XIII.

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,,Du hättest verbrennen können!" sagte Raphael, kaum dass Lily das Wohnzimmer betreten hatte. Er hatte sich sorgen gemacht, als sie kurz vor Sonnenaufgang gegangen und erst jetzt so kurz nach Sonnenuntergang wieder gekommen war.  ,,Bin ich aber nicht." antwortete die Schwarzhaarige, ließ sich neben dem Clanführer auf die schwarze Couch nieder, nahm ihm seinen Drink aus der Hand und nippte daran.  ,,Wo warst du überhaupt?"  ,,Bei den Werwölfen; hab etwas besprochen." Genau genommen war es nicht gelogen. Sie war am Jade Wolf und hatte etwas mit Simon besprochen. Raphael entschied sich, nicht weiter nachzuhaken und sich stattdessen seinen Drink wiederzuholen. 

Die nächsten paar Tage ließ er sich von seinen Clanmitgliedern Bericht über die Lage verschaffen. Er wusste von dem Wechsel des Institutsleiters, von Jace' Verschwinden und auch von den Maßnahmen, die die Shadowhunter wegen Valentine tätigen mussten. Doch als ihn die Nachricht ereilte, dass man ihm die Schuld an einem Vampirnest gab, von dem er noch nie etwas gehört hatte, war er gleichermaßen überrascht, wie bestürzt. Und als er dann auch noch herausfand, wie man darauf gekommen ist, dass ihm das Nest gehörte, entschied er sich Demjenigen einen Besuch abzustatten. 

Nun stand er in einem heruntergekommenen Bootshaus, als die Tür aufging und Simon eintrat. Während dieser die Tür sorgfältig wieder schloss, trat Raphael lautlos an ihn heran, sodass er genau hinter ihm stand. Als Simon sich nun umdrehte, erschrak er und drückte sich aus Reflex an die Tür hinter sich. Raphael musste sich ein Schmunzeln verkneifen, als er die Stille zwischen ihnen brach: ,,Hey, Kumpel. ¿Cómo estás?"  ,,Raphael, amigo!" stotterte Simon.  ,,Ich hol dir ein Glas Null Negativ." Er klopfte dem älteren auf die Schulter und ging an ihm vorbei. Doch das war es nicht, was der Vampir von ihm wollte.  ,,Erklär mir doch bitte, wieso du Victor Aldertree gesagt hast, ich sei verantwortlich für eine Vampirhöhle in Flatbush."  ,,Nein, das hab ich nicht gesagt." erwiderte der Frischling und machte ein paar Schritte rückwärts, während der Ältere auf ihn zukam.  ,,Ich hab denen nur gesagt, das liegt weit über meinem Dienstgrad. Ich weiß gar nicht, wie die darauf kommen!" Raphael sah ihn dunkel an, da erkannte Simon anscheinend, was er da gesagt hatte.  ,,Wow, wenn ich das so höre, versteh ich, wie sie zu dem Schluss gekommen sind." Da konnte Raphael sich nicht mehr halten und schubste Simon gegen die aufeinander gestapelten Boote hinter ihm.  ,,Das war eine von Camilles Höhlen." zischte er.  ,,Ich dachte, die von Maria."  ,,Camille hat auch sie verwandelt, du Genie! Und jetzt muss ich wegen dir für die Sache grade stehen." Er ging an Simon vorbei und sah sich etwas in seinem heruntergekommenen Zuhause um.  ,,Hast du eine Ahnung, was der Rat mit Vampiren macht, die gegen das Abkommen verstoßen?" fragte er dabei.   ,,Will ich das wirklich wissen?"  ,,Sie nageln uns an Kreuze." erklärte Raphael und drehte sich wieder zu dem Frischling um.  ,,Dann lassen sie Sonnenstrahlen unsere Körperteile verbrennen. Eins nach dem Anderen."  ,,Welche Körperteile?" fragte Simon nur. Raphael musste sich Mühe geben, seine Mimik zu beherrschen. Verstand der Frischling überhaupt den Ernst der Lage?   ,,Weißt du was, sag's nicht! Ich kann vielleicht mit Clary reden..." Doch Raphael wusste, dass das nichts bringen würde.  ,,Nein. Du wirst Camille finden." sagte er und legte eine Hand fest um Simons Schulter. Er konnte hören, wie sich die Atmung des Jüngeren beschleunigte, ignorierte es aber und fügte noch hinzu:  ,,Und bringst sie zurück ins Hotel Dumort."  ,,Was?!" fragte Simon entsetzt.  ,,Wieso ich?"  ,,Weil du und deine Freunde sie raus gelassen haben. Sie hat dich erschaffen; benutz diese Verbindung zu ihr oder du stirbst bei dem Versuch!" Er ließ wieder von seiner Schulter ab und wollte gerade Richtung Ausgang gehen, da sagte Simon etwas, das ihn zum Stehenbleiben brachte.  ,,Es tut mir leid!" Mit zusammengezogenen Augenbrauen drehte Raphael sich um.  ,,Wovon sprichst du?"  ,,Es tut mir leid, dass ich dich- und den Clan verraten habe." sagte Simon nun etwas leiser.  ,,Das hätte ich nicht tun sollen. Aber Clary hat mich gebraucht, ich konnte nicht-..."  ,,Du hast recht." fiel der Ältere ihm frustriert ins Wort.  ,,Das hättest du wirklich nicht tun sollen." Damit war er auch schon mit Vampirgeschwindigkeit durch die Tür. Draußen blieb er jedoch stehen. Er glaubte nicht, dass Simon sofort mit dem Suchen anfangen würde, so wie er es ihm gesagt hatte. Also setzte er sich auf das Dach des Bootshauses und blickte in die Sterne. Eine Weile war er in seinen Gedanken versunken. Er hatte sich entschuldigt. Er hatte begriffen, was er falsch gemacht hat. Aber diese dämliche rothaarige Shadowhunter! Wieso sah Simon nicht, wie selbstsüchtig sie war?

