⊱Kapitel 3⊰

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Mit einem flüchtigen Blick auf meine Armbanduhr verlasse ich die Highschool durch den Haupteingang. Augenblicklich trifft die Hitze der in der Luft funkelnden Sonnenstrahlen auf meine Haut und lassen mich so einen Moment innehalten. Ein breites Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, als ich den ersten Tag an der Highschool hier in Effingahm Revue passieren lasse. Eigentlich ist es schon verrückt, wie erfreut Josie und ihre Clique mich aufgenommen haben. Vielleicht wird die nächste Zeit in meinem Leben noch viel schöner, als ich es mir ausgemalt habe.

Die raue Stimme eines älteren Herrn holt mich und meine Gedanken zurück auf den leeren Betonplatz. Die meisten Schüler, sowie Lehrer haben längst die Flucht angetreten und sitzen entweder schon zu Hause oder noch im Bus. Ich hingegen mache mich auf den Weg zum Footballplatz. In Washington habe ich das ständig getan. Eigentlich jeden Tag. Es war der einzige Ort, an dem ich wirklich die Ruhe gefunden habe, die ich brauchte. An diesem für mich so magischen Platz, habe ich immer die kreativsten Ideen für meine Gedichte gefunden, konnte mich am Besten auf meine Hausaufgaben konzentrieren oder einfach den Jungs beim Training zuschauen. Letzteres tat ich immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, einfach mal vollkommen abschalten zu müssen. Der ovale Ball hat mich von all den Sorgen und Problemen des Alltags abgelenkt und dem Chaos in meinem Kopf eine kleine Pause gegönnt. Für den Sport selbst, fällt es mir schwer Begeisterung aufzubringen. Jegliche Regeln und Taktiken haben mich nie interessiert. Viel eher steckte ich meine Nase in die Literatur und las ab und an auch mal ein gutes Buch auf der Tribüne. Nur ein einziges Spiel habe ich mir je angeschaut. Und das auch eher notgedrungen. Alli zu Liebe. Damals fand sie einen der Typen, wie sie es zu sagen pflegt, unheimlich süß. Wochenlang lag sie mir damit in den Ohren, bis ich schließlich nachgegeben und sie zu einem der Spiele begleitet habe. Allerdings war ihre Schwärmerei schneller wieder abgehakt, als sie überhaupt angefangen hat. Sein Charakter war wirklich mies, das hat auch Alli irgendwann festgestellt. So wurde der süße Footballspieler in Windeseile zum arroganten Arsch ernannt.

Je näher ich dem Spielfeld komme, desto lauter werden die Rufe des Coaches. Mechanisch lasse ich mich auf die mittlere Reihe der Tribüne plumpsen und lege meinen Rucksack auf die Seite. Neugierig überblicke ich das riesige Spielfeld. Der saftig grüne, frisch gemähte Rasen mit all den Begrenzungen, umgeben von der roten Tartanbahn. Eine weitere Tribüne auf der gegenüberliegenden Seite und der geschotterte Weg zur Sporthalle und den Umkleiden. Im Gegensatz zum Rest der Highschool ist dieser Teil mehr als nur gepflegt. Ich bin mir sicher, einer der Eltern der Mannschaft gibt sich als Privatsponsor. Anders kann ich mir das patu nicht erklären.

Erstaunt fliegt mein Blick zurück zu den Jungs in ihren gelb-rot gestreiften Trikots. Aus einem mir unerklärlichen Grund wirkt das Feld ganz anders als in Walla Walla, aber gleichzeitig auch genauso vertraut. Kurz versammelt sich das Team in der Mitte des Grüns und hört sich an, was der Coach ihnen zu sagen hat, ehe alle wieder ausschwärmen und irgendwelche seltsam aussehenden Übungen absolvieren. Ein leises Kichern kann ich mir in diesem Moment wirklich nicht verkneifen. Bevor ich noch in schallendes Gelächter ausbreche, beschließe ich mich meinem Notizheft zu widmen. Hausaufgaben gab es heute zum Glück keine. Mechanisch ziehe ich das verzierte Büchlein aus meinem Rucksack und blättere die nächste freie Seite auf. Einige Minuten lang starre ich nachdenklich auf das weiße Papier und drehe den Stift in meinen Händen. Plötzlich hallt eine Idee unaufhaltsam durch meine wirren Gedanken. Vorurteile. Jeder hat sie. Auch ich. Warum habe ich mir sonst selbst eingeredet, dass dieser Tag schrecklich werden würde. Warum glaubte ich, könnte der Typ an der Haltestelle ein Idiot sein. Okay zugegeben, er war wirklich ein Idiot.
Die nüchertene Art des Anderen heute Morgen im Bus. Vielleicht ist sie nur die Fassade eines tief traurigen oder gefühlsvollen Jungen. Vielleicht ist er kein kalter Blödmann, so wie an es nach seinem unangebrachten Abgang hätte glauben können. Vorurteile machen uns leider zu dem, was wir sind. Für einen Sekundenbruchteil unterbricht ein Schwall heller, weiblicher Stimmen meinen roten Faden und lässt mich den Blick von Stift und Papier heben. Sie gehören zu den Mädchen des Cheerleader Teams, das sich nun etwas abseits der Jungs auf dem Platz versammelt hat. Sofort erkenne ich einige von Jo's Freundinnen wieder. Ob sie mich auch schon als Freundin ansehen? Eine von ihnen stupst die Brünette neben sich an, sodass beide zu mir schauen und mir zu winken. Lächelnd erwidere ich diese Geste und senke meinen Blick erneut auf die leere Seite vor mir. Ein weiteres Vorurteil wäre damit auch gefunden. Alle Mitglieder des Cheerleader Temas sind die Tussis der Schule und wasserstoffblond. Absoluter Quatsch.

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