⊱Kapitel 18⊰

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»Also ich glaube ich nehme bei der Auswahl lieber nur den Salat.« Angeekelt verzieht Josie das Gesicht und teilt ihre Entscheidung der armen Dame hinter der Theke in unserer Cafeteria mit, was sie möchte. Ich hingegen studiere noch immer das spärliche Angebot zum Mittagessen. Am liebsten würde ich es Jo gleichtun und den schlichten Salat nehmen, nur leider knurrt mein Magen bereits so laut, dass demnächst die gesamte Highschool davon Wind bekommt. Ein wirklich unschöner Gedanke. Also bleibt mir kaum eine andere Wahl, als die Bolognese zu wählen, die schon von Weitem so trocken wie die Wüste aussieht. Hoffentlich schmeckt sie nicht ganz so übel, wie man zu diesem Zeitpunkt denken könnte. Während Jo also längst bezahlt hat und sich schon mal einen Überblick darüber verschafft, wo wir sitzen können, hieve ich gerade einmal den ovalen Teller auf mein Tablett. Genau das ist der Moment, in dem ich mich frage, warum ich nicht lieber verhungere, statt diesen Fraß zu essen. Seufzend folge ich Josie, die einen kleinen Tisch am Ende des großen Saals ausgemacht hat und setzte mich neben sie.
»Oh je, wie viel Hunger musst du denn haben?«
»Vermutlich zu viel.« Optimistisch wickle ich das Besteck aus der Servierte und traue mich, eine erste Gabelspitze voll zu probieren.
Josies wachsamer Blick ruht auf mir. Es wirkt, als wolle sie bis ins kleinste Detail mitanschauen, wie ich gleich an dieser abartigen Soße verrecken werde. Falls das wirklich geschehen sollte, wäre sie immerhin die einzige Zeugin. Nur deshalb erspare ich mir einen Kommentar. Nüchtern lege ich die Gabel wieder zur Seite.
»Neija, besser als den Hungertod zu sterben.«
Jo grinst. ,»Na dann.«
Erst jetzt greift auch sie zur Servierte und stochert in ihrem, deutlich appetitlicher aussehenden, Salat herum.
»Hast du gestern eigentlich noch mal mit Ethan gesprochen.«
Sie schüttelt den Kopf. Wusste ich es doch. Denn eigentlich ist Jo die Erste, wenn es darum geht alles Mögliche zu vertilgen und jetzt hat sie gar Probleme, eine winzige Portion an Salat zu sich zu nehmen.
»Hey, aber das ist doch kein Grund dir so den Kopf zu zerbrechen. Er kriegt sich schon wieder ein.«
Jo nickt. »Sicherlich.«
Als hätten meine Worte Wunder bewirkt stopft sie sich jetzt immerhin ein paar Salatblätter in den Mund. Besser als nichts. Auch ich zwinge mich dazu einen weiteren Bissen dieser unterirdischen Bolognese runter zu würgen. Ich hatte wirklich keine Ahnung, dass das Essen hier von Tag zu Tag schlechter wird.
»Sagt übrigens die Richtige. Wer hat denn Aiden gestern auf meinem Flur abserviert und würde sich dafür gerade am liebsten in den Hintern treten und-.« Ein Räuspern vor uns unterbricht Josies Redeschwall abrupt. Ich grinse. Aber auch nur, weil ich weiß, wie viel die Person vor uns wirklich mitbekommen hat.
»Hey Mädels. Ist hier noch frei?« Ethan lächelt uns freundlich an und setzt sich gegenüber seiner Schwester zu uns an den Tisch. Auf eine Antwort wartet er gar nicht erst. Im Grunde genommen ist es ja auch offensichtlich, dass hier noch frei ist. Die Cheerleaderinnen haben heute Nachmittag keinen Unterricht, sodass es kaum jemanden gibt, der diesen Platz besetzten könnte.
»Hey«, murmelt Jo, mehr oder weniger gelassen.
»Klar, setz dich«, antworte ich Ethan ironisch, der offensichtlich inzwischen auch begriffen hat, wie angespannt die Stimmung ist.
»Wir essen gerade. Was willst du?«, mault Jo ihren Bruder an.
»Mit dir reden.« Er beugt sich ein Stück und klaut sich eine Olive aus dem Salat, die Josie schon die ganze Zeit über zur Seite schiebt.
