XXI.

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Sobald Simon aus dem Hotel war, verschwand Raphael durch die Hintertür.

Er hatte das Mädchen, das Simon umgebracht zu haben geglaubt hatte, in einen Vampir verwandelt, um zu prüfen, ob Simons Blut oder sein Gift sie ebenfalls zu einem Tageslichtler gemacht hatte. Wochen lang hielt er das Mädchen im Keller des Hotels gefangen und übte Experimente an ihr aus. Doch nun war sie verschwunden und Raphael wusste ganz genau, wo er suchen musste.

Und er sollte recht behalten: Sie war besessen von Simon und so führte ihn seine Suche in das Bootshaus. Als Heidi abgelenkt war, rammte Raphael sie von der Seite gegen einen Pfosten. In seiner Hand hielt er einen hölzernen Pflog. ,,Ich wusste, dass du hier bist." sagte er. ,,Die Party ist vorbei!" Er holte mit dem Pflog aus, doch sie war schneller. Raphael konnte sich nicht erklären, warum seine Reflexe ihn in diesem Moment im Stich ließen. Vielleicht wegen Trauer, vielleicht wegen der Verletzungen von Simons Mal, er wusste es nicht. Alles, was er wusste, war dass Heidi es wohl irgendwie geschafft hatte, ihm das Serum zu stehlen und es ihm kurz darauf zu verabreichen.

Als er wieder aufwachte, hörte er als erstes ihre Stimme: ,,Sehr gut, du bist wach." Raphael öffnete die Augen und sah in Heidis grinsendes Gesicht. ,,Wird Zeit für ein bisschen Spaß." Schnell stand er auf und sah sich um. Offensichtlich befanden sie sich auf einem Dach, das er jedoch nicht wiedererkannte. ,,Wo sind wir?" fragte er und bemerkte gleichzeitig, dass er an einem Fuß angekettet und nur in Boxershorts bekleidet war. Als das Mädchen nicht auf seine Frage antwortete, lief er zur Dachkante und sah hinunter, doch er erkannte diese Gegend beim besten Willen nicht. ,,Was hast du vor?" fragte er dann. ,,Als ich das erste Mal in eine Bluterhöhle ging," erzählte das Heidi. ,,suchte ich nach einem Ausweg aus meinem elenden Leben. Und nach dem ersten Biss war ich süchtig." Raphael schnellte nach vorne, doch die Kette ließ ihn nicht weit genug kommen, um Heidi zu erreichen. Frustriert zerrte er an den Ketten, doch es brachte nichts. Ungerührt erzählte das blonde Mädchen ihre Geschichte weiter: ,,Und das nicht vom Rausch des Vampirgifts. Ich wollte einer sein! All diese Kraft, diese Macht und-" Sie stupste mit dem Pflog gegen Raphaels Brust und Rücken, während er versuchte, sich zu befreien. ,,Lass das!" knurrte er daraufhin, doch sie kicherte nur. ,,Erinnerst du dich an die Geschichte, wie du meine Leiche aus dem Krankenhaus gestohlen hast, um mich zu verwandeln?" fragte sie. ,,Da war ich zum ersten Mal so richtig glücklich. Doch ich war einfach nur dein Versuchskaninchen, Eine, an der du dich austoben konntest!" ,,Es tut mir leid." schluchzte Raphael. ,,Ich weiß, es war falsch." ,,Schon okay." erwiderte Heidi. ,,Wie meine Stiefmutter sagte: 'Jeder hat seinen Platz in der Sonne verdient.'" Da realisierte Raphael, was sie vorhatte. Er versuchte, sich zu befreien, bettelte, entschuldigte sich, doch nichts half. Als die Sonne schließlich aufging, verschwand Heidi in das Gebäude und Raphael zog sich so weit in die Schatten zurück, wie die Kette es ihm erlaubte. Als die ersten Sonnenstrahlen seinen Fuß trafen, schrie er vor Schmerzen auf. Gott sei Dank schien ihn jemand gehört zu haben, denn kurze Zeit später wurde die Tür eingetreten und Isabelle und Clary kamen auf das Dach gerannt. Sie befreiten ihn und fragten, wer das getan hatte, doch Raphael meinte nur, er würde den Vampir nicht kennen.

Als seine Verletzung einigermaßen geheilt war, ging er hinunter in den Keller des Hotels, wo er Heidi gefangen gehalten hatte, und fing an, aufzuräumen. Doch da hörte er plötzlich eine ihm sehr bekannte Stimme: ,,Versuchst du deine Spuren zu verwischen?" Raphael hielt inne und drehte sich um. ,,Isabelle..."  ,,Ich wusste, dass was nicht stimmt." erklärte sie.  ,,Es ist nachvollziehbar, dass dich ein machthungriger Vampir töten will. Am Dach angekettet, um von der Sonne verbrannt zu werden . . . Wer gibt sich die Mühe, seinen Feind auf diese Weise loszuwerden? Dabei geht's um Rache." Einen Moment war es still und Raphael senkte den Blick. ,,Wie konntest du das tun?" fragte Isabelle, ihre Stimme schon ein wenig wackelig. ,,Ich wollte ein Tageslichtler werden." erklärte Raphael. Er hob den Blick wieder und ging ein paar Schritte auf die Shadowhunter zu. ,,Ich weiß, wie viel dir Max und deine Familie bedeuten." Als sie einen Schritt zurück machte hielt Raphael inne und blieb stehen. Einen Moment blieb er still, ehe er fortfuhr: ,,Vor sechzig Jahren wurde ich von Rosa getrennt  . . . und meiner Familie. Ich wollte nur mein altes Leben zurück. Bei Rosa sein, sehen, wie die Sonne aufgeht . . . und wieder normal sein!" ,,Du warst also bereit, jemanden all diese Schmerzen erleiden zu lassen, damit sich dein Leben verbessert?!" erwiderte Isabelle. ,,Und ich dachte, ich würde dich kennen!" Erneut wandte Raphael den Blick ab. ,,Ich werde deine Verbrechen dem Rat nicht melden." meinte Isabelle. ,,Unter einer Bedingung: Du verlässt die Stadt. Heute Nacht noch."

In The ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt