Chapter 23

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,,Grandma!!", rief ich fröhlich, als ich durch die breite Tür ins große Wohnzimmer stürzte, in dem meine Großmutter auf einem der weich gepolsterten Sofas saß und häkelte. Sie stand schnell auf, um mich zu begrüßen, nachdem sie Taze und mich ins Haus hatte kommen hören. Meine Großmutter war angesichts ihres Alters immer noch ziemlich fit und hatte geschärfte Sinne wie ein Adler. ,,Hallo, meine Kleine!", sagte sie liebevoll und nahm mich in den Arm. Ich liebte meine Oma über alles und sie war mir immer ein Vorbild gewesen. Nachdem wir uns voneinander gelöst hatten und sie auch Taze einmal fest gedrückt hatte, deutete ich lachend auf ihr Häkelzeug. ,,Machst du etwa schon wieder Socken, Grandma?", fragte ich amüsiert. ,,Natürlich.", gab sie gespielt entrüstet zurück. ,,Ihr müsst doch auch Geschenke zu Weihnachten bekommen." Einen Moment lang sahen wir drei uns nur grinsend an, ehe meine Großmutter wieder das Wort ergriff. ,,Na kommt, ihr Lieben, setzt euch und erzählt eurer alten Großmama, was bei euch gerade so passiert." Sie ließ sich wieder in die Kissen der Couch sinken und klopfte auf die Plätze neben ihr. Taze und ich nahmen an je einer Seite von ihr Platz. Taze berichtete Grandma etwas widerwillig von seinem Studium. Er hatte es ziemlich hart. Das Studium war anstrengend und zeitaufwändig. Er hatte so seine Schwierigkeiten und das gab er nur ungern zu. Dass ihm mal etwas nicht einfach so von der Hand ging, nagte an meinem Bruder, weil er sonst immer alles mit einer Leichtigkeit fertig brachte, die bemerkenswert war. Nachdem er iht gute 15 Minuten sein Leid geklagt hatte, lenkte Taze jedoch die Aufmerksamkeit auf mich. ,,Aber ich denke, Mia hat auch ne ganze Menge zu erzählen. Ich hol mir was zu trinken. Möchte noch jemand irgendetwas?", sagte er, während er aufstand und in Richtung Tür ging. Als weder unsere Oma noch ich auf seine Frage antworteten, machte sich mein Bruder schulternzuckend aus dem Staub, auch wenn ich das merkwürdige Gefühl hatte, dass er kaum um die Ecke war. ,,Also meine Hübsche, was hast du denn so auf dem Herzen?", fragte meine Oma schmunzelnd. ,,Ach, gar nichts. Taze macht bloß Witze.", antwortete ich und versuchte dabei so überzeugend wie möglich zu lächeln. ,,Mia...", begann meine Oma ,,ich merk doch, dass dich was bedrückt. Ich mag zwar alt sein, aber blind bin ich noch lange nicht. Du kannst mir alles erzählen, Schätzchen.", sagte sie liebevoll. Ich seufzte müde und ließ den Kopf sinken. ,,Ach Oma, wie machst du das bloß immer? Na schön, ich erzähl's dir, aber wo soll ich anfangen?" Plötzlich kam aus dem Flur ein seltsam gekünselt klingendes Gehuste. ,,*hust* letzter Sommer *hust hust*" Meine Oma und ich sahen uns wissend grinsend an. ,,Also wenn ich du wäre, würde ich auf das Husten aus dem Jenseits hören. Das hat meistens recht.", scherzte meine Großmutter. ,,Danke für den Hinweis, Taze. Wärst du dann so gut und lässt uns allein?", fragte ich mit leicht erhobener Stimme. Die Antwort kam sofort von der anderen Seite der Tür. ,,Keine Ursache, Ammi." Dann konnte ich hören, wie sich Taze' schwere Schritte entfernten. ,,Na gut, also letzten Sommer, ja?", fing ich etwas zögerlich an, während ich mir zusammenlegte, wie ich meiner Großmutter alles, und mit alles meinte ich ALLES, erklären konnte. Ich spürte, wie ich einen Kloß im Hals bekam und meine Augen etwas wässrig wurden. ,,Letzten Sommer stand doch in allen Zeitungen, dass ich im Krankenhaus war, weil ich einen Reitunfall hatte, nicht wahr?", begann ich, ,,Das war gelogen. Es war eine blöde Ausrede, die sich Mum und Dad ausgedacht hatte, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. In Wirklichkeit musste ich in die Klinik, weil man mich zum Ende der Ferien vergewaltigt hat." Meine Großmutter unterbrach mich mit einem entgeisterten Laut der Empörung. Sie wollte etwas sagen, aber ich schnitt ihr das Wort ab. ,,Oma, darf ich erstmal alles erzählen, bevor du was dazu sagst?" Ich hatte mich entschlossen, ihr alles zu erzählen, was mein derzeitiges Leben ausmachte. Ich wollte ihr auch berichten, das meine Eltern Taze und mich regelmäßig schlugen. Nicht einmal das wusste sie. Ich hatte auch den Drang, ihr von meiner besorgniserregenden Beziehung zu Davies zu erzählen. Von meinen Problemen mit Jeff, von den merkwürdigen Gefühlen zu Freddie, meiner Angst. Einfach alles wollte ich sie wissen lassen. Sie nickte zaghaft und ich fuhr fort, nachdem ich einmal stark durchgeatmet hatte. ,,Also, an dem Abend bin ich von zuhause weggelaufen, weil ich es hier nicht länger ausgehalten habe. Den Grund dafür muss ich dir wohl auch erzählen, damit das Ganze irgendwie verständlich wird. Also....Mum und Dad schlagen Taze und mich. Des Öfteren. Es ist beinahe schon zur Gewohnheit geworden.", brachte ich etwas stotternd hervor. Ich sah nach unten, um nicht in Tränen auszubrechen. Ich spürte, wie sich die Arme meiner Großmutter um meine Schultern schlossen. ,,Ohhh meine arme Kleine. Ich dachte, das hätte schon vor einiger Zeit aufgehört..", sagte sie mitleidig und tröstend. Ich zog die Stirn kraus, als ich über ihre Worte nachdachte. Sie dachte, es hätte aufgehört? Sollte das etwa bedeuten, dass sie von der Prügel, die mein Bruder und ich regelmäßig einstecken mussten, Bescheid wusste? Wieso hatte sie uns dann nicht geholfen? ,,Was? Du wusstest davon?!", vergewisserte ich mich aufgebracht, in der Hoffnung, meine Oma falsch verstanden zu haben. Als ich zu ihr aufschaute, weil mich die kurze Stille zwischen uns stutzig gemacht hatte, schaute sie mich verwirrt an. ,,Ja, ich wusste es. Taze hat es vor ein oder zwei Jahren erzählt. Ich hab daraufhin mit deinen Eltern ein ernstes Wörtchen geredet, wenn du weißt, was ich meine. Ihnen mit einer Anklage gedroht, falls ich sowas noch ein Mal mitbekommen sollte. Taze hatte mir dann ein paar Monate später auf meine Frage hin gesagt, dass nichts mehr vorgefallen wäre und jetzt wieder alles gut sei. Dann hab ich es gut sein lassen." Jetzt war ICH verwirrt. Ich konnte das alles nicht verstehen. Meine Großmutter wusste von unserer Misere und unternahm nicht wirklich etwas, um zu helfen. Mein Bruder log sie grob an, in dem er behauptete, dass unsere Familie so intakt war, wie es nach außen den Anschein machte. Ich suchte krampfhaft nach Szenarien und Möglichkeiten, die erklären könnten, wieso mein Bruder solche Dinge erzählte, die eigentlich komplett dem Gegenteil entsprachen, und unsere Situation in der Familie verleugnete. Das ganze Chaos in meinem Kopf verschaffte mir Kopfschmerzen. Würde man mich dafür bezahlen, mir den Kopf zu zerbrechen, müsste ich schon seit Jahren nicht mehr mit meinen Psychopathen-Eltern unter einem Dach leben. Ich erhob mich vom Sofa, als mein Hirn aus allen Nähten zu platzen schien und verließ geistesabwesend den Raum. Ich hörte wie durch Watte, dass meine Großmutter mir folgte und mir besorgt nachrief. ,,Ich brauch mal ne Sekunde für mich.", murmelte ich apathisch und marschierte schnell durch die Korridore zu meinem Zimmer.

Love's a desperate thingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt