Nervös zupfe ich an der Nagelhaut meiner Finger. Heute ist es soweit. Aiden und ich werden unser Kunstprojekt vorstellen. Allen aus unserem Kurs die wunderschönen Fotografien zeigen und erklären, was wir mit ihnen zum Ausdruck bringen wollen. Meiner Meinung nach hat Aiden dabei definitiv das bessere Los gezogen. Schließlich ist er auf keinem der Bilder zu sehen. Da kann ich nur beten, dass die »Coolen« einen guten Tag haben und ihnen die Lästerei ausnahmsweise vergangen ist.
»Guten Morgen Lyn.«
Ich lasse meinen Blick in die Richtung schweifen, aus der ich gerufen wurde.
»Guten Morgen.« Durch ein leichtes Lächeln versuche ich das Zittern in meiner aufgeregten Stimme zu verbergen. Fast befürchte ich, dass mich mein Angstschweiß verrät, aber es scheint Aiden nicht weiter aufzufallen, dass ich mich am heutigen Morgen irgendwie anders verhalte. Stattdessen kommt er freudestrahlend in großen Schritten auf mich zu gelaufen. Eines muss man ihm lassen. Er hat sein Wort gehalten und mich seit jenem Samstag vor wenigen Tagen nicht länger ignoriert. Ganz im Gegenteil. Nachdem ich Vic am Sonntag im Garten geholfen habe, blitze plötzlich das Display meines Handys auf. Aiden schrieb ein paar nette Worte und schickte einen Haufen Bilder mit. Natürlich nur die, die seiner Ansicht nach am besten aussahen. Allerdings bin ich schlau genug, um zu merken, dass er mir trotzdem alle geschossenen Fotos zukommen lassen hat. Ich bezweifle, dass es Aidens Absicht dahinter ist, aber im ersten Moment erschien mir das ganze ziemlich eingebildet und selbstverliebt. Doch inzwischen kenne ich den unnahbaren Jungen besser, um genau zu wissen, dass es mehr ein Scherz sein sollte und im Grunde genommen überhaupt nicht ernst gemeint war. Zumindest nicht zu einhundert Prozent. Schmunzelnd schaue ich zu Aiden auf, direkt in die Farbe der Weltmeere, der mittlerweile neben mir stehen geblieben ist.
»Ist irgendetwas?«, kommentiert er mein Grinsen.
»Nö, alles gut.«
Aiden nickt skeptisch und zieht einen Umschlag aus seinem Rucksack, ehe er ihn mir direkt unter die Nase hält. Irritiert runzle ich die Stirn.
»Ich dachte, ich mache mein Verhalten von letzter Woche in Teilen wieder gut, wenn ich dir die hier schenke. Dann sparst du dir den Weg, sie entwickeln zu lassen.«
Nun wissend nehme ich den länglichen Umschlag an mich. »Danke.« Lächelnd stecke ich ihn zu den viel Büchern in meinen Rucksack, der mit jedem neuen Schultag immer schäbiger wird. Leider kommt mir die Nervosität einmal mehr in die Quere. Mit zitternden Knochen ist es wirklich ein Hexenwerk, einen solchen Reißverschluss zu öffnen und noch viel schlimmer – ihn wieder zu schließen.
»Hat da etwa jemand Angst?«, grinst Aiden, um mich schamlos zu ärgern.
Ich schaue böse drein und lasse meine Augenbraue in die Höhe wandern. »Höchstens aufgeregt. Mehr nicht.«
»Schon klar. Aber das wird schon. Mach dir nicht so viele Gedanken über etwas, dass du eh nicht beeinflussen kannst.« Aiden legt mir einen Arm um die Schultern und schaut mir zuversichtlich in die Augen. Jetzt bloß nicht die Fassung verlieren.
Doch dafür bin ich viel zu entsetzt über seine Worte. »Natürlich haben wir es in der Hand, wie der Vortrag ausgeht.« Am liebsten würde ich vor Entrüstung die Hände in die Hüften stemmen.
»Ach Lyn. Lass uns los gehen, bevor du mir noch umkippst.« Für einen Moment mustert Aiden meinen Gesichtsausdruck.
Vermutlich hofft er auf einen zynischen Kommentar, aber den Gefallen werde ich ihm nicht tun. Stattdessen verdrehe ich nur die Augen, was nicht einmal halb so lässig aussieht, wie es eigentlich rüberkommen sollte. Die Anspannung steht mir förmlich auf der Stirn geschrieben. Umso erleichterter bin ich, dass Aiden mich mit sich durch die Gänge zum Kunstraum schiebt. Auf meine Beine kann ich mich im Augenblick wirklich nicht verlassen. Immer wieder klammere ich mich an die fast vollständig abhandengekommene Wunschvorstellung, dass unsere Mitschüler ihre dummen Kommentare für sich behalten können. Andererseits begegnen sie Aiden Tag ein, Tag aus mit einem Respekt, den sich die neuen Schüler nur erträumen können. Also trauen sie sich bestimmt nicht, ein falsches Wort zu verlieren. Immerhin sind es jene, die neuerdings blöd gucken, wenn sie mich mit Aiden allein sehen. Josie tut diese Veränderung nur mit einem Grinsen ab, während es die anderen, unter ihnen auch Ethan nicht einmal bemerkt zu haben scheinen. Ehrlich gesagt überrascht es mich selbst immer wieder, dass Aiden plötzlich so offenherzig ist und er auch hier auf der Highschool nicht mehr zwangsläufig den allen überliegenden Quarterback spielt. Beklagen kann ich mich darüber auf keinen Fall.
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too close
Teen FictionLyn, ein junges eher in sich gekehrtes Mädchen wird unverhofft adoptiert. Mit dem Umzug in einen fremden Bundesstaat muss sie ihr altes Leben hinter sich lassen. Besonders schwer fällt ihr der Abschied von ihrer besten Freundin. Denn Alli ist die ei...