Raphael saß aufrecht in seinem Bett. Er konnte einfach nicht schlafen, so sehr er es auch versuchte. Diese ganze Sache bereitete ihm Bauchschmerzen. Er konnte verstehen, dass es frustrierend war, einfach abwarten zu müssen, aber Isabelle hatte Recht; es war klüger, zuerst mehr Informationen zu sammeln. Die Augenbrauen angespannt zusammengezogen, griff er in seine Hosentasche und holte das goldene Kreuz hervor. Er betrachtete es eine Weile, drehte es in den Fingern und spielte damit. Er dachte an seine Familie; An seine Mutter, seine Brüder, seine Schwester, Lily, den Clan und auch an Simon. In Gedanken versunken sah er zu, wie der goldene Anhänger das Licht der Lampe spiegelte, als plötzlich die Tür seines Zimmers aufgerissen wurde. Lily kam hektisch herein gestürmt. Ihr schwarzes Kleid war verrutscht und hatte einen Riss, auch ihre Haare waren unordentlich. ,,Die Koordinaten sind weg." sagte sie mit harter Stimme. ,,Und rate mal, wer sie geklaut hat. Dein kleiner Tageslichtler und seine Hybriden-Freunde!" ,,Was?!" So schnell er konnte stand Raphael vom Bett auf, steckte die Kette zurück in seine Hosentasche und holte sich ein Shirt. Auch wenn die Informationen und ihre Bedeutungen noch nicht ganz bei ihm angekommen waren, gab es keinen Zweifel daran, wie ernst die Situation war. Lily nannte nie Jemanden bei einem solch verallgemeinerndem Spitznamen, es sei denn, sie ist wirklich wütend. ,,Eine dieser Hybriden hat versucht mich abzulenken, doch als ich es bemerkt habe, war es schon zu spät. Simon und die Hybriden haben anscheinend die Koordinaten gestohlen. Wahrscheinlich sind sie gerade auf dem Weg, um diese Shadowhunter zu bekämpfen. Allein." Frustriert schlug Raphael die Tür seines Schranks zu. ,,Simon, du naiver Idiot!" Er atmete kurz tief durch, um sich zu beruhigen. Er musste klare Gedanken fassen. ,,Wir sollten die Shadowhunter holen und-" ,,Ich habe Magnus und seinen Mann bereits aufgeweckt. Er trommelt den Rest zusammen." fiel Lily ihm ins Wort. ,,Wir treffen uns in meinem Büro. Zieh dir was an und dann komm." Damit ging sie und ließ die Tür etwas unsanft ins Schloss fallen. Doch Raphael hatte andere Pläne. Er wollte zuerst selbst mit Simon reden. Es dauerte drei Anrufe, bis dieser endlich abnahm. ,,Raphael, hör zu. Ich weiß, dass du sauer bist-" fing Simon direkt an, doch Raphael wollte davon nichts hören. ,,Wo bist du?" ,,Naja, das ist etwas kompliziert-" ,,Simon, wo bist du?" fragte der Ältere nun mit etwas mehr Nachdruck. ,,Weißrussland." Den schuldbewussten Ton in Simons Stimme überhörte Raphael vor Schock glatt. ,,Russland?!" ,,Weißrus-" ,,Wie zur Hölle seid ihr dorthin gekommen?!" Simon erklärte, wie sie an die Koordinaten gekommen waren, sich Waffen geholt hatten, einen Hexenmeister fanden, der sie nach Weißrussland portalierte und ein paar neue etwas unauffälligere Autos gemietet hatten. ,,Bist du eigentlich vollkommen übergeschnappt, Simon?! Hast du irgendeine Ahnung-" ,,Wie gefährlich diese ganze Aktion ist?!" fiel Simon ihm überraschend laut ins Wort. ,,Ja! Mir ist vollkommen bewusst, was für eine Schnapsidee das war. Aber was hätten wir denn tun sollen?! Zuhause rumsitzen und diesen Mistsäcken Zeit geben, noch mehr Schaden anzurichten? Das konnten wir einfach nicht! Und ich kann wirklich nicht verstehen, wie du das kannst!" Ohne ein weiteres Wort legte Simon auf und als Raphael ihn zurückrufen wollte, bekam er nur die Mailbox zu hören. ,,Verdammt, Simon!"
Als Raphael die Tür zu Lilys Büro öffnete, hatten sich die Anderen bereits um ihren Schreibtisch versammelt. ,,Sie haben sich von einem Hexenmeister nach Weißrussland portalieren lassen." erzählte der Latino. ,,Danke, Raphael." sagte Isabelle mit fester Stimme. ,,Wir werden sie zurückholen, bevor-" ,,Nein." fiel Raphael ihr ins Wort. Die Anderen starrten ihn verwundert an. ,,Die Hybriden haben recht: Wir müssen etwas tun, bevor es zu spät ist oder sie merken, dass wir ihnen auf der Spur sind. Wir werden ihnen helfen." Doch Alec schüttelte den Kopf. ,,Nein." sagte er. ,,Ausgeschlossen. Es ist zu gefährlich. Wir müssen warten-" ,,Auf was?" fragte RAphael mit erhobener Stimme. ,,Bis der Feind zur Tür hereinspaziert und sich ergibt? Auf was willst du noch warten, Lightwood?" ,,Raphael hat recht." stimmte Lily nun zu. ,,Wir sollten es wenigstens versuchen. Solange es ein großer Verlust für den Feind ist, ist es ein großer Gewinn für uns." ,,Nicht unbedingt." sagte Isabelle vage, stimmte den Beiden dann jedoch zu. ,,Aber einen Versuch wäre es sicher wert." ,,Und was, wenn nicht?" gab Alec zu bedenken. ,,Was wenn es diesen Versuch nicht wert war? Wir würden uns unnötig in Gefahr begeben." ,,Das wissen wir erst, wenn wir es versucht haben." warf Jace ein. ,,Aber wenn wir das durchziehen, brauchen wir alle." ,,Ich bin dabei." sagte Clary und auch der Rest stimmte mit ein. ,,Na schön." grummelte Alec. ,,Dann sollten wir uns aber beeilen." ,,Ich habe die Koordinaten zur Sicherheit auf meinem Handy gespeichert." sagte Isabelle, nahm ihr Mobiltelefon heraus und zeigte Magnus die Koordinaten. Der Hexenmeister portalierte sie direkt zum Eingang einer Höhle irgendwo im Wald. Die Sieben versteckten sich hinter einem Felsen und Raphael rief Simon erneut an. Dieser nahm mit einem genervten Seufzen ab. ,,Raphael, wenn du nicht vorhast, mir zu helfen,-" ,,Genau das hab ich vor." erwiderte Raphael. ,,Wo seid ihr gerade?" ,,Wir parken das Auto im Wald, wieso?" sagte er vorsichtig. ,,Wir warten am Eingang der Höhle. Geht nicht ohne uns rein!" ,,Okay." Raphael konnte deutlich die Erleichterung in Simons Stimme hören. ,,Raphael, ich bin dir wirklich sehr dankbar." ,,Das will ich doch hoffen!" erwiderte Raphael, woraufhin Simon leise lachte. ,,Danke mir einfach indem du nicht stirbst, okay?" sagte Raphael dann jedoch in einem etwas sanfteren Ton. ,,Okay."
Als Simon und die Hybriden schließlich zu Fuß an der Höhle angekommen waren, steckten sie so viele Waffen ein, wie nur möglich und arbeiteten einen Plan heraus. ,,Wir müssen so unauffällig sein, wie nur möglich." sagte Alec. ,,Benutzt Distanzwaffen; Bögen, Armbrüste, Wurfmesser. Alles was schnell und leise tötet. Wir wissen nicht, wie viele da unten sind und wer uns hören könnte. Habt keine Gnade. Tötet oder verletzt sie so, dass sie keine Verstärkung mehr rufen können. Wenn ihr Gefangene findet, lasst sie umgehend frei, sie können uns im Kampf beistehen. Ansonsten gibt es nichts, was wir mit unserem Mangel an Informationen planen können." ,,Gut." machte Jace und steckte ein weiteres Wurfmesser ein. ,,Na, dann mal los." Sie stiegen nacheinander in den Tunnel, Clary und Isabelle ganz vorne, Alec und Jace ganz hinten. Nach ein paar Metern hörten sie schließlich die Stimmen zweier Männer. Auf leisen Sohlen ging die Truppe weiter, bis sie schließlich an einen Durchgang kamen, der in einen riesigen Raum führte. Der Raum erinnerte Raphael an eine Mischung aus Labor und Folterkeller. Auf einer Seite standen Käfige mit Personen darin, von denen einige eine Brandmarke in Form einer Engelsrune am Hals hatten. In der Mitte des Raumes stand ein Stuhl, der dem aus dem Gefängnis in Idris sehr ähnelte. Nur war dieser hier Blut befleckt und rostig. Auf der anderen Seite des Raumes war ein langer Tisch aufgebaut, auf dem verschiedene Gerätschaften und Chemikalien ähnliche Substanzen standen. Vor diesem Tisch