Eine gewisse Art der Vorfreude überkommt mich, während ich den schlichten, schwarzen Rock überstreife und das passende bordeaux farbende Top aus meinem Schrank ziehe. Lächelnd betrachte ich das Gesamtbild im Spiegel. Meine Haare habe ich leicht gelockt, sodass sie mir in geschwungenen Strähnen locker über die Schultern fallen.
Des Anlasses wegen habe ich mir sogar etwas von Vics Schminke geliehen. Bisher ist es ihr nicht aufgefallen. Ich hoffe inständig, dass das auch so bleibt. Das mit einem Spitzenrand besetzte Top steckt absichtlich unter dem Bund des knielangen in Falten liegenden Rockes und vollendet so zusammen mit den unbequemen Stöckelschuhen das Gesamtbild. In diesem Augenblick frage ich mich, warum ich nicht einfach die bequemeren Sneakers angezogen habe. Einen Unterschied hätte es keineswegs gemacht. Immerhin gehe ich nicht davon aus, dass es überhaupt irgendjemanden großartig auffallen wird. Jo wird es egal sein, Ethan interessiert es sowieso nicht und all die anderen in Jos Clique wissen genau, wie man die Dinge ignoriert. Außerdem ist ihnen selbst am besten bewusst, was für eine Folter diese Absätze sind. Ich wünschte jemand könnte mir sagen, warum ich überhaupt über so einen Mist nachdenke. Tief im Inneren ist die Antwort eigentlich gar nicht so schwer, aber mein Verstand weigert sich die Wahrheit in sinnvolle Gedanken zu formen. Lieber schickt er mein dämliches Herz vor, dass bei der Erinnerung an ihn direkt zu hüpfen beginnt. Seit Montag hat sich kaum etwas geändert. Ich sitze weiterhin auf meinem Platz im Kunstunterricht und Aiden ignoriert mich hauptsächlich. In der Cafeteria würdigt er mich keines Blickes und am Rande des Footballfeldes lässt er sich gar nicht erst blicken. Zu Beginn der Woche störte mich das irgendwie. Mittlerweile sehe ich das anders. Schließlich kann ich in Ruhe meine Gedichte schreiben oder zu Mittag essen. Nur die Fähigkeit mich während des Unterrichtes auf das Wesentliche zu konzentrieren ist mir abhandengekommen. Dafür ist Aiden schlicht zu präsent.
Gelegentlich ertappe ich mich dabei, wie ich ihn für eine Weile beobachte, wenn er sich Notizen zum Stoff in seinen College Block kritzelt oder starr zum Lehrer schaut. Jedes Mal muss ich wie eine Bekloppte grinsen. Denn eines hatte ich in den letzten Tagen gelernt. Sein Verhalten meint er keineswegs unhöflich. Ganz im Gegenteil. Er bringt dadurch seine schüchterne und verlegene Seite zum Vorschein, von der ich glaubte, dass sie gar nicht erst existieren würde. Aber so kann sich irren. Aiden versucht uns mit seiner Ignoranz zu schützen und uns so vor dem Tratsch der Highschool zu verschonen. Ich sehe es immer wieder in seinen eisblauen Augen. Wie gespielt sein Desinteresse doch eigentlich ist. Wie gerne er wahrscheinlich mit mir sprechen würde. Außerhalb dieses ganzen Kunstprojektzirkuses. Ich sehe seine wahren Gefühle. Zumindest glaube ich sie zu spüren. Vielleicht ist da auch ein Funken Angst. Angst nicht mehr als Quarterback akzeptiert zu werden, wenn er sich mit mir abgibt. Mit der Neuen, die kaum ein Wort von sich gibt. Viel mehr plagt ihn wohl aber auch die Sorge, wie ich auf ihn reagieren würde, wenn er mich anspricht. Denn seine Verabschiedung am vergangenen Samstag war schon ziemlich speziell. Aber aufregend. Abermals denke ich an diesen Moment. An die untergehende Sonne, seine warme Stimme. An den undurchdringlichen Blick des kalten Ozeans und die aufkommende Hitze hinter meiner Stirn, die sich schleichend durch meinen gesamten Körper ausbreitet, als Aiden mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn drückt. Augenblicklich beginnt meine Haut erneut zu kribbeln. Allein der Gedanke an diesen Moment lässt mich so intensiv fühlen. Ob er an diesem Abend mit mir reden wird? Zwischen all dem Gedränge und dem Alkohol. Entweder wird er es in einem unbeobachteten Moment versuchen oder mich genauso wie in der vergangenen Woche links liegen lassen. Mit einem Kopfschütteln lasse ich die komplizierten Gedanken fallen und schnappe mir rasch Ethans Geschenk, ehe ich aus der Tür eile und mich auf den Weg zur Party mache.Schon von Weitem kann ich das Dröhnen der Musik hören und einige betrunkene Leute im nebligen Schein der Straßenlaternen erahnen. Ein Blick auf die silberne Uhr an meinem Handgelenk verrät mir, dass die Party noch nicht einmal richtig begonnen hat. Wie kann man bitte jetzt schon betrunken dermaßen sein? In meinem ganzen Leben habe ich nur ein einziges Mal getrunken und möchte es eigentlich auch dabei belassen. Auch wenn es nicht die beste war, bin ich seit damals immerhin um eine Erfahrung reicher...
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too close
Teen FictionLyn, ein junges eher in sich gekehrtes Mädchen wird unverhofft adoptiert. Mit dem Umzug in einen fremden Bundesstaat muss sie ihr altes Leben hinter sich lassen. Besonders schwer fällt ihr der Abschied von ihrer besten Freundin. Denn Alli ist die ei...