»Nichts ist los. Ich gehöre einfach zu der Sorte Menschen, die von vorne rein alles anzweifeln. Aber... Ich schätze, mit dir ist es irgendwie anders.« Er rang sich ein Lächeln ab, das ich ihm natürlich nicht abkaufte.
Da wurde es mir bewusst: Er würde mir nichts erzählen, zumindest heute Abend nicht. Mein Problem war, dass ich es trotzdem wusste und einfach nicht damit umgehen konnte. Ich musste dringend mit jemanden darüber reden, nur durfte ich es nicht.
»Wenn ich dich sehe, Jamie, dann könnte ich mir vorstellen den Rest meines Lebens mit dir zu verbringen.« Wow, aufmunternde Worte, wenn man bedachte, dass er noch ein paar Monate zu leben hatte. Himmel, sogar manche Beziehungen von Ashley David hielten länger!
Ich kämpfte mit den Tränen, die sich in meinen Augen ansammeln wollten. »Ich könnte es mir auch vorstellen.« Nur wurde ja nichts daraus. »Ich finde, wir sollten jetzt zur Bar rüber gehen.« Wir hatten lange genug getanzt, außerdem brauchte ich den Alkohol, um auf andere Gedanken zu kommen.
Marlon schien nicht ganz dafür zu sein. Verständlich. Seine letzten verbleibenden Stunden wollte er sicher nicht mit Alkohol vergeuden. Für mich war das kein Grund. Ich würde mit Sicherheit noch verflucht lange auf dieser Erde wandeln, ohne Marlon, ohne mein Happy End. Wozu war dieser ganze Zeitsprung-Quatsch überhaupt gut gewesen, wenn es am Ende eh wieder nach hinten los ging?
»Jetzt komm schon. Eben haben wir das gemacht was du willst, jetzt bin ich dran.« Erpressung setzte ich nicht gerne ein, aber hierbei ging es nicht anders. Gerade wollte ich ihn schon mit mir ziehen, da schlug er vor: »Was hältst du davon, wenn ich gerade zu Jason rüber gehe und mich ein wenig mit ihm unterhalte. Später können wir uns dann ja wieder treffen. Wir kennen hier im Club sowieso mehr als die Hälfte der Gäste.«
Ich wollte protestieren. Die wenige Zeit, die uns beiden noch blieb, wollte ich mit Marlon verbringen. Ihm gegenüber wäre das allerdings nicht fair, wenn er nicht an die Bar wollte. Wer konnte einem so-gut-wie-Toten schon seine letzten Wünsche ausschlagen?
»Abgemacht«, murmelte ich. Bevor ich mich auf den Weg zur Bar machte, drückte ich ihm noch einen intensiven Kuss auf die Lippen. Ich genoss es, als könnte es unser letzter gewesen sein... auch wenn er das vermutlich nicht war. Viele konnten da jedoch nicht mehr kommen.
Verdammt, meine Tränendrüsen wollten wieder verrücktspielen. Bevor der Kuss noch salzig schmecken konnte, entzog ich mich ihm ruckartig. Meine Knie zitterten während des Weges zur Theke. Der Kloß steckte mir tief im Hals und, auch wenn ich krampfhaft dagegen ankämpfte, wurden meine Wangen mit verdammten Tränen befeuchtet.
»Ein Wodka-O, bitte.« Ich erschrak, als ich feststellen musste, dass meine Stimme total zittrig klang.
»Mit dir alles okay?«, fragte der Barkeeper und hob seine Augenbraue. »War dein Zeugnis etwa so schlecht?«Ich weiß, dass er nur versuchte witzig zu sein, aber momentan konnte ich das echt nicht gebrauchen. Er wollte mich aufmuntern? Das war vielleicht möglich, wenn es hier wirklich um ein gottverdammtes Zeugnis ging. Aber nicht, wenn dein Freund in ein paar Monaten tot war!
»Ja, ja. Bringen Sie mir einfach mein Getränk«, fauchte ich. Huch, eigentlich wollte ich mich gar nicht so im Ton vergreifen.
Während er den Orangensaft mit (meiner Meinung nach viel zu wenig) Wodka vermischte, meinte er zu mir: »Wenn du mich fragst, dann sollte man Alkohol nur dann trinken, wenn man gute Laune hat.«Ach, wirklich? Und wie sollte man sonst seiner Meinung nach die schlimmste Party seines Lebens überstehen? Mit Coca Cola oder besser noch ... Leitungswasser? Nein, sicher nicht. »Sie stehen nicht gerade in der Position über mich zu urteilen.«
Daraufhin lachte er, während er mir meinen Drink rüber schob. »Wer immer der Typ ist, er ist es ganz sicher nicht wert, wenn er dich zum Weinen bringt.« Oh, am liebsten hätte ich diesem Arsch jetzt die Wahrheit gegen den Kopf gepfeffert. Nur durfte keiner wissen, was ich wusste.
