1 ◄ Mein Leben oder auch Hölle

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»Es tut uns ja wirklich leid. Aber wir können nun mal nicht anders. Sie sind jetzt schon mehrere Monate bei der Arbeit total abwesend. Am Anfang war ich noch gnädig mit ihnen, weil sie mitten in einer Scheidung steckten. Aber das ist nun schon eine Weile her, Ms. Collins.«
Wütend nahm ich meine Tasche vom Stuhl und verließ das Büro. Was dachte sich das Miststück eigentlich? Dass der Schmerz einer Scheidung von der Liebe des Lebens einfach ist? Dass es nach ein paar Monaten einfach vergessen ist?

Das konnte sie ja sowas von gar nicht beurteilen. Sie kannte nicht die Stärke der Liebe, die Tyler und ich hatten. Wahrscheinlich war sie noch nicht mal richtig verliebt gewesen.

Vielleicht sogar ganz gut, dass ich da weg bin. Wer brauchte schon so einen beschissenen Job? Der machte ja nicht mal einen Bruchteil Spaß. Warum habe ich überhaupt angefangen eine Ausbildung zur Sekretärin zu machen? Die Art von Beruf, die mir eigentlich am wenigsten Spaß macht.

Ach ja, wegen meiner tollen Mutter, die wollte, dass ich einen vernünftigen Beruf lernte. »Singen ist ein Hobby. Nichts weiter!«, hatte sie immer gesagt. Aber sollte ein Beruf nicht auch Spaß machen? Wenigstens ein kleines bisschen? Nur weil sie auch Sekretärin gewesen ist...

Die Tür hinter mir schloss ich mit einem lauten Knall. Mir doch egal, was das für einen Eindruck hinterließ. Da drin wurde ich sowieso schon gehasst. Wenn gehen, dann auch richtig.

Während ich in die nächste Straßenbahn einstieg, drehte ich die Musik meines iPods auf volle Lautstärke und wählte ein zufälliges Lied meiner Rocklieder-Playlist. Und nochmal: Mir war es vollkommen egal was die Leute auf der Straße dachten, dass ich so laut Musik hörte. Früher hat es mir mal was ausgemacht. Was hat es mir gebracht? Rein gar nichts.

Aufgebracht ließ ich mich auf einen freien Sitz der Straßenbahn fallen. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass Tyler mit mir Schluss gemacht hatte. Unsere Liebe war perfekt... und einen wirklichen Trennungsgrund hatte er mir immer noch nicht gegeben.
»Ich habe in meinem Leben Probleme, mit denen ich dich nicht belasten kann.« Welche Probleme bitteschön? Natürlich habe ich ihm dieselbe Frage gestellt.
»Wie gesagt... ich will dich damit nicht belasten.«

Ganz große Klasse. Es belastet mich aber auch, wenn er es mir nicht erzählte. Aber ist das nicht die typischste Ausrede für eine Trennung? Es liegt nicht an dir, sondern an mir. Am Ende war es doch nichts weiter als eine Lüge. Obwohl ich eigentlich dachte, dass Tyler und ich so viel miteinander durchgemacht haben, dass er hierbei wenigstens ehrlich sein konnte. Oder... war es das vielleicht sogar? Er klang auf jeden Fall aufrichtig. Ach Mist! Die ganze Sache ließ mich immer noch nicht los. Der Mistkerl sollte einfach sagen, was mit ihm los war! Aber darauf konnte ich wohl lange warten...

Irgendwann hielt die Bahn dann endlich an meiner Haltestelle. Hier auszusteigen war immer noch etwas ungewohnt. Ja, natürlich hatte ich seit kurzem eine neue Wohnung. Tyler, wie er nun mal war, hatte darauf bestanden, dass ich die große Wohnung behalten würde. Immerhin hatte er genug Geld. Aber all das wollte ich nicht. Ich wollte nichts von ihm, denn es erinnerte mich an unsere Zeit und schmerzte einfach zu sehr.

Gerade als ich dabei war die Tür zu meinem kleinen Appartement aufzuschließen, fiel mir ein, dass vielleicht genau das mein Problem war. Ich verdrängte Tyler komplett aus meinem Leben. Leugnete ihn sogar, obwohl er natürlich eindeutig da gewesen ist.