standen zwei Shadowhunter, die sich offensichtlich über etwas stritten. Raphael konnte zwar kein Wort verstehen, sah aber die wilden Gesten und hörte den wutentbrannten Ton. Nach einem letzten Blick über die Schulter gab Isabelle das Kommando und sie machte zusammen mit Clary einen Schritt nach vorne. Clary feuerte mit einer Armbrust einen Pfeil direkt ins Herz des einen und Isabelle warf ein Dolch zwischen die Augen des anderen Mannes. Beide fielen tot zu Boden. ,,Jeder mit Kampferfahrung kommt mit uns." sagte Isabelle, ohne sich auch nur umzudrehen. ,,Die Anderen öffnen die Käfige der-" Sie brach ab, als sich die Tür auf der anderen Seite des Raumes öffnete. Eine Horde Shadowhunters kam in den Raum gerannt, allesamt bewaffnet. ,,Scheiße!" murmelte Isabelle und zog ihre Peitsche aus ihrem Waffengürtel. Auch Raphael zog ein Schwert und ignorierte dabei das unangenehme Gefühl tief in seinem Inneren. Das ist nicht deine Waffe! schien sein Körper zu schreien. Das ist nicht deine Waffe! Doch er ignorierte es. Jetzt gerade hatte er keine andere Wahl. Der Kampf war gnadenlos und willkürlich. Er schien von allen Seiten angegriffen zu werden und konnte sich gerade noch so verteidigen. Die Verletzungen, die er dabei einstecken musste, bemerkte er kaum. Zu sehr war er damit beschäftigt, die zwei gegeneinander kämpfenden Gruppen auseinander zu halten und den Feind zu töten, während er gleichzeitig Angriffe abwehrte. Doch irgendwie schaffte er es, zu überleben. Als die Feinde schließlich immer weniger wurden und sich die Menge etwas lichtete, wurde es einfacher. Diesen Moment nutzte Raphael, um einen der Käfige zu öffnen. ,,Wir sind hier, um euch zu helfen." erklärte er. ,,Wer kann, sollte uns nun auch helfen." Die Unterweltler-Hybriden-Gruppe rannte aus dem Käfig, nahm sich ein paar Waffen und half gegen die Shadowhunter zu kämpfen. Als schließlich nur noch ein Shadowhunter lebendig vor ihnen stand, hob dieser die Hände, ließ seine Waffe fallen und sagte: ,,Ich kooperiere! Bitte, habt Gnade!" Isabelle trat vor und fragte: ,,Wie ist dein Nachname?" ,,Branwell." antwortete der Mann. Isabelle mahlte mit dem Kiefer. ,,Wer seinen Namen so beschmutzt, verdient keine Gnade!" knurrte sie und schlug mit ihrer Peitsche zu, bevor einer der Hybriden, Jack, ihm ein Messer in die Brust rammte. Einen Moment legte sich eine ohrenbetäubende Stille über die gesamte Menge. Da hörte man etwas klirrend zu Boden fallen. Simon hatte seine Waffe fallen gelassen und war dabei einen der Käfige zu öffnen. ,,Durchsucht den Rest der Zimmer!" sagte er. ,,Ich kümmere mich um die Gefangenen." ,,Okay." stimmte Isabelle zu und ging los, die Anderen folgten ihr; bis auf Raphael. Der Halb-Vampir ließ ebenfalls seine Waffe fallen und machte sich daran, die anderen Käfige zu öffnen. Als schließlich alle befreit waren, brachten die Beiden sie nach draußen. ,,Es wird bald dämmern." rief Simon, nach einen Blick auf seine Uhr. ,,Die Vampire unter euch sollten jetzt besser gehen. Braucht jemand Geld für ein Hotel oder sowas?" Keiner meldete sich zu Wort. ,,Okay, dann wohl nicht." ,,Und keine Sorge," setzte Raphael noch hinterher. ,,denjenigen, die das himmliche Feuer in sich tragen, wird in der Sonne nichts passieren." Viele bedankten sich mehrmals, bevor sie sich auf den Weg machten. Einige jedoch meinten, sie wüssten nicht, wo sie nun hinsollten. ,,Ich bin mir sicher, im Hotel Dumort wird noch Platz sein." sagte Simon vorsichtig und warf Raphael einen flehenden Blick zu. Raphael seufzte. ,,Das wird sich wohl einrichten lassen." sagte er.
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In The Shadows
Hayran KurguSimon Lewis und Clary Fray waren schon immer beste Freunde. Zusammen gehen sie durch Dick und Dünn. Sie kennen einander in und auswendig. Nur eine Sache gibt es, die Clary nicht über Simon weiß. Als sie herausfindet, dass sie eine Schattenjägerin i...