Eine Weile verging, bis sich die Tür des Bootshauses öffnete und Simon mit dem Handy am Ohr heraus kam.  ,,Hey, Mom. Hab deine Nachrichten gekriegt, wollte nur sagen, dass ich nicht tot bin. Du-äh..musst also nicht die Polizei rufen. Äh..." stotterte er in das Telefon.  ,,Ich weiß, dass du sauer bist, dass wir länger nicht geredet haben. Also wollt ich dich besuchen. Hoffentlich bist du zu Hause." Raphael sprang vom Dach und lief um Simon herum, so dass er wieder hinter ihm stand.  ,,Das war's. Mach's gut." sagte Simon noch schnell und beendete den Anruf. Als er sich umdrehte, legte Raphael den Kopf schief und fragte:  ,,Geht's Nachhause?"  ,,Nur ein Umweg." erwiderte Simon und fing an rückwärts zu laufen. Während Raphael immer weiter auf ihn zukam, versuchte er, sich näher zu erklären:  ,,Meine Mom hat mich so dreißig mal angerufen. Ich wollt ihr nur sagen, dass meine Band auf Tour geht, dann kümmer' ich mich wieder um Camille. Wenn du die selbe Zeit dafür aufwenden würdest, Camille zu suchen, wie dafür mir zu sagen, sie zu suchen, hättest du sie schon gefunden..." Gegen Ende hin wurde Simon etwas leiser und Raphael konnte deutlich seine Nervosität steigen spüren, als Simon gegen einen Zaun hinter ihm prallte. Doch Raphael hielt seine eiskalte Fassade aufrecht.  ,,Es sieht aus, als würdest du den Ernst der Lage nicht begreifen." erwiderte der Ältere.  ,,Ich hab den ganzen Clan losgeschickt, aber sie ist dein Sire."  ,,Aber da sind noch andere, oder?" fragte Simon.  ,,Es muss Qualifiziertere geben, die Camille verwandelt hat." Damit wollte er verschwinden, doch Raphael packt ihn an der Schulter. Erst da wurde dem Latino bewusst, wie nahe die Beiden sich eigentlich standen. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Körper voneinander. Er zwang sich jedoch es zu ignorieren und antwortete auf die Frage:  ,,Ja. Aber leider ist außer dir keiner übrig. Alle anderen, die sie verwandelt hat, sind auf ihrer Seite. Grade bahnt sich ein Bürgerkrieg an, und Camille wird immer mächtiger."  ,,Wenn die Sache mit meiner Familie geregelt ist, ist Camille dran!" Simons Stimme war nun etwas lauter, entschlossener. Raphael wusste genau, wie wichtig ihm seine Mutter war. Schließlich war Raphael selbst mal an dem Punkt; und wenn man an Rosa dachte, war er das immer noch. Doch er wusste, wie die Dinge in dieser grausamen Welt abliefen. Würde Simon sich nicht endlich dem Clan zugehörig fühlen, würde er in dieser Welt nicht zurecht kommen. Er brauchte Hilfe, Unterstützung, einen Clan; so wie jeder Frischling es tat. Doch das wollte er einfach nicht akzeptieren. Er wollte gehen, doch Raphael legte ihm eine Hand auf die Brust und schubste ihn zurück gegen den Zaun.  ,,Wir  sind jetzt deine Familie." sagte er.  ,,Ach was; Und ich soll einfach meine Mutter vergessen?!"  ,,Deine Mutter?!" Raphael entschied sich, dass das Nett-Sein nichts mehr brachte. Er musste ihm die Wahrheit vor Augen führen, egal wie weh es tat.  ,,Deine Mutter wird alt und du bleibst wie du bist. Und irgendwann ist sie nicht mehr da. Früher oder später . . . verblassen auch deine Erinnerungen an sie. Ob du willst oder nicht."   ,,Nein." erwiderte Simon, doch sein Gesichtsausdruck sprach eine andere Sprache.  ,,Das passiert nicht. Nicht mir."  ,,Red' dir das nur selbst ein." Damit verschwand Raphael und lief zurück ins Hotel Dumort. 

In The ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt