", ehe er seine Fänge in den Arm der Schattenjägerin schlug. Er wollte sich zurückhalten, doch in dem Moment, als das Blut seine Zunge berührte, war es um ihn geschehen. Die Macht des Engelsbluts vernebelte seine Sinne und gab ihm das Gefühl, dass es ihm besser ging. Er verfiel in einen Rausch und mit jedem Tropfen fühlte er sich besser, stärker, mächtiger. Es kostete ihn so viel Anstrengung, wie lange nicht mehr, sich wieder von ihrem Arm zu lösen. Er taumelte rückwärts und stieß schließlich mit einem dumpfen Knall gegen die Wand, des Gebäudes. ,,Geh!" rief er. ,,Verschwinde von hier!" Auf wackeligen Beinen ging Isabelle. Raphael musste kurz durchatmen. Alle seine Sinne schrien ihm zu, er solle sie verfolgen, sie jagen und seinen Hunger stillen, doch er ignorierte sie. Als er sich umdrehte, um zum Hotel zurückzukehren, sah er Lily dort stehen. Sie hatte die Arme verschränkt und eine strenge Miene aufgesetzt. ,,Du bist unmöglich!" meinte sie. Doch Raphael schenkte ihr nur ein sarkastisches Lächeln und giftete: ,,Nenn es einfach einen One-night-Stand."  ,,Einen gefährlichen One-night-stand."

Doch schon ein paar Nächte darauf bekam Raphael eine Feuernachricht. Sie war etwas unverständlich; ein Gewirr aus 'Ich brauche deine Hilfe' und 'Wir müssen reden'. Als er sah, dass die Nachricht von Isabelle war, entschied er sich, Lily nichts davon zu sagen und einfach zu der Straße zu gehen, wo Isabelle ihn hinbestellt hatte. Er lief gerade um die Ecke, da tauchte sie vor ihm auf. Er setzte schon zum Sprechen an, da wirbelte die Shadowhunter vor ihm plötzlich herum und sah ihn erschrocken an. Als sie jedoch erkannte, wer vor ihr stand, lächelte sie matt. ,,Entschuldige." sagte sie. ,,Bin nur etwas nervös."  ,,Das ist der Giftentzug." erwiderte Raphael. ,,Schwächt die Nervenenden."  ,,Nein, mir geht's gut." Isabelles Stimme klang nun fester, selbstsicherer. Doch Raphael wusste, dass es nur Show war. ,,Wieso hast du mich hergerufen?" fragte er, während sie durch die Straße liefen. Da hielt Isabelle plötzlich an und meinte: ,,Dein Biss . . . Es war so intensiv, aber dann-" ,,Vampirgift ist viel stärker, als Yin Fen." erklärte der Ältere und lief weiter. ,,Es lässt aber auch schneller nach. Deshalb war das eine einmalige Sache. Und das hab ich auch gesagt." Erneut stellte das Mädchen sich ihn in den Weg. ,,Ich weiß." meinte sie. ,,Bitte! Ich hätte dich nicht hergebeten, wenn das kein Notfall wär. Meine Mutter ist hier. Sie darf mich auf keinen Fall so sehen!" Raphael lachte freudlos auf. ,,Hast du keine bessere Entschuldigung?" ,,Das ist keine Entschuldigung!"  ,,Entschuldigung, Rechtfertigung; nenn es wie du willst." Er ging an ihr vorbei und weiter die Straße entlang. ,,Befolg lieber meinen Rat, Isabelle." rief er über die Schulter. ,,Schwitz es aus, solange du noch kannst."  ,,Du verstehst das nicht!" ,,Ich versteh es sehr gut." erwiderte Raphael und drehte sich zu der Jüngeren um. ,,Du kannst es schaffen. Du bist eine der stärksten Shadowhunter, die ich kenne." Doch Isabelle schüttelte den Kopf. ,,Nein, bin ich nicht." erwiderte sie. ,,Jeder denkt das, aber das stimmt nicht." Raphael sah dem Mädchen vor ihm in die Augen und da erkannte er es. Es ging ihr schlecht; und das nicht nur wegen des Entzugs. Da war eine Verletzung tief in ihrer Seele. Etwas, das sie dazu gebracht hatte, überhaupt mit Yin Fen anzufangen. Langsam fuhr er mit seiner Hand durch ihr schwarzes Haar, da holte ihre Stimme ihn wieder aus seinen Gedanken: ,,Nur ein Tropfen." bat sie. ,,Bitte!"  ,,Shadowhunterblut ist viel kräftiger, als Menschenblut." erwiderte Raphael. ,,Okay?! Ich kann nicht!" Doch da rammte Isabelle sich einen ihrer scharfen Fingernägel in den Arm und fuhr damit durch ihre Haut. Beim Geruch ihres Blutes brachen Raphaels Fangzähne fast schon schmerzhaft durch sein Zahnfleisch. Er taumelte rückwärts, doch Isabelle ließ sich nicht unterkriegen. Sie drückte ihm ihre blutigen Finger auf die Lippen und murmelte: ,,Sicher kannst du." Zitternd leckte er sich das Blut von den Lippen und bei ihrem letzten 'Bitte!' konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Er schloss seine Hand fest um ihren Arm und bohrte seine Fänge tief in ihr Fleisch, während er immer wieder von ihr trank.

Nachdem er sich endlich wieder unter Kontrolle hatte, erzählte er Isabelle von seiner Vergangenheit und verklickerte ihr, dass sie das restliche Gift aus ihrem Organismus bekommen sollte. Im Hotel ordnete er dann an, dass kein Shadowhunter das Gebäude ohne seine Kenntnis betreten dürfe. Lily sah ihn skeptisch an, sagte aber nichts. Sie wusste offensichtlich, was los war, ließ es jedoch auf sich beruhen. Gerade als sie wortlos gehen wollte, packte Raphael sie am Arm und fragte: ,,Sagst du Simon bescheid, dass er Isabelle nicht beißen soll?"  ,,Ich glaube, er hätte kein Problem damit, wenn du es ihm selbst sagst." erwiderte Lily. ,,Er ist viel besser drauf, jetzt da er mit seiner Shadowhunter Freundin zusammen ist." Raphael zog die Augenbrauen zusammen. ,,¿Qué?" knurrte er.  ,,Sag bloß, du hast es noch nicht gehört?!" meinte Lily mit einem spöttischen Unterton. ,,Simon und Clary sind das Nummer eins Gesprächsthema bei den Anderen. Die meisten machen sich Sorgen, dass er uns Schwierigkeiten bei den Shadowhuntern beschert." Ohne ein weiteres Wort ließ Raphael ihren Arm los und machte sich auf den Weg. ,,Wo willst du denn hin?" Er antwortete nicht.

Er zog sich gerade eine teure Lederjacke über, da bekam er eine Feuernachricht. Es war Isabelle.

Hey, Raphael.
Ich wollte fragen, ob ich vielleicht vorbeikommen könnte. Und keine Sorge, ich komme nicht für einen Biss. Um ehrlich zu sein, wollte ich dich wiedersehen. Es war ein harter Abend und ich hätte wirklich gerne jemanden zum Reden. Ist das in Ordnung?

~xoxo Isabelle Lightwood

Nach kurzem Zögern akzeptierte er und er fing an, sich mit Isabelle zu treffen. Anfangs passierte nicht viel, sie redeten, lachten und hin und wieder kuschelten sie. Doch das blieb nicht lange so. Raphael fing erneut an, sie zu beißen. Zuerst fühlte er sich schuldig, je mehr Blut er jedoch bekam, desto mehr vernebelte sein Verstand und irgendwann fühlte es sich richtig an. Er fühlte sich gut, wenn er mit Isabelle zusammen war. Er mochte sie wirklich. Die Gefühle für Simon verschwanden jedoch nie ganz. Aber das Engelsblut ließ ihn wenigstens für ein paar Momente seine Sorgen vergessen.

Doch natürlich kam irgendwann der Tag, an dem Alles aus dem Ruder lief. Er lag gerade mit Isabelle auf der roten Couch in seiner Suite, als plötzlich der Wachmann an der Tür in den Flur trat und laut etwas rief. Raphaels Verstand war zu benebelt, um irgendwas zu realisieren. Erst als die schemenhafte Gestalt vor ihm zum Schlag ausholte, fing er langsam an, aufzuwachen. Jedoch war er nicht schnell genug, um den Schlag abzuwehren, der ihn in hohem Bogen von der Couch beförderte. Der Schmerz ließ Adrenalin durch seine Adern sausen und seine Vampirsinne waren auf einen Schlag hellwach. Fast schon automatisch kam er sofort wieder auf die Beine und sah nun auch, wer vor ihm stand. Es war Isabelles älterer Bruder. ,,Alec?!" Isabelle klang genauso überrascht, wie Raphael selbst. ,,Bleib bloß weg von ihr!" rief Alec und drehte sich gerade um, um mit Isabelle zu gehen. ,,Du verstehst nicht! Aldertree hat sie von Yin Fen abhängig gemacht." erklärte Raphael sich. Mit einem schockierten Ausdruck drehte Alec sich wieder zu ihm. ,,Was?" ,,Es ist die Wahrheit!" erwiderte der Vampir. ,,Ich wollt ihr nur helfen." ,,Indem du ihr Blut trinkst?!" Erneut holte Alec zum Schlag aus, doch diesmal war Raphael schneller. Er wehrte den Schlag ab und brachte den Shadowhunter unsanft auf die Knie. ,,Mit dem Blut hat's vielleicht angefangen, aber es ist komplizierter, okay?! Sie ist mir wichtig!" Mit einem gefährlich ruhigen Blick sah der Jüngere zu ihm auf.  ,,Was sagst du da?" knurrte er. Raphaels Blick wanderte zu Isabelle, die noch immer etwas desorientierd auf der Couch saß. ,,Ich . . . Ich hab Gefühle für sie." sagte er langsam, ihre Reaktion abwartend. Erst schien sie verwundert, dann erstaunt, dann wanderte ihr Blick zu ihrem Bruder. ,,Lass ihn los, Raphael!" forderte sie. Und genau das tat er. Er ließ von Alec ab und nahm jeden Schlag hin, den der Shadowhunter ihm verpasste, bis Magnus auftauchte und ihn aufhielt.

In The ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt