Chapter 5

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Wie erzähle ich es ihnen am besten? Soll ich es ihnen überhaupt sagen? Oder würden sie sich dann nicht viel zu viele Gedanklen machen? Würde sie das nicht nur unnötig belasten? Macht ihnen das nicht zu viel Angst?

Mit diesen Fragen beschäftigte ich mich den gesamten Flug von Cambridge nach Livingston. Stundenlang überlegte ich hin und her, wog die Pros und Contras ab und kam letzten Endes doch zu keinem nützlichen Ergebnis. Sie wussten, dass ich im Krankenhaus gewesen bin. Das hatte ich ihnen gesagt. Freddie hatte sogar drauf bestanden, mich zu besuchen, was ich ihm allerdings hatte ausreden müssen. Jedoch glaubten meine drei besten Freunde genauso wie das ganze Vereinigte Königreich ich hätte mich bei einem Reitunfall verletzt. Noch wenige Stunden und ich würde sie und den Rest meiner Mitschüler vom Internat wiedersehen. Langsam aber sicher wurde ich richtig nervös und ein nagendes Gefühl der Angst machte sich in meiner Magengegend breit. Angst vor ihren Reaktionen wenn/falls sie die Narben sehen sollten. Selbst wenn ich die unschönen Zeugnisse meines Unglücks gut mit langer Hose, Pullover und Schal verhüllt hielt, bestand trotzdem eine gewisse Paranoia.

Ich zog den dunkelroten Schal enger um meinen Hals als ich den Flughafen verließ und mir ein Taxi rief, das mich zum Bahnhof bringen sollte. Es war Ende August aber hier oben in Schottland wehte schon ein kühler Wind. Der Taxifahrer lud meine schweren Koffer in den Kofferraum und ich entspannte mich, als ich mein Handy durchforstete, das ich während des Flugs hatte ausmachen müssen. Zwei neue Nachrichten. Eine von Taze, in der er fragte ob ich schon gelandet sei, ob alles gut wäre und ob ich ihn schon vermisste. Eigentlich war eine Antwort unnötig. Er war die Strecke selbst schon oft genug geflogen, um zu wissen wie lange der Flug dauerte und dass ich ihn vermisste war eh klar. Die zweite war von Daisy. Sie sagte mir eigentlich nur, dass sie sich freute mich wiederzusehen. Und das mit 10(!) Ausrufezeichen...

Das Taxi fuhr los und gute 20 Minuten später gab ich dem Fahrer sein Geld und betrat den Bahnhof der hübschen, schottischen Stadt Livingston.

An diesem Bahnhof fand sich zu Beginn jedes neuen Schuljahres die gesamte Schülerschaft des "Crownswell Internats" ein. Es gab von dort aus einen Internats eigenen Zug, der nur einen Bahnhof anfuhr und das war der Bahnsteig der zur Schule gehörte. Er war allerdings immernoch knappe 7,5km vom Anwesen entfernt, weshalb es zu allem Überfluss noch Shuttles gab, die uns Schüler direkt auf der Schwelle des Internats absetzten. Wenn es nach mir ginge, könnten wir die 7,5km auch laufen, aber ich hatte ja wie immer nichts zu melden, von daher wäre es reine Zeitverschwendung mich mitzuteilen.

Ich marschierte also mit meinen zwei Monsterkoffern durch den vollen Bahnhof. Hier und da entdeckte ich ein paar bekannte Gesichter oder beobachtete wie Mitschüler den Pendlern aus Versehen ihre Koffer gegen die Beine oder sonst wo hin schlugen, während ich mich im Gegensatz dazu mit der Eleganz eines Bengalischen Tigers durch die Massen schlängelte. Ja, Übung machte bekanntlich den Meister. Wenn man sich 4 Jahre lang jedes Jahr circa 4 Mal dieser Herausforderung stellen musste, hatte man irgendwann den Bogen raus. Als ich mich allerdings wieder auf mich selbst anstatt auf das Unglück anderer konzentrierte, fand ich mich einer Hürde gegenüber, die ich ohne Hilfe vermutlich nicht sehr grazil würde bewältigen können. Denn eine glatte, lange Treppe mit nicht gerade leichtem Gepäck zu erklimmen, könnte sich als durchaus schwierig erweisen, wenn man auch noch mit einem verstauchten Zeh zu kämpfen hatte, so wie ich im Moment.

Aber ich war ja schließlich keine Mimose und an Ehrgeiz und einem gewissen Kampfgeist mangelte es mir auch nicht. Also griff ich mit jeder Hand einen meiner Koffer und machte den ersten Schritt die schon leicht abgenutzten Betonstufen rauf. Als ich schon ein gutes Drittel der Treppe geschafft hatte, was mich im Übrigen schon 5 Minuten gekostet hatte, weil es offensichtlich niemand für nötig hielt mir zu helfen, trat mir selbstverständlich jemand auf meinen verletzten Fuß, sodass ich meinen Halt verlor und samt meiner Koffer mehrere Stufen wieder runter segelte. Aber anstatt mir zu helfen ließ dieser jemand nur ein kehliges Lachen verlauten.

Love's a desperate thingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt