Hallo Thilo,
am heutigen Tag habe ich wieder einmal nach einem Schuldigen gesucht. Wer ist schuld an meiner Misere? Sind es Christian und Luan, die mir ehrlich mitteilen, warum ich mich nicht in die Klassengemeinschaft einfüge? Oder sind es Taha und Pascal, die zwar nicht deutlich machen, mich als Person zu verachten, aber mir trotzdem subtil mitteilen, es wäre langsam an der Zeit, mir den Damenbart zu zupfen? Ist es Finn, der mir letztens freundlich die Tür aufgehalten hat? Seitdem glaube ich, dass er sich entweder lustig macht oder dass er in mich verliebt ist. Beides eine ziemliche Misere. Kann aber sein, dass es an Zoey und David liegt, weil sie einfach nichts tun. Genau wie ich. Vielleicht sind es auch Maren und Vivien, die sich immer mal wieder für mich einsetzen, wenn ich gemobbt werde.
Sie haben mich letztens sogar zu ihrer Party eingeladen. Wusstest du das? Ich bin hingegangen, weil ich wollte, dass das mit uns funktioniert. Ab und an haben sie mich in ihre Gespräche eingebunden. Sie fragten, ob ich Christians Koteletten genauso abartig finde. Ich habe genickt. Nur genickt. Obwohl ich mir vorher fest vorgenommen habe, mindestens zehn Sätze mit ihnen zu reden. Jetzt sind sie sauer auf mich und geben mir das Gefühl, falsch zu sein. Sie waren so freundlich und wieder einmal finde ich Bestätigung: Es liegt an mir.
Wenn ich die Augen schließe, dann ist mir klar, dass ich für all das nichts kann. Aber in der bunten Welt dort draußen frage ich mich manchmal, ob es nicht besser wäre, dass jemand die Schule niederbrennt. Bald endet meine Zeit an der Realschule und ich muss die Entscheidung treffen, was dann sein wird.
Als Frau Steinfeld uns heute in Französisch fragte, was wir nach dem Abschluss vorhaben, habe ich ihr mitgeteilt, für mein Abi weiter zur Schule zu gehen. Ihre Augen haben sich geweitet. »Willst du nicht lieber eine Ausbildung machen?«
Statt ihr eine Antwort zu geben, habe ich lange über ihre Worte nachgegrübelt. Mich gefragt, ob sie in Kontakt zu meinem Physiklehrer steht und deshalb an mein Scheitern glaubt. Hier im Zimmer wird mir inzwischen der wahre Grund deutlich. Sie will es mir ersparen, an der neuen Schule vor denselben Problemen zu stehen. Auch ohne dass sie mich auf Marens und Viviens Party erlebt hat, ahnt Frau Steinfeld, dass mein Vorhaben erneut scheitern wird.
Heute schreibe ich dir, um mich daran zu erinnern, ihr das Gegenteil zu beweisen.
Ich bin stark.
Und liebenswert.
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Ficção Adolescente„𝒾𝒻 𝒾𝓉 𝓉𝒶𝓀ℯ𝓈 𝓉𝒾𝓂ℯ 𝓉ℴ 𝑔ℯ𝓉 𝓉ℴ 𝓎ℴ𝓊, 𝒾'𝓁𝓁 𝑔ℯ𝓉 𝓉ℴ 𝓎ℴ𝓊" ~ 𝐓𝐡𝐞 𝐍𝐚𝐜𝐢𝐨𝐧𝐚𝐥 𝐏𝐚𝐫𝐤𝐬 ⌫ Sie zählte schon ihr ganzes Leben zu den Menschen, die jeder auf der Straße wiedererkennt, aber kaum jemand ahnt di...