Gedankenverloren schlendere ich den asphaltierten Weg zum Footballfeld entlang. Es ist einer dieser ganz normalen Tage in Effingham. Die Hitze lässt einen schwitzen. Schüler treten die Flucht an. Der Boden glüht unter meinen Schuhen. Die Sonne steht hoch am Himmel. Jeder geht dem nach, was er immer macht. So auch ich. Wie so oft setze ich mich auf die Tribüne. Immer häufiger beobachte ich dabei auch die Spieler. Nur dieses Mal nicht. Das ist der ausschlaggebende Unterschied zu sonst. Zu dem völlig normalen Wahnsinn. Seit Aidens plötzlichen Abgang vor ein paar Tagen, verhält er sich irgendwie sonderbar. Die Pausen verbringt er mit Ethan an dem Tisch der Footballer. Nicht wie sonst üblich, mit Jo und mir und manchmal auch den Mitgliedern des Cheerleader Teams. Selbst Jo ist von seinem unerklärlichen Auftreten überrascht. Ich kann es ihr nicht verübeln. Schließlich geht es mir nicht anders. Auch ich oder gerade ich würde zu gerne erfahren, was in den wenigen Minuten geschehen ist, in denen ich mit Victoria telefoniert habe. Entweder liegt es an mir oder auch er hat in der Zwischenzeit irgendetwas wichtiges erfahren, dass ihn dazu veranlasst hat so abrupt aufzubrechen. Zu gerne würde ich endlich mit ihm darüber sprechen. Endlich auch meine Gefühle loswerden, die mir an demselben Nachmittag klar geworden sind. Doch Aiden lässt mir schlicht keine Möglichkeit. Sobald er mich entdeckt ist er wieder verschwunden, ehe ich mich überhaupt in Bewegung setzten könnte. Selbst im Kunstunterricht scheint alles interessanter zu sein als ich oder seine Sitznachbarn. Zumindest soweit ich das aus der Ferne beobachten kann. Was auch immer ihn so sehr beschäftigt, es sorgt dafür, dass er sich derart zurückzieht und abweisend verhält. Was es auch ist, ehrlich gesagt fehlt mir die Kraft und vor allem die Lust mir noch weitere Stunden den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich sollte es einfach so hinnehmen, wie es ist. Nach allem, was ich über Aiden weiß, kann ich mir nicht vorstellen, dass es keine guten Gründe für seinen Stimmungswandel gibt. Da bin ich mir fast zu einhundert Prozent sicher. Außerdem habe ich mit mir selbst genug zu tun. Vic und Rich kamen auf einmal auf die überaus grandiose Idee, dass auch ich wunderbar ins Cheerleader Team passen würde. Ich habe die Mädels zwar wirklich liebgewonnen und find es super, was sie da ständig leisten, aber bei dem Gedanken mich ihnen anzuschließen wird mir schwindelig. Dafür bin ich nicht nur viel zu unsportlich, nein, mir fehlen letztlich auch die Qualifikationen. Zumal ich eigentlich gar keine Lust habe meine Freizeit mit glitzernden Püscheln und teilweise ziemlich knappen Sportoutfits zu verbringen. Immerhin warten zu Hause ein Haufen Bücher, Telefonate mit Allison, Treffen mit Josie und ganz nebenbei auch noch ein unüberwindbarer Berg an Schulsachen. In den vergangenen Tagen meinten die Lehrer es mit Hausaufgaben und jeglichen anderen Zusatzleistungen wirklich zu gut. Leider bin ich das Paradebeispiel für die Menschen, die einfach nicht nein sagen können. Also habe ich mir dummerweise jede Menge zusätzliche Arbeit aufgehalst. Ganz klasse! Statt hier in meinen Gedanken zu versinken sollte ich also wohl lieber mal damit anfangen, einen Teil von ihnen abzuarbeiten, aber ganz ehrlich: Die Aufgaben können warten. In diesem Augenblick sind mir meine Notizen und kleinen Gedichte aus meinem Leben wichtiger. Und interessanter. Flüchtig huscht mein Blick über das Feld. Gerade so langsam, dass ich erkennen kann, dass die Jungs sich gerade aufwärmen. Lächelnd lehne ich mich richtig an, ziehe meinen Rucksack auf meinen Schoß und befördere mein kleines Notizheftchen zu Tage. Missmutig muss ich feststellen, dass mir das Gegenstück zum Papier fehlt. Die Tinte. Oder in meinem Fall der Stift. Wunderbar! Hektisch wühle ich in den tiefen meiner Schultasche, in der Hoffnung, dass sich das Etui nur bis nach ganz unten verbuddelt hat. Nacheinander halte ich mein Handy, Schmierzettel, Kaugummi und sämtliches anderes Zeugs in den Händen. Zu meiner Enttäuschung nicht das, wonach ich gesucht habe. Wenigstens habe ich jetzt die Erkenntnis gewonnen, dass ich vielleicht mal wieder meinen Rucksack aufräumen sollte. Ganz vielleicht hat Vic auch Recht und ich sollte mir einfach einen neuen kaufen. Bislang stopft eines der vollgekritzelten Schmierzettel die rechte untere Ecke aus, die sich so langsam aber sicher zu einem größer werdenden Loch verwandelt. Doch selbst, wenn ich es übers Herz bringen sollte genau das zu tun, hilft mir auch das im Augenblick wenig.
»Ganz toll. War ja klar«, murmle ich vor mich her.
Genervt die Augen verdrehend werfe ich die Sachen zurück in den Flickenteppich auf meinem Schoß und halte einen Moment lang inne. Die angestaute Luft entweicht mit einem einzigen Atemzug aus meinen Lungen, ehe ich mich widerwillig doch erhebe, um in meinem Spind nach zu sehen. Innerlich bete ich, dass ich dieses dämliche Etui wirklich dort liegen lassen habe. Ansonsten werde ich frühestens im Laufe des morgigen Vormittages an meine geliebten Stifte gelangen. Darauf zu warten, geschweige denn, mir noch mehr extra Arbeit aufzuhalsen habe ich echt keine Lust. Ich müsste wie eine Idiotin an sämtlichen Türen klopfen und fragen, ob ein Etui gefunden wurde. Wobei ich ein paar strategisch ausschließen kann, da ich es bis vor der Mittagspause noch hatte. In der letzten Stunde haben wir allerdings nur eine der langweiligen Dokumentationen geschaut. Wer weiß also, wo es liegen geblieben ist? Auf dumme Fragen und Blicke kann ich sehr gerne verzichten. Genauso, wie auf den Gang zum Hausmeister, weil eine der Lehrerinnen mir den wirklich hilfreichen Tipp gibt, dass es eventuell dort abgegeben wurde. Ist ja nicht so, dass ich auch so auf die Idee gekommen wäre. Lyn Wright ist ja bloß die dumme Schülerin. Mal ganz davon abgesehen hilft mir das jetzt auch nicht weiter. In Unwissenheit zu schwelgen und über sämtliche mögliche Ausgangslösungen zu debattieren bringt absolut gar nichts.
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too close
Teen FictionLyn, ein junges eher in sich gekehrtes Mädchen wird unverhofft adoptiert. Mit dem Umzug in einen fremden Bundesstaat muss sie ihr altes Leben hinter sich lassen. Besonders schwer fällt ihr der Abschied von ihrer besten Freundin. Denn Alli ist die ei...