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,,Das ist unfassbar!" meinte Isabelle, als sie neben den drei anderen Shadowhuntern und Simon herlief. ,,Die ganze Familie der Aldertrees und vielleicht noch andere . . . Und das ging Generationen lang so! Wie konnte das denn niemand bemerken?!" Ab da hörte Simon auf, ihr zuzuhören. Ihm war klar, dass das eine große Sache war, doch wenn er ehrlich war, machte er sich gerade mehr Sorgen um Raphael. Gerade als sie in den zweiten Wohnraum kamen, tauchte vor ihnen ein Vampir auf. Es war Jake. Simon hatte ihn bisher nur ein paar Mal gesehen, wusste aber, dass es ein guter Freund von Lily und Raphael war. ,,Simon!" rief er aus. ,,Schnell; hol Lily!" ,,Was?! Wieso?"  fragte Simon perplex. ,,Raphael ist zusammengebrochen." Simons Kopf war wie leer gefegt. Er brauchte einen Moment, um zu realisieren, was ihm da erzählt worden war. Doch als ihm die Bedeutung der Worte klar wurden, rannte Simon, ohne weiter auf die Anderen zu achten, in seiner höchsten Geschwindigkeit durch das Gebäude in Lilys Suite, wo Raphael bewusstlos auf der Couch lag. Hektisch bahnte sich der Tageslichtler einen Weg durch die Menge, die sich um das Sofa versammelt hatte. Vor dem Möbelstück ließ er sich schließlich auf die Knie fallen und betrachtete Raphaels regloses Gesicht. Tausende Gedanken schossen Simon durch den Kopf und ihm wurde leicht schwindlig. Schließlich kniff er jedoch die Augen zusammen und ermahnte sich selbst; er musste einen klaren Kopf bewahren. Da kam ihm eine Idee. Er drehte sich zu den anderen Vampiren um und fragte: ,,Was würdet ihr tun, wenn er immer noch ein Vampir wäre?"  ,,Blut." antworteten die Meisten. Also drehte Simon sich wieder zu dem Älteren und atmete tief durch. Er war ja irgendwie immer noch ein Vampir; also bestand eine Chance, dass . . . Simon rammte sich seine Fänge ins Handgelenk und riss die Haut beiseite, ehe er sein Blut in Raphaels Mund tropfen ließ. Einen Moment passierte nichts und Simon wollte die Hoffnung schon aufgeben, als Raphael plötzlich die Augen aufschlug. Doch es waren nicht seine normalen dunkelbraunen Augen; sie leuchteten in dem strahlendsten Gold, das Simon je gesehen hatte. Da schoss die Hand des Latinos ruckartig nach oben, ergriff Simons Arm und er rammte seine Fänge in das Handgelenk des Jüngeren. In dem Moment, als Raphael ihn biss, änderte sich die Farbe seiner Augen von dem strahlenden Gold zu einem tiefen Schwarz. Das war das letzte, was Simon bemerkte, bevor ihn die Wucht des Bisses überrollte. Wenn die vorherigen Bisse, die er mit Raphael geteilt hatte intensiv waren, war das hier wie aus einer anderen Welt. Es war überwältigend. Simons Augen schlossen sich automatisch und er bekam nichts mehr mit. Erst als Raphael sich wieder aus ihm zurückzog, öffnete der Tageslichtler langsam die Augen und fand sich selbst unter Raphael in die weiche rote Couch gedrückt wieder. Das Gesicht des Älteren war seinem so nah, dass er nur ein paar Millimeter nach vorne müsste, um- . . . Ruckartig setzte Raphael sich auf und kletterte von Simon herunter. ,,Was ist passiert?" fragte Simon noch immer etwas benommen, während er versuchte, sich aufzusetzen. Er sah sich im Raum um und bemerkte, dass alle