⊱Kapitel 2⊰

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Der Junge, der in meinem Alter zu sein scheint nickt nur kurz und widmet sich dann wieder voll und ganz seinem Handy. Ein wenig zögerlich greife ich nach dem Tragegriff seines Rucksacks und stelle ihn auf den Boden zwischen unserer und der Sitzreihe vor uns. Langsam quetsche ich mich auf den schmalen Sitz und überkreuze meine Beine, um sie überhaupt in die Reihe zu bekommen. Es wäre so viel einfacher, wenn er einfach seinen Rucksack zu sich nehmen würde.

Meine Finger tippen unruhig auf meinem rechten Knie auf und ab, da ich absolut nicht weiß, wohin mit ihnen. Ich könnte es ihm gleich tun und abwesend auf mein Handy starren, denn ein kurzer, unauffälliger Seitenblick verrät mir, dass er nicht vor hat die restliche Busfahrt anders zu nutzen. Allerdings bin ich viel zu nervös, als das ich auch nur ein Zeichen auf meinem Display erkennen könnte. Mal abgesehen davon, wird mir beim Bus-, Auto- und Zugfahren grundsätzlich schlecht, wenn ich all zu lange auf mein Handy schaue. Einmal hatte ich versucht auf einer Klassenfahrt im Bus zu lesen. Im Nachhinein war das nicht die klügste Idee. Hätte der Busfahrer nicht im letzten Moment eine Pause angekündigt, dann hätte ich ihm womöglich die Sitze versaut.

Endlich spüre ich einen leichten Ruck und das Surren des Motors. Fast befürchtete ich schon, dass der Fahrer hier übernachten wollte. Während der Fahrt bemühe ich mich aufrichtig nicht all zu oft zu dem Jungen neben mir zu schauen. So richtig gelingen will mir das nicht. Er hat etwas an sich, dass mich permanent anzieht. Wie es wohl wäre, durch seine braunen Locken zu wuscheln? Oder sich in seinen eisblauen Augen zu verlieren? Wohl bemerkt die schönsten, in die ich je geblickt habe. Was auch immer in mich gefahren ist, dass ich sowas überhaupt denke. Ich kenne ihn schließlich nicht einmal. Nur eins ist mir definitiv klar. Er ist anders. Ganz anders als die anderen Typen, die mir bisher begegnet sind. Und vor allem ganz anders, als die Idioten, wie der Junge von der Haltestelle einer ist.

Abermals versuche ich mich aus meinen Tagträumen zu reißen und mich wieder auf meine Finger zu konzentrieren, die noch immer auf meinem Knie hin und her wippen. Ich frage mich, ob der Fremde vielleicht Mitglied in einer dieser Highschool Sportmannschaften ist? Auch wenn sein weißes Shirt eher weit geschnitten ist, lässt sich durch die enge, schwarze Strickjacke ein deutlicher Ansatz von Muskeln erkennen. Etwas, das mit aus Washington wahnsinnig bekannt vorkommt. Viele meiner Mitbewohner suchten im Sport die Anerkennung, die ihnen die Betreuer im Heim nicht geben konnten. Sie waren immer so stolz, wenn sie ein Spiel gewonnen hatten, dass ich mir nur allzu gut vorstellen kann, wie sehr das Ganze ihr Selbstwertgefühl gesteigert haben muss.

Die Häuser und Bäume rauschen an uns vorbei. Des Öfteren werden wir langsamer, halten an und fahren erneut los. Auch wenn es kindisch ist, kann ich einfach nirgends anders hinschauen, als zu dem zurückgezogenem Jungen neben mir. Ich hoffe inständig, dass er es nicht bemerkt. Irgendwann halten wir ein weiteres Mal. Diesmal war es ein großes Schulgebäude und anders als zuvor, drängen sich die Massen an Schülern des überfüllten Busses nur in eine Richtung - nach draußen. Für einen winzigen Moment lasse ich meinen Blick desinteressiert über die Schülerschaft wandern. Erst als ich das Schließen der Türen wahrnehm, ändert sich meine Blickrichtung.

Augenblicklich steckt der Unbekannte sein Handy weg und dreht seinen Kopf so abrupt zu mir, dass ich gar keine andere Möglichkeit habr, als seinen forschenden Blick ertappt zu erwidern. Ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen schießt, die sich vermutlich in ein leuchtendes rot färben. Meine eben noch so nervösen Hände verkrampfen sich und drücken sich gegenseitig die Finger ab.
»Ist was?«, sein emotionsloser Blick ist fast unerträglich.
Er hat nichts von der Wärme, die ich die ganze Fahrt über neben mir spüre oder der Ausstrahlung seiner Augen.
»Ähm ne eigentlich nicht. Was sollte schon sein?«, stammel ich unbeholfen.
Verdammt. Er hat es doch bemerkt und dabei dachte ich die ganze Zeit, dass er viel zu sehr von seinem Handy abgelenkt ist.

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