Lächelnd setzte ich den Punkt hinter den letzten Vers meines neusten Gedichtes. Natürlich geht es darin um Aiden und mich. In letzter Zeit kommt es immer häufiger vor, dass ich ganze Seiten mit meinen Gedanken und Aidens Taten vollkritzle. Meistens sind es die schönen Momente. Oft aber auch die Nachdenklichen und Emotionalen. Kein Wunder also, dass ich über eine Woche gebraucht habe um mich endlich dazu bereit zu fühlen über jenen Abend zu schreiben. Über den Abend im Kino und viel mehr über das anschließende Gespräch. Im Nachhinein bin ich froh mit Aiden darüber gesprochen zu haben. Seine Zuverlässigkeit gibt mir die nötige Sicherheit auch bald schon mit Josie über alles reden zu können. Aidens Worte sorgen dafür, dass ich mich mit jedem Augenblick freier fühle. Nicht mehr eingeengt von all den unzähligen Geheimnissen, die ich permanent mit mir herumgeschleppt habe. Und vor allem hat er schlicht und einfach Recht. Es ändert nichts an der Lyn, die ich bin und in die Aiden sich verliebt hat. Es ändert nichts an unseren Gefühlen füreinander oder dem was wir sind. Ein Paar. Noch immer ist es surreal dieses einsilbige Wort auf uns zu beziehen. Aiden als meinen Freund zu bezeichnen. Nicht als einen guten, vielleicht sogar besten oder engsten. Sondern als festen. Und das Schönste an all dem ist, dass sich zwischen uns seitdem kaum etwas geändert hat. Wir sind einfach wir. Schweigen, wenn wir nebeneinander hergehen. Durchschauen den anderen und bringen unsere so unterschiedlichen, aber doch intensiven Augenfarben zum Leuchten. Aber es gibt keine andauernden kitschigen Liebeserklärungen oder irgendwelche fast schon ekelhaft süßen Momente, bei denen mir allein der Gedanke an sie Krämpfe bereitet. Ich bin der festen Überzeugung, dass Aiden und ich einfach nicht der Typ Mensch für derartige Pärchenaugenblicke sind. Natürlich kuscheln wir uns enger als noch vor zwei Wochen aneinander, wenn wir heimlich bei Aiden zu Hause den Tag mit einem Film ausklingen lassen. Und natürlich kommen auch ein paar zärtliche Küsse oder Berührungen nicht zu kurz. Trotzdem musste ich in der letzten Woche zu genüge feststellen, dass all die Romane in meinem Regal nur selten die Wahrheit widerspiegeln. Oder aber, Aiden und ich sind einfach anders als alle anderen sich Liebenden in der großen weiten Welt. Gut möglich, dass vielleicht beide Punkte eine Verbindung zueinander herstellen, die auf eine seltsame Art und Weise perfekt ineinandergreifen. Als würde ich selbst eine Bestätigung für etwas benötigen, nicke ich mir einmal selbst zu und beschließe aus meinem Sammelsurium aus Gedanken und Gefühlen aufzutauchen. Mechanisch schiebe ich das kleine Notizheft in meinen Rucksack, der wie immer direkt neben mir auf der Tribüne liegt, als völlig unerwartet jemand nach mir ruft. Suchend schaue ich mich um. Halte mir die Hand vor die Stirn, um so die stechende Sonne ein wenig abzuhalten. Ein paar Mal muss ich blinzeln, bis ich dann doch erkenne, wer nach mir verlangt. Jo steht mit Ethan, der sich lässig auf seinen Krücken abstützt, am Rand der Tribüne und winkt mich zu sich. Direkt freue ich mich meine beste Freundin hier zu sehen. In den letzten Tagen waren unsere Begegnungen rar. Zum einen, weil ich meine Zeit mit Aiden verbracht habe und zum anderen, weil sie diese Woche auf ihren Bruder aufpassen soll. Körperlich scheint es ihm besser zu gehen und wenn die Zwillinge eins teilen. Dann ihre Ungeduld. Vermutlich ist es also besser, wenn Ethan vorerst nicht allein unterwegs ist. Wer weiß, was er sonst für einen Blödsinn anstellt. Zwar kenne ich ihn noch gar nicht allzu lange, aber Josie dafür umso besser. Und das allein ist aussagekräftig genug.
Hastig schnappe ich mir meinen Rucksack, der sich bislang eigentlich ganz tapfer schlägt und werfe ihn mir über die rechte Schulter. In schnellen Schritten eile ich die schmalen Stufen nach unten. Schon von Weitem erkenne ich, dass Ethan ziemlich geknickt wirkt. Dass er hier am Rand des Spielfeldes steht, anstatt mit den anderen Jungs über den Rasen zu flitzen scheint ihm mehr zuzusetzen, als ich dachte. Vermutlich ist das auch der Grund, warum er angestrengt versucht einen Blick in Richtung der Mannschaft – und Aiden- zu vermeiden. Stattdessen starrt er vor sich her und blickt erst auf, als ich vor Jo und ihm zum Stehen komme. Während Ethan also nur ein kurzes »Hey« über die Lippen presst, zieht Jo mich in eine innige Umarmung, die ich sofort erwidere.
»Oh man Lyn. Es ist einfach viel zu lange her, dass wir uns das letzte Mal so richtig gesehen haben«, sie unterbricht sich selbst, ehe sich hinzufügt, »der Unterricht zählt nicht.« Mahnend sticht mir ihr rechter Zeigefinger entgegen.
»Stimmt«, schmunzle ich nur.
Einen Bruchteil der Sekunde mustert mich Jo. Es ist so auffällig, dass es fast schon unangenehm ist.
»Ähm Erde an Josie?« Ethan scheint sein Schweigen endlich zu brechen.
»Lass mich Brüderchen. Ich bin dabei herauszufinden, ob es sich wenigstens gelohnt hat Lyn die ganze Woche über zu decken.«
Das ist nicht Jo's Ernst. Wobei vermutlich doch. Manchmal macht dieses Mädchen mich wahnsinnig. Statt mich einfach wie ein ganz normaler Mensch zu fragen, am besten unter vier Augen, nein da versucht sie anhand meiner Haltung oder was auch immer herauszufinden, ob unsere gemeinsame Sache Erfolg hatte. An sich ist die Idee eigentlich gar nicht so dumm. Bei Aiden funktioniert es schließlich auch.
»Na los Lyn. Jetzt erzähl schon. Ethan weiß sowieso Bescheid. Und wenn ich Glück habe, dann bin ich gleich um zehn Dollar reicher.«
Irritiert schaue ich zwischen den Geschwistern hin und her. Ethan grinst nun wissend und sieht mich ebenfalls abwartend an. Was um alles in der Welt wird das hier? Doch während ich noch grüble, wie ich all das was in den letzten Tagen geschehen ist am besten verpacke, bilde ich mir plötzlich ein Aidens Stimme gehört zu haben. Wobei da nicht nur seine warmen Worte sind, sondern auch seine Anwesenheit, die mir plötzlich viel näher vorkommt, als es noch vor ein paar Minuten der Fall gewesen ist. Zögernd schaue ich von Jo in eine ganz andere Richtung und sehe sofort, wie Aiden auf uns zugelaufen kommt und direkt neben mir stehen bleibt. Zur Begrüßung ist er versucht Josie in eine kurze Umarmung zu ziehen, die sie auf Grund von seiner verschwitzten Trainingskleidung dankend ablehnt, was Aiden wiederum zum Kichern bringt. Zu meiner Überraschung fällt diese typische Männerbegrüßung heute aus. Mich schleicht das Gefühl, dass das nicht nur an Ethans Krücken liegt, denn er wäre sehr wohl in der Lage sich für einen kurzen Moment nur auf einer abzustützen. So wie es aussieht, scheint Ethans Unfall irgendwie zwischen den beiden zu stehen. Gründe gebe es viele und doch keine. Am Ende sind die beiden aber auch alt genug, um das alleine zu klären. Vorerst werde ich mich definitiv aus der Angelegenheit raushalten. Wenn überhaupt ziehe ich es höchstens in Betracht Aiden später in aller Ruhe auf die Situation anzusprechen.
Nachdem die beiden also nur einen kurzen Blick ausgetauscht haben und mir Josies Sorge nicht entgangen ist, macht Aiden etwas mit dem ich nun wirklich nicht gerechnet habe. Ohne jegliches zögern legt er seinen Arm um mich, nur damit er mich noch näher zu sich ziehe kann. Er wird doch wohl nicht? Bevor ich genauer darüber nachdenken kann, liegen seine vor Durst ganz trockenen Lippen längst auf meinen. Eine ganze Sekunde vergeht, in der ich so perplex bin, dass ich einfach nur innehalte. Erst dann bin ich überhaupt dazu in der Lage diesen kurzen Kuss zu erwidern. Viel zu schnell zieht Aiden sich zurück und unterbricht so dem Augenblick. Vielleicht ist es aber auch besser so. Denn fast hätte ich vergessen, dass wir nicht allein sind. Jo und Ethan stehen immer noch neben uns und scheinen nicht anders regieren zu können, als zu starren. Ethan wirkt im Gegensatz zu seiner, deren Mund weit offensteht, vollkommen entspannt. Dennoch ist sie es, die ihre Worte als erste wiederfindet.
»Ich hab's doch gewusst.« Hämisch grinsend streckt sie ihrem Bruder fordernd die Hand entgegen. »Meine zehn Dollar.«
Ethan verdreht nur genervt die Augen. »Habe ich gerade vielleicht nicht dabei?!« Er lässt es ein wenig wie eine Frage klingen, als mir etwas klar wird.
»Moment mal. Habt ihr etwa gewettet?«
Josie nickt. »Ja haben wir. Ethan wollte mir nicht glauben, dass das mit euch was wird.«
Kopfschüttelnd wende ich mich zu Aiden. Auch ihm stehen seine Gedanken förmlich ins Gesicht geschrieben. Er scheint schleunigst eine Lösung für diese missglückte Situation finden zu wollen.
»Also schön. Hätten wir das ja geklärt. Wie wäre es, wenn ich mich schnell umziehe und wir alle zusammen ein bisschen in die Stadt gehen? Da Josie ja jetzt um zehn Dollar reicher ist, kann sie uns ja was spendieren. Ich glaube das hast du nämlich verdient«, seine letzten Worte gehen fast in seinem Lachen unter.
»Von mir aus. Immerhin bin ich neugierig. Aber über die zehn Dollar ist das letzte Wort noch nicht gesprochen«, stimmt Josie zu und wartet auf die Antwort ihres Zwillings.
»Ohne mich Leute. Ich hole mir ein Taxi nach Hause. Aber euch viel Spaß«, winkt dieser lieber ab.
Jo sieht Aiden besorgt an. Es ist dieser »mach-was-Blick«. Und Aiden? Der schluckt schwer und ringt mit sich. Der Druck seines Armes auf meiner Schulter wird stärker. Ein Zeichen dafür, dass Aiden ziemlich angespannt ist. Bislang ist mir das eigentlich nur aufgefallen, wenn die Sprache auf seine Eltern fiel. Jedes Mal verkrampft er sich und macht dicht. Zum Glück spüre ich meistens recht schnell was los ist. So auch jetzt. Denn was auch immer zwischen Ethan und ihm steht. Es muss geklärt werden. Schnellstens. Schließlich überwindet Aiden sich doch.
»Wir müssen ja nicht groß rumlaufen. Wir können uns auch einfach einen Imbiss suchen. Komm schon Ethan.«
So sehr ich hoffe, dass seine Worte Erfolg haben, so sehr sehe ich auch, das Ethan nicht vor hat seine Meinung zu ändern.
»Nein danke. Ich habe echt keine Lust.« Er ist schon auf im Inbegriff auf den Absatz kehrt zu machen, als Aiden einen weiteren Versuch startet. Diesmal stärker und impulsiver.
»Ja, okay. Das du nicht spielen kannst ist blöd gelaufen. Aber die in dein Schneckenhaus zurück zu ziehen und deinen besten Kumpel zu ignorieren bringt dich auch nicht weiter. Also krieg endlich deinen verdammten Hintern aus dem Selbstmitleid hoch und komm jetzt mit in die Stadt. Meine Güte.«
Erschrocken wechseln Jo und ich einen Blick, ehe Aiden diesmal ein wenig gesitteter weiterspricht.
»Außerdem brauche ich dich doch. Das weißt du auch.«
Seine Worte scheinen Ethan getroffen zu haben, denn er dreht sich langsam wieder zu uns um und liefert sich ein tiefes Blickduell mit Aiden. »Bitte«, flüstert dieser noch, als Ethan längst einzuknicken scheint.
»Okay. Ihr habt gewonnen. Ich komme mit.«
Erleichtert atmen Aiden, Jo und ich aus. Ein erster Schritt in die richtige Richtung.
»Gebt mir fünf Minuten. Dann bin ich wieder zurück.«
Flüchtig streifen sich noch einmal unsere Blicke, ehe Aiden langsam in Richtung Umkleiden verschwindet. Ich bin mir sicher, dass dieser Nachmittag in vielerlei Hinsicht extrem interessant werden wird.
DU LIEST GERADE
too close
Teen FictionLyn, ein junges eher in sich gekehrtes Mädchen wird unverhofft adoptiert. Mit dem Umzug in einen fremden Bundesstaat muss sie ihr altes Leben hinter sich lassen. Besonders schwer fällt ihr der Abschied von ihrer besten Freundin. Denn Alli ist die ei...