Unbehaglich öffne ich meine Augen, blinzle ein paar Mal gegen die plötzlich so grellen Strahlen der winzig erscheinenden Sterne. Zu gerne hätte ich diese gedankliche Stille noch einen Moment ausgekostet, aber Aiden steht keinen halben Meter hinter mir. Und dessen bin nicht nur ich mir bewusst. Denn ohne Vorwarnung setzt mein verdammtes Herz abermals zu heftigsten Schlägen an. Sie sind so stark, dass sie mich fast in den Himmel schießen und so das Kribbeln auf meiner Schulter durch die Kälte der Atmosphäre ersetzt wird. Langsam lasse ich meinen Kopf auf Augenhöhe sinken und atme ein letztes Mal tief durch. Noch immer bemühe ich mich aufrichtig, diese grausamen Bilder zu verdrängen. Alli zu verdrängen. Jo und Ethan verschwinden zu lassen. Aiden hier stehen zu lassen. Aber so wie es scheint würde er mich keinen Schritt gehen lassen. Nicht jetzt, nicht in diesem Augenblick. Schwer schluckend drehe ich mich vollends zu ihm um, sodass seine Hand nicht länger auf meiner Schulter ruhen kann. Stattdessen gleitet sie viel zu langsam über meinen Arm und schwingt leblos in der dunklen Nacht.
»Ist wirklich alles okay? Du wirkst ein bisschen blass.«
Besorgt legt Aiden den Kopf schief. Aus irgendeinem Grund kommt mir diese Situation merkwürdig bekannt vor. Bloß kannte ich damals nur die unnahbare Seite an ihm. Damals ahnte ich nicht, welche sanften Gefühle seine eisblauen Augen zum Ausdruck bringen können. So auch jetzt. In ihnen glänzt die Verwirrtheit, die Angst und die plötzlichen Erinnerungen, die ihn meinen zum Spiegelbild erscheinen lassen. Dennoch ist er mir nachgegangen. Und eigentlich ist es doch das, was ich wollte. Mit ihm allein sein, um in Ruhe mit ihm sprechen zu können. Ohne Jo, Ethan oder sonst wen. An einem Ort, der trotzdem gleichzeitig so belebt scheint. Nicht am Rande der Tribüne oder der überfüllten Cafeteria. Vielleicht hilft es mir sogar die vergangenen Minuten für eine Weile zu vergessen, wenn ich meine Zeit mit ihm verbringe.
»Ja, alles super. Ich glaube ich habe ein bisschen zu wenig getrunken«, scherze ich und spiele damit auf unsere zweite Begegnung an.
»Das befürchte ich auch«, Aiden lacht belustigt und ich stimme mit ein.
Meines ist nicht zu einhundert Prozent ehrlich, aber es ist sehr nah dran. Zu sehr belagern mich die schweren Gedanken. Allerdings kann ich in Aidens Nähe gar nicht anders, als zu lächeln oder einfach glücklich zu sein. Während sein befreiendes Lachen in ein breites Grinsen übergeht, herrscht Schweigen. Nur die dröhnende Musik erinnert mich daran, dass das hier kein Traum ist. Sondern die ungeschönte Realität.
»Lass uns-.«
»Ich glaube wir-.« Gleichzeitig finden wir unsere Sprache wieder.
»Du zuerst«, lächelt Aiden.
Schüchtern wege ich ab. »Mach ruhig.«
»Also gut. Wir könnten ein Stück gehen.« Er deutet mit der Hand über den schwach beleuchteten Gehweg vor uns.
Ohne zu zögern willige ich schließlich ein. Aiden legt mir einen Arm um die Schultern und führt mich durch die sonst so belebte Wohngegend. Ich lächle glücklich in mich hinein wie ein kleines Kind. All der Ärger von vorhin scheint wie aufgelöst. Als würde er als schwarzer Nebel durch die Dunkelheit zu den Wolken aufsteigen und in den nächsten Tagen als Regen auf uns herab prasseln.»Was wolltest du eben eigentlich noch sagen?«, fragt Aiden mich unvermittelt.
»Hat sich erledigt.«
Denn das hat es wirklich. Während dieses kleinen Spaziergangs haben Aiden und ich ausreichend Zeit um über alles zu sprechen. Zum Zeichen des Verständnisses nickt er. Und obwohl wir kaum miteinander reden ist die Situation alles andere als unangenehm. Höchstens ungewohnt. Das unsichtbare Band zwischen uns sagt mehr als tausend Worte, ist aber eben auch immer noch zum Zerreißen stark gespannt. Genau deshalb will mein neugieriges Ich die Wahrheit hören.
»Was ist eigentlich mit unserem Kunstprojekt?«
Zwar bin ich grundsätzlich ein ziemlich direkter Mensch, würde es aber trotzdem nicht wagen, ihn einfach auf unsere verzwickte Situation anzusprechen.
»Läuft gut« Mehr bringt Aiden nicht hervor, ehe er nach einer gedehnten Pause hinzufügt. »Ich hab die Bilder entwickeln lassen und ein paar Stichpunkte notiert.«
»Okay«, flüstere ich fast erstickt. Denn eigentlich ist es mir absolut nicht recht, dass er so viel für unsere Note tut und ich im Grunde genommen nur Modell gestanden habe.
»Aber ich hätte das auch machen können.«
Als ich sein Seitenprofil mustere entgeht mir sein zartes Lächeln nicht. »Schon okay, wirklich.«
Gerade als ich glaube, dass sich die Stimmung ein wenig gelockert hätte bleibt Aiden abrupt stehen. Verwirrt blicke ich drein und möchte zu sprechen ansetzten, aber Aiden kommt mir zuvor. »Tut mir leid, ich habe ganz vergessen dir die Fotos zu schicken. Das war saublöd von mir. Bitte entschuldige. Ich-.«
Verwundert über seine Worte blicke ich zu ihm auf und sehe die Reue in seinen Augen. Dieser Junge macht mich echt wahnsinnig. Im positivem, wie im negativen Sinne. Ich dachte weiß Gott was, was er mir nun zu erzählen hätte und dann das?
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too close
Teen FictionLyn, ein junges eher in sich gekehrtes Mädchen wird unverhofft adoptiert. Mit dem Umzug in einen fremden Bundesstaat muss sie ihr altes Leben hinter sich lassen. Besonders schwer fällt ihr der Abschied von ihrer besten Freundin. Denn Alli ist die ei...