»Aha.« Gibt sie nur knapp zurück.
Aus irgendeinem Grund fühle ich mich in diesem Augenblick verdammt fehl am Platz. Also schiebe ich mir einfach eine weitere Gabel in den Mund, in der Hoffnung so unbeteiligt wie nur irgend möglich zu wirken.
»Komm schon Jo. Wir wissen beide, dass der Typ nichts für dich ist. Du kannst mir nicht erzählen, dass ich die Situation letztens falsch gedeutet habe. Außerdem kenne ich den Idioten schon länger als du. Vergiss ihn einfach.«
»Wer soll wen vergessen?« Die mir allzu gut bekannte Stimme von Ethans bestem Kumpel nähert sich dem Tisch. Josie stöhnt wenig begeistert auf, Ethan schaut flüchtig zu Aiden, der gerade seinen Rucksack neben den Tisch stellt und sich ausgerechnet mir gegenüber hinsetzt.
»Stör ich?«, fragt er, als wir ihn alle anschauen, als hätten wir ein Gespenst gesehen.
»Ja.« »Nein.« Euphorisch kann es Jo und Ethan kaum schnell genug gehen, gleichzeitig das Gegenteil auszusprechen.
Ethan, weil er möglichst ungestört mit seiner Schwester reden will, was absolut nicht auf Gegenseitigkeit beruht, weshalb Jo auch vehement darauf pocht, dass Aiden nicht stört.
Ich für mein Teil, kann mich dabei nicht entscheiden. Immerhin wollen wir zukünftig ganz normal miteinander umgehen, ohne merkwürdige Situationen zu wecken. Andererseits neige ich dazu, unter seinem nicht ganz so unauffälligen Blick zu verbrennen. Heilige. Auch Aiden bemerkt sofort, dass etwas nicht stimmt, als er seinen bohrenden Blick von mir löst und ich mir verlegen die Hand vor die Lippen halte. Jo und Ethan hingegen führen ihre Diskussion einfach weiter.
»Du kannst mir nicht vorschreiben, mit wem ich mich aus welchen Gründen treffe. Ich bin alt genug. Akzeptier das endlich.«
Ethan seufzt. »Jo, bitte. Du bist meine kleine Schwester und ich will nicht, dass er dir das Herz bricht.«
Aiden und ich tauschen einen unverfänglichen Blick. Wunderbar. Er scheint das gleiche zu fühlen wie ich in diesem Moment. Wir gehören beide gerade einfach nicht hier her. Doch bevor es mir abermals zu vertraut wird, stochere ich lieber weiter in der Bolognese vor mir, die leider immer noch nicht an Geschmack gewonnen hat.
»Jo. Ein letztes Mal, okay? Ich kann dich verstehen, aber der Typ ist unberechenbar. Mach dir einfach keine Hoffnungen. Er ist einfach einer der Sorte, die die Frauen nach einer Nacht rausschmeißen und ihnen auf dem Weg zur Tür erklären, dass es nichts zu bedeuten hat.«
Ich verschlucke mich fast. Josie klopft mir vorsorglich auf den Rücken und Aidens stechender Blick mustert mich. Ich brauche einen Moment, bis ich mich wieder gefangen habe. Auch, wenn Aiden nicht zu dieser Gruppe von Kerlen gehört, hat er mich trotzdem auf dem Flur abserviert. Dieser unpassende Vergleich lässt mich husten.
»Alles okay Lyn?« Jo beäugt mich nun ebenfalls skeptisch und auch Ethan hat seine Überlegungen verworfen.
»Ja klar. Alles super.« Ich lächle gezwungen und klaube meine Sachen zusammen, als es zu meinem Glück endlich klingelt.
Gott sei Dank! Vielleicht meint es das Leben doch einmal gut mit mir. Nichts wie weg hier.

Ausgelaugt sitze ich mit einer Packung Kekse und einem guten Buch auf der Veranda zum Garten. Die letzten Stunden Schule haben mich geschlaucht. Nach dem sonderbaren Mittagessen, habe ich es tatsächlich noch rechtzeitig geschafft, die Cafeteria zu verlassen, ehe mir jemand hinterher konnte. Bloß Josie hat einen Schritt zu gelegt und mich kurz vor unserem Kursraum eingeholt. Hausaufgaben haben wir heute zum Glück keine bekommen. Alli steckt bis zum Hals im Prüfungsstress und mein Notizheft kann auch gerne ein paar Stunden länger warten. Im Augenblick genieße ich lieber das für Illinois milde Wetter und tauche in die unbeschwerte Welt der Protagonisten in meinem neuen Roman ab. Es ist einer dieser klassischen Romanzen, bei der das große Drama aber bisher ausbleibt. Mal sehen. Ich schlage gerade eine Seite um, als es plötzlich an der Tür klingelt. Wer zur Hölle könnte das denn bitte sein? Vic und Rich sind noch arbeiten und ansonsten erwarte ich niemanden. Seufzend lege ich das Buch zur Seite, streife die Kekskrümel von meinem Oberteil und eile zur Tür. Überrascht halte ich inne, als ich sehe, wer vor ihr steht.
»Aiden.« Stelle ich überrascht fest und kräusle die Stirn. »Was-?« Ich bin zu überrascht um meine Frage ausformulieren zu können.
Aiden grinst. »Du hast dein Portmonee liegen lassen. Ich dachte du brauchst es vielleicht heute noch.«
Lächelnd hält er mir das lederne Etui entgegen. Zaghaft greife ich danach. Für einen Bruchteil der Sekunde berühren sich unsere Finger. Dieser winzige Körperkontakt sorgt dafür, dass meine Haut direkt zu kribbeln und mein Herz zu rasen beginnt.
»Danke«, stammle ich.
Unsere Blicke kreuzen sich und halten einander fest. Noch immer hat auch Aiden seine Finger um das Portmonee geschlungen und sich genau wie ich keinen Millimeter bewegt. Ich schlucke schwer. Das Funkeln in seinen eisblauen Augen verrät, wie sehr er diesen intensiven Moment genießt. Es ist der Moment, in dem mir bewusst wird, dass das so nicht weitergehen kann. Dass wir endlich vernünftig über den Abend reden müssen. Wie zivilisierte Menschen. Und mir wird noch etwas bewusst. Denn in diesem Augenblick begreife ich, dass es das dümmlichste war, ihm gestern früh zu zustimmen. Es war kein Fehler und wir sollten das Geschehene nicht vergessen. Was auch immer es ist, wir sollten es herausfinden und gemeinsam erkunden. Gerade, als Aiden dann doch langsam die Hand löst, meinen Blick allerdings noch immer fesselt, klingelt das Telefon. Wortlos beende ich unser Blickduell und trete wieder vollends ins Haus, um ans Telefon zu gehen. Es ist Victoria.
»Vic, was gibt’s?«
»Ich stehe komplett im Stau. Es wird definitiv später. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Du sollst dich ja schließlich auch immer melden.«
Ich grinse. »Stimmt. Bis später.« Innerlich ärgere ich mich darüber, dass sie den Moment mit Aiden zerstört hat. Als ich wieder zur Haustür gehe, muss ich feststellen, dass Aiden nicht mehr da ist. Ich rufe nach ihm, schaue mich im Wohnzimmer um. Vielleicht ist er mir ja ins Haus gefolgt. Aber nichts. Er ist nirgends zu finden. Auch im Garten ist nur das Zirpen der Insekten zu hören. Seufzend gehe ich zurück zur Haustür. Doch auch hier fehlt jede Spur von ihm. Er ist einfach gegangen. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich verraten. Als hätte er mich einfach zurückgelassen. Genau genommen hat er das auch. Schließlich hielt er es nicht für nötig sich zu verabschieden.
Eigentlich will ich nur noch die Tür schließen und diese Begegnung vergessen, als mir ein kleiner Zettel unter der Fußmatte auffällt. Er ist halb darunter geklemmt, damit er nicht wegfliegt. Verwirrt hebe ich ihn auf und erkenne sofort Aidens Handschrift.
»Bis Morgen Lyn <3 « Ich lächle und mein Ärger auf ihn verfliegt im selben Moment. Er wollte wohl nicht weiter stören oder einfach das Haus betreten. So ganz verstehe ich seine Reaktion zwar trotzdem nicht, aber das ist okay. Ich sollte erstmal anfangen mein eigenes blödes Herz zu verstehen.

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