Vampire weg waren und nur noch er, Raphael, Lily, Magnus, Clary und Isabelle dort waren. Clary lief sofort zu ihm und nahm sein Gesicht in beide Hände. ,,Simon, geht's dir gut?" fragte sie besorgt und Simon nickte nur stumm, ehe er sanft ihre Hände weg schob. Sein Blick flog wieder zu Raphael, der inzwischen von Magnus und Lily ausgefragt wurde. ,,Ich hab versucht, meine verschärften Sinne einzusetzen; so wie früher." erklärte der Latino. ,,Und dann . . . War alles schwarz." Magnus nickte verstehend, woraufhin Lily ihn fragend ansah. Doch Magnus meinte nur, dass sie besser in Lily's Büro gehen sollten, um das zu besprechen. Kaum waren die Beiden aus dem Raum, kam Alec durch die Tür gestolpert. ,,Leute!" sagte er mit nachdrücklicher Stimme. ,,Wir haben was gefunden." Nach einem letzten Blick in Simons Richtung lief Isabelle sofort hinter ihrem Bruder her. Clary stellte sich aufrecht hin und fragte, ob es Simon soweit gut ginge. ,,Ja, ja." erwiderte der Tageslichtler ,,Mir geht's gut. Geh nur und erledige deine Arbeit." Damit ging die Rothaarige und Simon war mit Raphael allein im Raum. Der Blick des Latinos war stur auf seine Hände gerichtet, doch Simon wusste genau, dass Raphael spüren konnte, wie er ihn ansah. ,,Bist du okay?" Raphael nickte. ,,Sicher? Ich meine, du warst ohnmächtig. Zum zweiten Mal!" Raphael nickte erneut. Simon seufzte. ,,Raphael, wir-" ,,Nein." fiel der Ältere ihm ins Wort. ,,Es gibt kein 'wir'. Du bist mit Isabelle zusammen." Simon drehte sich vollständig zu ihm um und rückte ein Stück näher. ,,Genau darüber wollte ich mit dir reden." erwiderte er. ,,Raphael, bitte erzähl mir nicht, dass du nicht das Gleiche empfindest, wie ich. Denn ich weiß, dass du das tust! Wir-" ,,Du weißt nicht, was ich fühle." erwiderte Raphael. Sein Blick war, verdammt nochmal, immer noch auf seine Hände gerichtet. Im Bruchteil einer Sekunde saß Simon auf Raphaels Schoß, drückte dessen Hände in die Armlehne und sah wütend auf ihn herab. ,,Sieh mich endlich an! Bitte!" flehte er frustriert. Der Blick des Älteren glitt langsam nach oben, bis sich ihre Augen trafen. Raphaels Gesicht war, wie die meiste Zeit, emotionslos, doch seine dunklen Augen sagten mehr als tausend Worte. Sie sprachen von Sehnsucht, Liebe und Frustration. Und Simon war sich sicher, dass seine Augen dasselbe widerspiegelten.  ,,Bitte, Raphael, warum können wir nicht einfach- . . ." Simons Stimme brach und er konnte spüren, wie ihm die Tränen in die Augen schossen. ,,Weil wir jetzt andere Probleme haben." erwiderte Raphael leise. ,,Es kann sein, dass die gesamte Unterwelt in Gefahr ist. Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren. Zeit für Liebesdramen haben wir jetzt nicht." Erschöpft lehnte Simon seine Stirn an die des Älteren und legte seine Arme um dessen Hals.  ,,Ich weiß." murmelte er. Da räusperte sich jemand und Simon sprang so schnell auf, dass er fast nach hinten umgekippt wäre. Lily stand mit verschränkten Armen hinter der Couch und sah Simon ernst an. ,,Magnus!" Clary kam lautstark durch die Tür gebrochen. ,,Magnus, wir müssen dir was zeigen!" Der Hexenmeister kam aus Lilys Büro und sah die Rothaarige fragend an. Da ging die Haupttür erneut auf und die drei Lightwood-Geschwister kamen mit einem Stapel voller Papiere in den Raum. ,,Magnus, wir haben im Institut in Kosovo nachgeschaut, wie du gesagt hattest," erklärte Alec und legte den Papierstapel auf dem kleinen Holztisch vor der Couch ab. ,,und wir haben etwas gefunden." Magnus ging die Papiere durch, während sein Mann mit seiner Erklärung fortfuhr: ,,Wie es aussieht, hat die Familie Aldertree nicht nur Generationen lang mit dem himmlischen Feuer experimentiert, sondern tut es noch immer. Wir haben Lydia, Aline und Helen dorthin geschickt und die einzige Aldertree verhaftet, die wir finden konnten. Sie ist inzwischen in Gefangenschaft. Erst wollten wir sie ins Institut bringen, aber dort waren zu viele Leute, die nicht eingeweiht sind. Also haben wir sie in eins unserer Geheimzellen für Schwerverbrecher bringen lassen. Lydia wollte sie verhören, aber anscheinend spricht sie nur Albanisch. Oder sie weigert sich einfach in einer Sprache zu sprechen, die wir verstehen."   ,,Ich kenne nur einen Shadowhunter, der Albanisch spricht," warf Isabelle ein. ,,und das ist Raj." Alec nickte. ,,Richtig. Aber wir wissen nicht, ob wir ihm vertrauen können. Deshalb wollte ich dich fragen, ob du seine Erinnerungen löschen kannst, nachdem wir mit dem Verhör durch sind." Magnus sah seinen Ehemann schockiert an, ehe er erwiderte: ,,Magie an Shadowhuntern ohne ihre Einwilligung anzuwenden, ist gegen das Abkommen. Es ist illegal, Alexander! Was wurde aus eurem geliebten 'Das Gesetz ist das Gesetz.'?!" ,,Das Gesetz ist hart, aber es ist-" wollte Alec ihn gerade verbessern, doch der Blick seiner Schwester brachte ihn zum Schweigen. ,,Wie dem auch sei..." räusperte der älteste Lightwood sich. ,,Diese Sache ist größer als das Gesetz." ,,Erinnerungsmagie ist gefährlich!" erwiderte Magnus. ,,Vor allem, wenn wir die Erlaubnis nicht haben. Er könnte sich wehren und dadurch irreparable psychische Schäden davontragen!"
Simon beobachtete still die Diskussion zwischen dem Ehepaar, bevor der Hexenmeister schließlich aufgab und sagte: ,,Dieses eine Mal. Aber ihr nehmt jedes Risiko auf euch!" Die Lightwood-Geschwister stimmten allesamt sofort zu, woraufhin alles in die Wege geleitet wurde. Nur Simon, Raphael und Lily blieben im Raum zurück. Einen Moment war es komplett still, bevor Lilys Stimme das unangenehme Schweigen durchbrach: ,,Ist es wegen der Lightwood?" Die beiden Männer sahen die Ältere verwirrt an. ,,Ach kommt schon!" erwiderte sie mit einem sarkastischen Grinsen. ,,Ich bin doch nicht blind! Ihr beide seid offensichtlich verknallt ineinander. Also, wieso seid ihr noch kein Paar? Ist es wegen der Lightwood?"  ,,Dafür haben wir jetzt keine Zeit." erwiderte Raphael kühl. ,,Was habt Magnus und du vorhin überhaupt besprochen?" Lily setzte sich neben Raphael auf die Couch und erklärte: ,,Magnus glaubt, dass du deine Vampir-Fähigkeiten nicht steuern beziehungsweise bewusst einsetzen kannst. Dein Dämonenblut und das himmlische Feuer würden gegeneinander arbeiten und dein Körper würde das nicht verkraften können. Deshalb wurdest du wahrscheinlich auch ohnmächtig, als du es versucht hast." Raphael nickte verstehend und auch Simon glaubte es verstanden zu haben.

In The ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt