Abgehetzt schweift mein Blick zur großen Fensterfront des Cafés in dem ich mich heute mit Josie treffe. Im Vergleich zu anderen ist es gut besucht, sodass ich einen Moment benötige, um sie am Tisch in der Ecke zu entdecken. Als sie mein abgekämpftes Gesicht sieht, huscht ein Lächeln über ihre Lippen und ich winke ihr im Vorbeigehen zu. Die Glocke über dem Eingang des Cafés kündigt meinen Besuch an und mir schlägt sofort der köstliche Duft von frisch gebrühtem Kaffee und lauwarmen Gebäck entgegen. Himmlisch! Ich liebe diese schlichten, stilvollen Cafés ohne viel Schnick Schnack. Geschmackvoll, aber nicht erhaben. All die anderen Gästen schenken mir überhaupt keine Aufmerksamkeit, sondern lassen sich ihre Heißgetränke schmecken. Die einen sind schwer damit beschäftigt auf ihren Laptop zu starren, andere ihre Kinder zu beruhigen und wieder andere krümeln gerade ihre gesamten Notizen voll. Ich grinse. Die Barista heißt mich herzlich Willkommen. Fröhlich erwidere ich ihre Begrüßung. Mit glühenden Wangen und hechelnd wie ein Hund, bleibe ich vor Josies Platz stehen. Nachdem ich gestern ewig gebraucht habe, um einschlafen zu können, da mich meine Gedanken permanent zu Aiden und unseren fast Kuss geleitet haben, fiel es mir heute Morgen noch viel schwerer als so schon, meinen Hintern aus dem Bett zu schwingen. Immer wieder musste ich an seine Nähe und seine sanften Berührungen denken, die mich erschaudernd lächeln ließen, aber leider auch an den peinlichen Augenblick, als mit einem Mal seine Eltern in der Tür standen. Ich kann nur beten, dass sie nicht mitbekommen haben, was wenige Sekunden vor ihrer Ankunft geschehen ist. Vermutlich könnte ich Elizabeth so schnell nicht mehr ohne Weiteres in die Augen blicken. Umso erschöpfter puste ich mir jetzt eine Haarsträhne aus der Stirn, der es in meinem Gesicht offenbar so gut gefällt, dass sie während meines Marathons ständig an ihr haften blieb. Jo zieht mich trotzdem in eine kurze Umarmung. Ich tue es ihr gleich.
»Na, verschlafen?« Sie grinst vielsagend.
Die Antwort kennt sie längst. Noch immer vollkommen außer Atem lasse ich mich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen und greife beherzt nach ihrer Tasse, um den Eiskaffee in einem Zug herunter zu kippen. Genau das ist es, was ich jetzt brauche. Augenblick spüre ich die Kälte in meinen Magen rennen, doch nichts fühlt sich in diesem Moment erleichternder an. Josie zieht eine Augenbraue in die Höhe, während sie neugierig meine Miene mustert.
»Was?«, frage ich harscher als gewollt. Doch sie hebt nur ihren Arm: »Zwei Eiskaffee. Ach und ein Stück von dem fabelhaften Kuchen für meine Freundin!«, ruft sie durch das gesamte Lokal, ohne auch nur eine Spur ihres Selbstbewusstseins zu verlieren. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her, da uns mit einem Mal alle Gäste in ihren Blick nehmen. Wahrscheinlich bilde ich mir das auch nur ein, aber ich werde mich jetzt mit Sicherheit nicht umdrehen, um meine Vermutung zu überprüfen. Das Ganze würde nur noch unangenehmer werden. Schlimmer geht ja bekanntlich immer. Nachdem der Sauerstoff wieder in meine Lungen eingezogen ist, stütze ich meine Ellenbogen auf dem runden Tisch vor mir ab und lenke so Jo's Aufmerksamkeit erneut auf mich.
»Wie war eigentlich euer Abend?« Warum zur Hölle ich sie ausgerechnet das frage, ist mir scheinheilig. Eigentlich ist doch klar, wie das enden wird. Sie erzählt von der Feier und stellt die Gegenfrage, vor allem weil Aiden und ich zusammen gegangen sind. Was meine beste Freundin ganz nebenbei erwähnt eigentlich gar nicht mitbekommen konnte. Aber die Augen der anderen sind ja ständig überall. Und Tratsch ist immer ein ganz großes Thema. Ganz besonders auf solchen Feierlichkeiten.
»Gut. Ausgesprochen gut. Der Coach hat nicht zu viel versprochen. Er hat für alle eine Runde spendiert. Am Ende sind sogar drei daraus geworden. Neija, das übliche Gerede halt und die blonde aus unserem Kurs ist später mit einem der Spieler abgehauen.« Anzüglich wackelt sie mit den Augenbrauen.
Ich weiß genau, wen sie meint, habe aber keine Lust genauer darauf einzugehen. Schließlich sind die beiden mir egal. Ich stehe nicht auf das ganze Getratsche und die Gerüchte. Sie sind alt genug, sollen sie doch machen, was sie für richtig halten. Es geht absolut niemanden etwas an. Auch nicht Jo oder mich. Stattdessen antworte ich eher schwammig und ganz allgemein. »Das ist doch schön. Immerhin haben die Jungs sich den Abend hart erkämpft.« Jo nickt und beißt von ihrem Cookie ab, der sich auf dem obersten der drei vor ihr gestapelten Teller befindet. Ich will gar nicht erst wissen, wie lange sie hier schon sitzt und was sie schon alles verdrückt hat. Nachdenklich hält sie beim Kauen inne, ehe sie ihren Finger hebt, um mir zu verdeutlichen, dass sie wohl noch etwas wichtige zu ihrer Erzählung hinzufügen muss.
»Ach ja und ich bin verdammt sauer auf Ethan.«
Irritiert nehme ich den Blick vom Cookie, den sie zurück auf den Teller zurücklegt.
»Wieso das denn? Ihr seid doch normalerweise ein Herz und eine Seele, mit den üblichen geschwisterlichen Auseinandersetzungen.«
»Eben«, stimmt sie mir zwar zu, lässt mich aber vermuten, dass genau da das Problem liegt.
Jo bemerkt meinen fragenden Blick.
»Beschützerinstinkt«, augenverdrehend hält sie nach der Barista Ausschau, die eigentlich längst unsere Getränke gebracht haben müsste.
So langsam dämmert es mir, in welche Richtung Jo ihre Wut auf ihren Zwillingsbruder begründet.
»Du weißt doch noch, dieser eine Typ aus seinem Team.«
Ich nicke, während Jo verträumt an mir vorbeischaut, ehe ihr Blick wieder den meinen sucht.
»Wir haben uns gestern Abend unterhalten, nur unterhalten. Wirklich.« Ernst steckt sie ihre Finger in die Höhe und schwört mir, dass es so war.
»Und?«, hake ich nach.
Josie seufzt. »Ethan hat das alles ganz falsch aufgenommen. Jedenfalls solle ich mich jetzt von dem Typen fernhalten, blablabla.«
Ich grinse.
»Er meinte, als großer Bruder wäre es seine Aufgabe, auf mich aufzupassen. Lyn ernsthaft, ich habe ein Problem. Oder besser gesagt einen Bruder zu verschenken.«
Ich verstehe was sie meint. Ethan ist nur ein paar Minuten älter und Jo extrem davon genervt, dass er sich ihr gegenüber in solchen Situationen immer selten dämlich aufführt.
»Ich bin echt verzweifelt. Aber vielleicht kriegt er sich ja auch wieder ein und begreift, dass ich alt genug bin, meine Entscheidungen selbst zu treffen und ausbaden zu müssen.«
»Bestimmt.« Um nicht noch mehr Salz in die offene Wunde zu streuen, beschließe ich, Jo nicht noch länger auf den geheimnisvollen Unbekannten aus dem Footballteam anzusprechen und das Thema vorerst einfach zu vergessen.
»Aber jetzt sag mal. Wie war überhaupt dein Abend. Oder soll ich besser sagen euer?« Verschmitzt stützt sie ihr Kinn in ihre Handfläche. Ich wusste, dass es so kommen würde und es bringt absolut nichts, dass ganze abzustreiten.
»Wer hat gequatscht?«
»Unwichtig«, winkt Jo ab.
Genervt stöhnend lehne ich mich zurück und spiele lieber mit meinen Fingern, als Jo die Geschichte von gestern Abend aufzutischen.
»Jetzt sag schon«, kein bisschen fordernd, dafür umso neugieriger kann sie es nicht lassen, mich auszuquetschen.
Zu meiner Rettung taucht im gleichen Augenblick die Barista auf und stellt die zwei Eiskaffee, sowie den Kuchen vor uns auf den Tisch. »Guten Appetit.«
Jo bedankt sich rasch und meine Galgenfrist scheint verstrichen.
»Ich bin halt mit zu Aiden. Es hat sich so ergeben. Er musste, wie du weißt, auf seine kleine Schwester aufpassen, was ihn in Anbetracht der Tatsachen nur mäßig erfreute. Also dachte ich, ich leiste ihm einfach ein bisschen Gesellschaft. Außerdem ist Ava wirklich niedlich. Ich mag sie«, ende ich schließlich immer verlegender.
»Und ihn«, fügt Jo hinzu.
Ich sage nichts. Lieber ramme ich die Gabel in das arme Kuchenstück und probiere. Himbeere. Die absolute Geschmacksexplosion.
»Der ist wirklich gut. Ich liebe Himbeeren.« Vielleicht kann ich so das Thema wenigstens für einen Moment ablenken.
Aber Jo lässt sich davon nicht irritieren.
»Und was habt ihr dann den ganzen Abend gemacht? Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.« Überlegend, wie ich meine nächsten Worte sehr gewählt sprechen kann, beobachte ich mich dabei, wie ich die Gabel in meiner Hand drehe.
»Auf seine kleine Schwester aufgepasst«, ich lasse es unbeabsichtigt wie eine Frage klingen.
»Und weiter?«
»Nichts weiter.«
Jo entreißt mir die Gabel, die ich unbewusst immer hektischer drehe.
»Ach Lyn. Seien wir doch ehrlich. Ihr könnt nicht die ganze Zeit aufgepasst haben. Kleine Kinder schlafen viel. Vor allem früh abends.«
Mist, durchschaut.
»Na schön. Wir haben Pizza gegessen, einen Film geguckt und dann-«, ich unterbreche mich selbst und klaue mir erschrocken die Gabel zurück. Beinahe hätte ich ihr alles, wirklich alles, aufs Butterbrot geschmiert.
»Und dann was?« Jo lässt einfach nicht locker. Ich weiß, dass sie nicht gegen ihre Neugier ankann.
»Und dann haben wir uns irgendwann fast geküsst«, bringe ich gequetscht hervor, bis die letzten Worte fast auf ihrem Weg über meine Lippen zu ersticken drohen.
»Ihr habt was? Oh. Mein. Gott.« Überrascht reißt Jo ihre Augen auf. »Ich will alles wissen. Ausnahmslos alles.«
Es hat sowieso keinen Zweck. »Von mir aus. Aber nicht hier.«
Jo schaut mir einen Augenblick lang tief in die Augen
»Deal.« Ohne zu zögern steht sie auf. »Was hast du vor?«
»Mädelstag? Bei mir? Jetzt?« Josie bringt mich zum Grinsen.
»Liebend gerne.«
Das Unbehagen von gerade eben ist fast vollständig dahin verschwunden, wo es herkam.Keine Stunde später hat Jo für uns beide bezahlt, woraufhin wir zu mir gegangen sind, um ein paar Sachen zu holen und Vic und Rich um Erlaubnis zu fragen und stehen jetzt in der Auffahrt zu Jos und Ethans Haus. Auch, wenn ich weiß, dass mir gleich ein ziemlich unangenehmer Part bevorsteht, freue ich mich doch auf den Mädelsabend, den wir schon so lange geplant, aber nie umgesetzt haben. Als wir das Haus betreten, ruft Jo eine Begrüßung, die bis in die hintersten Räume hallt, aber keine Antwort erhält. Währenddessen stelle ich meinen Rucksack zur Seite und streife mir die Schuhe von den Füßen, ehe ich sie ordentlich zu den anderen neben der Garderobe sortiere. Gerade als ich mich wieder aufrichten will, zieht ein ganz bestimmtes Schuhpaar meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich kenne sie. In den letzten Wochen habe ich sie nur allzu oft gesehen. Sneakers. Für Riesenfüße. Nichts Ungewöhnliches. Zumindest nicht, wenn ich nicht wüsste, dass sie auf keinem Fall Ethan gehören. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag, lässt mich schlucken. Ich bete zutiefst dem Besitzer in den nächsten Stunden nicht über den Weg laufen zu müssen. Alles ist mir recht, aber auf keinem Fall möchte ich jetzt, heute, ihm -Aiden- gegenüberstehen müssen. Im Augenblick wäre das nicht nur verdammt unangenehm, vor allem wegen Jo und Ethan, sondern auch verdammt schwierig und definitiv zu viel für mich.
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too close
Teen FictionLyn, ein junges eher in sich gekehrtes Mädchen wird unverhofft adoptiert. Mit dem Umzug in einen fremden Bundesstaat muss sie ihr altes Leben hinter sich lassen. Besonders schwer fällt ihr der Abschied von ihrer besten Freundin. Denn Alli ist die ei...