Er hatte mir doch letztes Jahr diese hübsche Rose zu meinem Geburtstag geschenkt. Außerdem sah meine Fensterbank noch verdammt leer aus. Vielleicht sollte ich...
Tylers Haus war auch nur drei Stationen von meinem neuen Appartement entfernt. Ein Besuch konnte sicher nicht schaden. Wenn ich Glück hatte würde er eventuell auch mal endlich anfangen mit mir zu reden.

Entschlossen kehrte ich zur Straßenbahn zurück. Irgendwie ging es mir jetzt auch schon viel besser. Diese Kündigung war bestimmt ein Zeichen. Von jetzt an würde es nur noch aufwärts in meinem Leben gehen. Ich würde komplett neu anfangen. Auch wenn ich so das Gefühl hatte, dass mir das auch nicht Tyler zurückbrachte. Aber... diesen Gedanken drängte ich erstmal beiseite. Der Tag war doch heute wunderschön. Die Sonne war am Scheinen und keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen.

Zum Glück hatte ich Tylers Vorschlag befolgt und diesen Schlüssel noch nicht abgegeben. Vielleicht könnte ich so die Pflanze unbemerkt mitnehmen.... Quatsch, Jamie! Du wolltest doch mit ihm reden. Irgendwie ja schon, doch trotzdem hatte ich ein wenig Angst.

Mit wackeligen Knien ging ich durch den Flur bis ganz zum Ende, wo sich Tylers Zimmer befand. Der Geruch, der dieses Haus erfüllte, war mir immer noch vollkommen vertraut... leider und ich liebte ihn noch so sehr. Er erinnerte mich an Heimat und Zuhause. Dieses kleine neue Appartement war leider noch kein Stück zu meinem neuen Zuhause geworden.

»Tyler! Ich wollte mir noch die Rose abholen, die du mir geschenkt hast. Ich brauche-«, doch weiter schaffte ich es nicht. Nein, nun wirklich nicht. Ich hatte gerade wirklich damit zu kämpfen, dass mir nicht das Essen von vorhin wieder hoch kam. Da war Tyler... im Bett... mit irgendeiner blonden Schlampe! Na dann konnten seine Probleme ja doch nicht allzu groß sein, oder?

Anscheinend hatten die beiden Turteltauben mich dann auch mal endlich bemerkt.
»Jamie, warte! Ich kann das erklären...« Doch das brauchte er gar nicht. Ich wusste genug! Hektisch stürmte ich aus meinem Zimmer. Ich hörte noch wie Tyler mir hinterher lief. »Jamie! Lass es mich bitte erklären! Ich liebe dich doch noch!«
Seine Worte machten mich nur noch wütender. »Was willst du da erklären? Würdest du mich so sehr lieben wie ich dich liebe, hättest du nicht mit dieser Schlampe geschlafen! Irgendwas in meinem Leben muss ich in der Vergangenheit falsch gemacht haben. Ich dachte unsere Liebe wäre besonders, doch manchmal bricht wohl auch wahre Liebe.«

Als Tyler Tränen über die Wangen liefen, wurde ich für kurzen Moment leider schwach. Aber wirklich nur ganz kurz. »Leider habe ich die Rose nicht mehr... aber, bitte.« Er kramte in seiner Hosentasche nach etwas. Es sah aus wie eine Taschenuhr. »Diese Uhr bedeutet mir sehr viel. Nimm sie im Gegenzug an.«

Wie erstarrt beobachtete ich wie mir Tyler die Taschenuhr in die Hand drückte. »Ich will diese dumme Uhr nicht! Kein Mädchen wünscht sich von einem Kerl eine Taschenuhr. Früher ... da hast du mir noch Rosen geschenkt, aber die bekommt jetzt anscheinend diese blonde Schlampe!« Ich konnte meine Wut nicht mehr unterdrücken. Die Tränen flossen aus meinen Augen wie ein Wasserfall. Ich hatte mich wohl geirrt. Diese Kündigung war der Start dafür, dass mein Leben noch beschissener wurde. War es überhaupt noch ein Leben? Sollte ich es vielleicht eher Hölle nennen?

Voller Wucht pfefferte ich die beschissene Uhr gegen die Wand.

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