»Ich kann mich nur wiederholen: Urteilen sie nicht über mich oder den Leuten, die mir nahe stehen, wenn Sie keine Ahnung haben.« Mit meinem Getränk in der Hand verschwand ich dann auch wieder. Lange hätte ich es mit dem Barkeeper nicht mehr ausgehalten. Vielleicht war ja Caroline hier irgendwo.
Nach langem Suchen fand ich sie dann draußen... mit Joey. Ich glaube ich brauche nicht erwähnen, was die beiden da machten. Nicht falsch verstehen, ich freute mich so wahnsinnig für die beiden, aber glückliche Paare zogen mich im Moment einfach runter - egal wer. Mir wurde dann immer eingetrichtert, dass Marlon und ich diese Zukunft niemals haben könnten.
Da ich mir anders nicht zu helfen wusste, setzte ich mich schließlich doch wieder an die Bar. Hier gab es zwar den nervigen Barkeeper, aber auch ständigen Nachschub an Alkohol.
Irgendwann nahm ich mein Umfeld nur noch schwammig war. Ich erinnerte mich noch daran den Barkeeper gefragt zu haben, ob er mal jemanden verloren hätte, den er liebt. Die Antwort... keine Ahnung... Vermutlich hatte er mich ausgelacht und darüber gescherzt, dass ich noch so jung wäre... High School Liebe eh vergeht. Aber ich verlor nicht nur meine High School Liebe. Ich verlor meine Chance auf eine Musikkarriere. Ohne Marlons geile Musik bin ich nur noch durchschnittlich.
Später am Abend ertönte dann von irgendwo Carolines Stimme, die mich fragte wo Marlon sei. Am liebsten hätte ich auf den Weg zum Tod geantwortet, einfach um mein Problem laut auszusprechen. Doch selbst vernebelt war ich mir über die Konsequenzen bewusst. Richtige Worte brachte ich eh nicht mehr über die Lippen.
»Nehme sie bloß mit! Sie hat heute Abend viel zu viel getrunken... und geweint schätze ich«, die Worte des Barkeepers schalten noch laut gegen mein Ohr und Carolines anschließende Frage, ob Marlon und ich uns getrennt hätten. Wie gerne würde ich mich von ihm trennen, wenn er dafür weiter leben konnte.
Dann bemerkte ich nur noch Carolines stützende Hand um meine Taille, die mich hilflos durch den Saal schleifte. Vermutlich hätte ich sogar noch selbstständig gehen können, nur wollte ich es einfach nicht mehr. Ich hatte aufgegeben. Joey musste irgendwann dazu gestoßen sein - und später dann auch Marlon.
Einen Teil der anschließenden Konversation hatte ich mir gemerkt, der mich interessiert hatte:
»Warum hat sie sich so zu gedröhnt? Hast du etwa mit ihr Schluss gemacht?« Eindeutig Caroline, die einzige weibliche Stimme in meinem Umfeld.
»Nein, natürlich nicht! Ich... Ich schätze ich habe kurz an eine gemeinsame Zukunft mit ihr gezweifelt. Aber gleich im Anschluss habe ich es wieder zurückgenommen, ich schwöre!« Hätte er aber nicht gebraucht. Dann wäre es wenigstens die Wahrheit gewesen.
»Du Idiot! Eine glückliche Zukunft ist Jamie schon immer sehr wichtig gewesen. Allein dein kurzer Zweifel könnte sie denken lassen, dass du sie nicht so sehr liebst wie sie dich.« Sie diskutierten über Probleme, die keine Probleme waren. Zumindest mit der Tatsache verglichen, dass Marlon bald sterben würde.
»Es tut mir so leid, Jamie.« Die letzten Worte, an die ich mich von Marlon an diesem Abend erinnern konnte. Ich wusste nicht, ob es an den Unmengen von Alkohol lag, dass ich Marlon zwei Mal sah... oder ob diese letzten Worte tatsächlich von Geist-Marlon stammten. Nein, das war nicht möglich. Es musste der Alkohol gewesen sein.
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Genç Kurgu„𝒾𝒻 𝒾𝓉 𝓉𝒶𝓀ℯ𝓈 𝓉𝒾𝓂ℯ 𝓉ℴ 𝑔ℯ𝓉 𝓉ℴ 𝓎ℴ𝓊, 𝒾'𝓁𝓁 𝑔ℯ𝓉 𝓉ℴ 𝓎ℴ𝓊" ~ 𝐓𝐡𝐞 𝐍𝐚𝐜𝐢𝐨𝐧𝐚𝐥 𝐏𝐚𝐫𝐤𝐬 ⌫ Sie zählte schon ihr ganzes Leben zu den Menschen, die jeder auf der Straße wiedererkennt, aber kaum jemand ahnt di...