⊱Kapitel 24⊰

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Verträumt blicke ich aus dem vom Blütenstaub belegtem Fenster des Schulbusses. Doch selbst mein Dauerlächeln, dass sich an jenem Abend mit Aiden auf meine Lippen geschlichen hat, schafft es den elendigen Dreck zu durchdringen und mit der, vor kurzem aufgegangenen, Sonne um die Wette zu strahlen.
Nachdem Aiden und ich eng umschlungen aufs Tal hinuntergeblickt haben, sind wir erst nach vollständigem Einbruch der Dunkelheit aufgebrochen, um rechtzeitig nach Hause zu kommen. Die meiste Zeit schwiegen wir, wie so oft. Aber Worte waren längst nicht mehr nötig. Niemals hätten sie ausdrücken können, was wir empfinden. Wie sehr wir wirklich fühlen ist uns beiden wohl erst klargeworden, als unsere Lippen miteinander verschmolzen sind. Der Gedanke an diesen magischen Augenblick lässt die Schmetterlinge in meinem Bauch noch immer wie wild tanzen. Wie sehr ich mir noch immer wünsche, dass dieser Moment zwischen uns niemals zuende gegangen wäre.
Allerdings bleibt auch die Ungewissheit und die Verwirrung. Denn nachdem mich Aiden zu Hause abgesetzt und liebevoll verabschiedet hat, hatte ich einiges an Zeit um über das Geschehene nachzudenken. Meine Gedanken kreisten über unseren Kuss, die Verbindung zwischen uns und Aiden wunderschöne Art und Weise mich mit einer innigen Umarmung und diesem endlosen Lächeln, das seine süßen Grübchen hervorruft, zu verabschieden. Dennoch blieben die Zweifel. Die Frage nach dem warum? Wie wird es bloß mit uns weitergehen? Vor allem, wenn ich Aiden niemals die Wahrheit sagen kann. Ich es niemals fertig bringen werde, mich ihm vollends anzuvertrauen. Es liegt nicht einmal an ihm, viel mehr an mir. Ich kann einfach nicht über meine Vergangenheit reden. So sehr ich es auch wollte und mir wünsche.
Aiden hat es nicht verdient angelogen zu werden. Er hat ein Recht darauf zu wissen, woran er bei mir ist. Zumal ich schon so viel über ihn und seine Gemütslage erfahren habe. Wissen, das mir hilft ihn zu verstehen. Ihn und seinen wandelbaren Seelenfrieden. Aber was noch viel, viel wichtiger ist. Was ist das überhaupt zwischen uns? Ist das wirklich Liebe? Das Gefühl, von dem immer alle schwärmen. Sie beflügeln lässt? Oder ist es einfach nur ein inneres Ungleichgewicht unserer selbst. Eine Reaktion unseres Körpers, der versucht mit seinen eigenen alltäglichen Belastungen klarzukommen und sie auf diese Art und Weise abbaut? Der die Liebe vortäuscht, um für ein wenig Glück in all dem Schlamassel zu sorgen?
Eigentlich ist Liebe ein so bedeutsames Wort, dass ich mich nicht einmal traue noch genauer über jene nachzudenken. Immerhin gibt es so viele Arten von Liebe. Liebe zu Essen oder gewissen Vorzügen. Aiden liebt die Fotografie und den Sport. Ich meine Gedichte. Es liegt mir fern, über Aidens Gefühle zu urteilen, aber ich frage mich, wie ich feststellen kann, ob ich seine heftigen Emotionen erwidern kann. Liebe ich Aiden wirklich so, wie man einen möglichen Partner liebt? Oder ist es eher seine Attraktivität, die die Liebe überdeckt, die keinesfalls tiefer geht, als die, die Alli und mich verbindet? Alles was ich weiß ist, dass es wohl noch eine Weile dauert, bis ich mir wirklich sicher sein kann.

Der Klingelton meines Handys lässt meinen Blick von der verdreckten Scheibe auf meinen Schoß sinken, auf dem ich mein Handy unbewusst fest umklammere. Das Display leuchtet auf und eine eingehende Nachricht von Alli springt mir entgegen.

Oh mein Gott! Nicht dein Ernst?! Ich brauche unbedingt eine genauere Berichtserstattung. Heute Abend?

Grinsend lösche ich die Nachricht vom Sperrbildschirm und beschließe ihr später zu antworten. So wie ich Allison kenne, hat sie einfach ihr Ladekabel verlegt und somit keine Gelegenheit mir am Wochenende zu antworten. Ich kann mit nur zu gut vorstellen, wie verzweifelt sie war, als sie voller Mühe nach diesem damlichen Netzteil gesucht hat, um endlich die ganze Geschichte unseres Dates zu erfahren. Ihre Neugier kann ich ihr nicht einmal übel nehmen. Ich bin mir sicher, dass es mir ganz genauso ginge, würde Alli sich zum ersten Mal mit einem Kerl treffen. Ich meine so richtig. Nicht wie auf jener Party vor einiger Zeit. Lächelnd stecke ich mein Handy in die vordere Tasche meines Rucksack, dessen Reißverschluss wie so oft klemmt. Wie gut, dass ich beschlossen habe, dass sich unsere Wege zu den nächsten Ferien trennen werden. Ob ich das wirklich durchziehe weiß ich allerdings nicht. Irgendwie fühle ich mich ziemlich dumm, immerhin ist es nur ein verdammter Rucksack. Gerade als ich ihn wieder vor mir in den Fußraum abstelle, vernehme ich neben mir eine mir so vertraute Stimme. Augenblicklich geht mir mein Herz auf und mein Lächeln wird um einiges breiter.

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