12 ◄ Der falsche Postbote

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»Also, ich muss ja sagen, dass du ziemlich schnell lernst. Bist wohl wirklich einfach nur faul?«

Nach einigen Stunden schweißtreibendem Lernen, konnte ich mich endlich zurück lehnen.

»Ich würde dir ja raten einfach mal deine Hausaufgaben zu machen.«

Empört stemmte ich meine Hände an meine Seite. »Hallo?! Ich mache meine Hausaufgaben!«

Marlon lachte auf. »Aber bestimmt nicht gründlich genug. Sonst brauchtest du jetzt keine Nachhilfe.« Keine Ahnung, was ich darauf erwidern könnte. Die Wahrheit ging ja schlecht.

»Solltest du dich über meine Faulheit nicht eigentlich freuen? Du wirst immerhin bezahlt.«

»Und vergiss deine tolle Gesellschaft nicht. Sonst würde ich mich jetzt langweilen.«

»Na siehst du: Win-Win-Situation.« Langsam erhob ich mich vom Stuhl und streckte meinen trägen Körper einmal komplett durch.

»Gehst du jetzt schon wieder?«, fragte mich Marlon. Er machte einen ziemlich enttäuschten Eindruck.

»Ich kann sonst auch noch bleiben. Ob ich jetzt Zuhause rumsitze oder hier spielt ja am Ende keine Rolle.«

Das strahlende Lächeln erhellte sein Gesicht. Was auch ein Vorteil sein könnte: Sein nerviges zweites Ich hatte sich den ganzen Nachmittag noch nicht gezeigt. Wenn ich Glück hatte, hielt er sich nicht gerne mit seinem früheren Ich auf. Ist bestimmt seltsam sich selbst zu sehen.

»Cool. Wozu hättest du denn Lust?« Ich überlegte kurz. Da fiel mir eine Sache ein, die noch zu erledigen war.

»Du könntest mit zu mir kommen. Da könnten wir meiner Schwester Caroline dabei helfen die Einladungskarten für ihren Geburtstag zu verteilen. Ich sollte dich übrigens noch von ihr grüßen.« Ha! Ich hatte es ja wohl gemacht, Marlon! »Das sind nämlich unglaublich viele.«

»Können wir machen. Wie alt wird sie denn?«, fragte er.

»Achtzehn. Deshalb auch der große Aufwand. Sie plant diese Party schon seit Wochen.« Nicht nur für Caroline ist dieses Ereignis unglaublich wichtig. Das war auch das Datum, wo Tyler und ich uns das erste Mal trafen.

»Du bist also unser besagter neue Nachbar Marlon. Ich bin Caroline. Wetten, Jamie hat vergessen dich von mir zu grüßen?« Was hatten die eigentlich alle? Besaß ich eine Aura, die aussagte: Nein, ich grüße Leute nie! Erst Marlon... und jetzt auch noch Caroline.

Marlon musste sich das Lachen verkneifen. »Nein, nein. Hat sie sogar gemacht.«

Caroline hob anerkennend den Kopf. »Wow, Respekt. Ich hätte das ganz sicher vergessen.«

Das hieß aber nichts. Caroline vergaß ständig Dinge. In der Sporthalle der Schule hatte sie schon vier Jogginghosen hinterlassen. Ob sie wohl an alle Personen gedacht hatte, die sie einladen wollte?

Sie durchblätterte die Umschläge, gab mir dabei ein paar in die Hand, die anderen behielt sie für sich. »Die könnt ihr weg bringen. Ich nehme diese hier.«

Marlon starrte skeptisch auf den großen Stapel Umschläge in meiner Hand. »Warum verteilst du die nicht einfach in der Schule als dass wir jetzt von einem Haus zum anderen gehen?«

»Oh, die habe ich schon aussortiert. Diese sind nur für die Leute, die ich nicht dort treffe.«

»Und trotzdem noch so viele?«

Caroline grinste. »Das sind noch relativ wenige. Warte mal kurz...« Sie ging rüber zur Anrichte und holte einen weiteren Umschlag, den sie Marlon in die Hand drückte. »Der hier ist für dich.«

»Was? Du lädst selbst mich ein? Aber wir kennen uns doch erst seit kurzem.«

»Ich habe immer welche als Ersatz ausgedruckt. Außerdem haben wir uns kennengelernt, haben geredet... das ist etwas, was du ein Drittel der Gäste voraus hast.«

Ungläubig zog er seine Stirn kraus. Bevor ich Caroline auslachen konnte, erklärte ich Marlon schnell: »Sie meinte fast alle auf unserer Schule einladen zu müssen. Die Hälfte dann so zu ihr: Äh, wer bist du überhaupt?«

Verärgert schlug mich Caroline gegen die Schulter. »Ey! Weniger als die Hälfte! Ein Drittel!« Jetzt konnte ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten und verfiel in einen Lachkrampf.

»Ach, was habe ich nur für komische Nachbarn...«, grinste Marlon vor sich hin. Caroline, immer noch verärgert, deutete mit eisernem Blick auf die Tür. Auch wenn sie es vermutlich nicht gewollt hatte, ein Grinsen konnte sie sich jetzt doch nicht mehr verkneifen. »An die Arbeit!«

»Ja, Königin«, trällerte ich, während wir uns alle drei auf den Weg nach draußen machten. Nur bog Caroline rechts und Marlon und ich links ab.

Als wir dann alleine waren, war das Grinsen immer noch nicht aus Marlons Gesicht verschwunden. »Kann mir gar nicht vorstellen, dass ihr beide Schwestern seid. Ich wette sie macht ihre Hausaufgaben immer fleißig.«

»Oh ja. Caroline ist eine kleine Streberin.« Kein Nerd, aber sie hatte die Schule schon immer ernster als ich genommen. Nicht dass ich faul gewesen bin, wie Marlon es von mir dachte, allerdings ... tat ich nur das was notwendig war, um eine gute Note zu erreichen.

Während wir durch die Straßen gingen durchblätterte ich die Umschläge... und verharrte schließlich bei einem Namen. Joey Primes? Also nicht das man mich jetzt falsch verstand. Joey fiel schon in die richtige Sparte: Er wohnte nicht so weit entfernt, man konnte sein Haus prima zu Fuß erreichen. Er ging auch nicht auf unsere Schule. Nach der Grundschule ist er auf eine andere als Caroline und ich gegangen. Der Kontakt hat trotzdem weiterhin gehalten.

Aber warum zur Hölle gab sie ihm den Umschlag nicht selbst? Ob er nicht auf ihrem Weg lag? Ob es bei unserer Route praktischer war? Nein. Im Normalfall hätte Caroline alles getan, um selbst bei Joey rum zu gehen. Dann hätten sie anschließend noch quatschen können. Warum sollten also jetzt Marlon und ich Postbote bei Joey spielen?

Wollte sie, dass auch Marlon meinen Fakefreund kennenlernte? Wohl kaum. Ob Joeys Plan wirklich funktionierte... und Caroline jetzt eifersüchtig war? Das wäre ja wohl der optimalste Grund. Leider traute ich dem Leben was optimal anging nicht mehr über den Weg.

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