Chapter 22

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Es war schon später Nachmittag als unser Flieger in Cambridge landete. Ich war ziemlich kaputt, weil ich Fliegen eigentlich nicht besonders gut abkonnte, aber ich hatte mich mit der Zeit an das unangenehme, flaue Gefühl im Bauch gewöhnt und lenkte mich außerdem entweder mit Musik oder Schlafen davon ab. Dieses Mal tat ich allerdings kein Auge zu. Meine Gedanken kreisten um das, was die 2 Frauen im Foyer vorhin gesagt hatten. "Schon gehört? Es is' wohl vorhin einer ausgebrochen." hatte die kleine Rothaarige ihrer blonden Mitarbeiterin zugeflüstert. Wenn das tatsächlich der Mann war, den das Scotland Yard verdächtigte, mein Vergewaltiger zu sein, wäre das ein absoluter Albtraum . Wer weiß, was dieser Kerl noch anderen Mädchen und Frauen antun könnte? Was, wenn das Scotland Yard ihn nicht finden könnte und er ungestraft davon kommt? Auf diese Fragen versuchte ich angestrengt Antworten zu finden, jedoch gelang mir das nicht wirklich. Meine Angst verhinderte, dass ich mich auch nur im Entferntesten konzentrieren konnte.

Nachdem das Flugzeug sicher und ohne Komplikationen gelandet war und Taze und ich das Flughafengebäude verlassen hatten, begann unser traditioneller Geschwister-Roadtrip. Wir stiegen in Taze' alten Aston Martin DB5, in dem er sich, wie er immer sagte, wie James Bond fühlte, und machten uns auf den Weg zum erst besten Schnellrestaurant. Wir ließen gute 50 Pfund bei der pummeligen Frau hinterm ersten Fenster und lachten über ihren erstaunten Blick, als sie realisierte, dass soeben 2 Jugendliche in einem Aston Martin-Oldtimer eine Bestellung für eine fünfköpfige Familie mit Übergewicht getätigt hatten. Unser Ziel war wie immer der verlassene Parkplatz einer uralten Zementfabrik etwas außerhalb der Stadt. Zu diesem Ort kam niemand mehr. Von daher hatten wir dort endlich mal Zeit für einander ohne drauf achten zu müssen, was wir sagten oder taten. Taze brachte den Wagen zum Stehen und ich kramte die vielen braunen Papiertüten hervor. Wir drehten die Musik auf und schlugen uns die Bäuche voll. Als keiner von uns auch nur noch einen Bissen essen konnte, machte wir das Radio aus und Taze holte Decken aus dem Kofferraum, bevor er das Verdeck öffnete, sodass wir den von den letzten Sonnenstrahlen beleuchteten Himmel aufsehen und die ersten Sterne beobachten konnten.

Für eine kleine Weile sahen wir nur in den sich stätig verdunkelnden Himmel, bevor mir eine Frage in den Sinn kam. ,,Taze? Was meinst du? Sollte ich mit dem Zug nach Dartmouth fahren oder ist Fliegen schneller?", fragte ich ihn stumpf. Er drehte seinen Kopf zu mir. ,,Kommt drauf an.", sagte er. ,,Fliegen is' zweifellos schneller, aber Zugfahren ist vermutlich bequemer. Aber was willst du überhaupt in Dartmouth?" ,,Ich wollte Heiligabend bei den Kingsleys verbringen.", erklärte ich. ,,Aha, na das ist ja klasse! Freut mich, dass du mal wieder was mit Freddie machst. Ist zwischen euch wieder alles klar?", erkundigte mein Bruder sich erfreut. Ich hatte es ihm erzählt, dass ich mich immer weiter von Freddie entfernte und es hatte ihm sehr leid getan. Er mochte Freddie. Ich seufzte. ,,Ich weiß nicht. Irgendwie nicht so richtig. Er ist jetzt mit meiner Zimmergenossin Celeste zusammen und ich weiß nicht wieso, aber es stört mich. Ich hab dir ja schon gesagt, dass es nicht mehr so ist, wie früher, wenn ich mit Freddie allein bin, und die ganze Angelegenheit mit Celeste macht es nicht unbedingt besser. Ich dachte, wenn ich mal wieder was mit ihm und seiner Familie unternehme, würde sich das vielleicht ändern. Nur deswegen hab ich zugestimmt an Weihnachten bei ihnen zu sein. Naja, außerdem hab ich Mr. und Mrs.Kingsley auch schon lang nicht mehr gesehen." Ich schilderte ihm betrübt meine Situation und als ich fertig war, nickte Taze verständnisvoll. ,,Hm ja, das ist ja echt ganz schön problematisch, meine Liebe. Schon mal drüber nachgedacht, ob du, natürlich nur rein hypothetisch, nicht vielleicht ein bisschen eifersüchtig bist? Das klingt für mich nämlich ganz stark danach.", sagte Taze grinsend. Ich verdrehte genervt die Augen. ,,Natürlich hab ich da schon dran gedacht, du Held. Aber das kann nicht sein. Freddie ist mein bester Freund! Das einzige, was mich nervt, ist, dass wir immer weniger Zeit miteinander verbringen, aber ich hab mir für's neue Jahr vorgenommen, das zu ändern.", entgegnete ich und schnipste ihm gegen die Stirn. ,,Aber zurück zu meiner ursprünglichen Frage: Zug oder Flugzeug?" Taze schien nachzudenken. ,,Ich hab eine Idee: Ich begleite dich bis nach Plymouth. Sprich, wir beide fliegen gemeinsam nach Plymouth. Ich wollte nämlich an Weihnachten zu Harvey. Und dann kannst du dir sicherlich ein Auto von ihm leihen und damit nach Dartmouth düsen. So weit is' das ja nicht weg. Dann kommst du am ersten Weihnachtsfeiertag zu dem Haus der Thatchers und dann fliegen du, Harvey und ich wieder nach Cambridge. Was hältst du davon?", schlug er vor. Ich nickte zustimmend. ,,Klingt ein bisschen kompliziert, aber gut. So machen wir's. Und wieso nehmen wir Harvey nochmal mit nach hause?" ,,Weil ich ihn zum Neujahrsempfang eingeladen hab, damit mir nicht so langweilig wird, wie letztes Mal.", sagte Taze. Jedes Jahr veranstaltete der Freundeskreis unserer Eltern an Sylvester eine Riesen-Sause. Dieses Mal würde das Event bei uns stattfinden. ,,Ich bin doch auch noch da.", schmollte ich. ,,Ja schon, aber du wirst dich eh so schnell wie möglich mit Theodore irgendwohin verziehen und dann steh ich ganz allein da.", lachte Taze. Er hatte recht. Theodore war unser Cousin, mein Lieblingscousin und jedes Mal, wenn ich die Möglichkeit hatte, nahm ich ihn komplett für mich in Anspruch. ,,Na gut. Das stimmt wohl. Also dann kommt Harvey auch mit." Wir schwiegen wieder einen Moment, in dem Taze auf seine Armbanduhr sah. ,,Es ist schon ganz schön spät. Wir sollten langsam mal heimfahren.", sagte er bedauernd, während er den Motor startete und dann vom Gelände der alten Fabrik runter auf die Straße rollte.


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