3 ◄ Frühstück mit einem Geist

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»Jamie, Schätzchen! Aufstehen!« Die Stimme meiner Mutter hatte mich schon lange nicht mehr geweckt. Auch wenn ich morgens noch zu nichts zu gebrauchen war und ich mich am liebsten sofort wieder umgedreht hätte, war das irgendwie eine Sache, die mir gefehlt hatte. Nur die Besuche an den Wochenenden waren echt zu wenig und ich fand es jetzt schön, meine Eltern wieder regelmäßiger zu sehen.

»Bevor ich es vergesse«, sie stand nun an meiner Zimmertür. »Wir haben neue Nachbarn und ich glaube, der Junge ist in deinem Alter. Vielleicht kannst du da ja mal vorbei schauen.« Moment, ich erinnerte mich noch blass an dieses Gespräch. Ich glaube ich habe damals etwas geantwortet wie: Muss das sein? Ich bin noch nicht mal richtig wach.

»Ich wäre dir dankbar, wenn du der Bitte deiner Mutter nachgehst«, sagte plötzlich eine Stimme neben mir. Ah, mein persönlicher Geist. Wo kam der bitte so schnell her? Das war ja mal voll nervig. Schon so früh am Morgen.
»Danke für die Info, Mum. Ich denk drüber nach.«

»Du denkst drüber nach? Also echt! Ich bin schwer enttäuscht. Da hilft man einen und bekommt im Gegenzug nicht mal einen kleinen Besuch.« Klappe. Einfach nur Klappe. Leider konnte ich das nicht laut sagen, da meine Mum sonst gekränkt wäre.

Als sie schließlich außer Reichweite war, sagte ich mit finsterem Blick: »Musst du schon so früh hier sein?«
»Nö, aber ich habe keine Ahnung wo ich sonst hin soll. Sonst hört mich ja niemand... mit aller Wahrscheinlichkeit.«

Stöhnend erhob ich mich aus meinem Bett. »Was habe ich nur für ein Glück. Kann ich mich wenigstens in Ruhe umziehen?«
Auch wenn es so aussah als würde er das Zimmer verlassen, konnte er es sich anscheinend nicht verkneifen noch ein letztes Mal zu sagen: »Ein bisschen mehr Dankbarkeit würde dir sicher gut tun. Und tu nicht so als wäre dein Schicksaal jetzt so schlecht. Nicht jeder bekommt eine zweite Chance in seinem Leben. Sei damit doch einfach glücklich.«

Pah, natürlich war ich glücklich. Aber Tyler würde sich auch ohne Marlons Hilfe wieder in mich verlieben. Dazu brauchte ich keinen persönlichen Geisthelfer. Doch mein Unterbewusstsein schrie: Ach wirklich? Aber du hast es anscheinend nicht hinbekommen, dass diese Liebe auch für immer hält. Aber kann ein Geist daran etwas ändern?

»Warte mal«, rief ich ihm also noch hinterher. »Noch kurz, bevor ich mich umziehe. Was ist überhaupt unser Plan? Dass sich Tyler wieder in mich verliebt, wird nicht schwer sein. Aber wie stellen wir sicher, dass es dieses Mal für immer ist?«
»Keine Ahnung. Wenn es wirklich stimmt, dass ihr euch wegen seinen Problemen getrennt habt, könnte ich ihn als Geist vielleicht ein bisschen ausspannen. Du weißt schon, es herausfinden und nach Möglichkeit verhindern.«

Auch wenn Ausspannen ziemlich erbärmlich ist, hatte Marlon vermutlich Recht. Das wäre womöglich unsere einzige Chance.

Missmutig schlenderte zu meinen Kleiderschrank rüber. Wie hatte ich mich mit sechzehn gekleidet? Ach... das ist ja schon eine Weile her. Ob ich Marlon gegenüber noch erwähnen sollte, dass es vielleicht mit Tyler doch etwas schwieriger werden könnte? Ach, es würde eh klappen! Auch wenn Tyler als beliebter Junge unscheinbare Mädchen wie mich anfangs nie wahrgenommen hatte, irgendwann würde er das schon wieder.

Ich entschied mich schließlich für das gelbe New-York-City-Top mit der schwarzen Jeans und den Biker Boots. Als ich die einzelnen Kleidungsstücke in meinem Schrank entdeckt hatte, erinnerte ich mich wieder daran, dass ich sowas getragen habe.

Danach suchte ich das Badezimmer auf. Duschen tat ich nicht, auch wenn ich nicht wusste, wann mein sechzehnjähriges Ich das letzte Mal geduscht hatte. Dazu hatte ich jetzt irgendwie keine Lust. Heute Abend musste reichen.

Als ich das Notwendige erledigt hatte, verließ ich das Badezimmer und ging nach unten um zu Frühstücken. Dort traf ich dann auch wieder auf Marlon. Mensch, der musste auch immer da sein. Obwohl... tief in mir tat er mir irgendwie Leid. Konnte nur mit mir reden... und musste dann auch noch meine Drecksarbeit erledigen, um dieser Hölle zu entkommen. Dessen war er sich noch nicht mal zu hundert Prozent sicher. Er vermutete es nur... und es war ja auch naheliegend.

»Denkst du Geister müssen auch was essen?«, fragte er mich. Gerade als ich ihm antworten wollte, auf eine Frage auf der ich keine Antwort kannte, beantwortete er sich die Frage selbst: »Ich hoffe nicht, denn sonst weile ich nicht mehr lange unter den Lebenden. Ich könnte das Essen ja nicht mal berühren.« Er konnte nicht mal Dinge berühren? Okay, das war hart.

»Die Mitleidsrede muss bis nach dem Frühstück warten. Ich werde jetzt die Küche betreten«, flüsterte ich Marlon zu. Stumm folgte er mir und lehnte sich gegen den Tresen, obwohl er diesen wahrscheinlich nicht mal spüren konnte.
Ich setzte mich währenddessen zu meinen Eltern und meiner Schwester an den Tisch.

Ich schnappte mir ein Toastbrot und beschmierte es mit Honig. Gedankenverloren griff ich zur Kaffeekanne und füllte meine Tasse.
»Seit wann trinkst du Kaffee?«, fragte mich Caroline. Mist.
»Ich trinke keinen Kaffee, aber ich habe heute wirklich schlecht geschlafen und brauche ihn einfach.« Meine Schwester war immer noch skeptisch. Kein Wunder, denn früher habe ich Kaffee gehasst. Ich wäre lieber im Unterricht eingeschlafen als auch nur einen Schluck zu trinken.

»Oh, Jamie. Das klappt ja noch gar nicht gut. Du musst eine bessere Sechzehnjährige werden.« Ja, Marlons Kommentare waren jetzt nicht gerade hilfreich.
»Was macht ihr eigentlich auf dem Schulfest?«, fragte mich Caroline. Bor, sei doch einfach still. Immer musste sie so verdammt neugierig sein. Das Schulfest? Natürlich erinnerte ich mich nicht mehr an ein Schulfest, geschweige was wir da gemacht haben.

»Du warst am Glücksrad«, kam es plötzlich vom Tresen. Ich bedachte Marlon mit einem Blick, der sagen sollte: Woher zur Hölle weißt du das?
Keine Ahnung, ob er ihn deuten konnte oder ob er es mir einfach nur so erklärte. Jedenfalls tat er es anschließend: »Ich habe diesen Stand besucht. Da habe ich dich das erste Mal getroffen.«

Echt? Ich hatte immer gedacht, dass wir uns in der Schule das erste Mal getroffen hatten. Aber hä? Dann ging er noch gar nicht in meine Klasse, obwohl er schon hier wohnte? Oder wann ist dieses Schulfest?
»Ich bin am Glücksrad.«
»Cool. Ich glaube das ist direkt neben den Waffelstand, wo ich bin. Vielleicht sehen wir uns da im Laufe des Vormittags.« Äh, also Heute? Ein Blick auf die Küchenplatte, auf der Waffelteig stand, lieferte mir meine Antwort.

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