Es war so weit. Der Moment war gekommen. Die ersten Gäste waren da. Ich stand noch immer in meinem begehbaren Kleiderschrank und wusste nichts mit mir anzufangen. Ich hatte schon hunderte von Sachen anprobiert. Alle schön, aber doch nie das Richtige. Meine Mutter hatte mir ein Kleid rausgelegt, aber es gefiel mir nicht und zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich nicht das tragen, was meine Mutter mir vorschrieb. Frustriert ging ich wieder die Kleiderstangen auf und ab. Plötzlich kam mir eine Idee: Warum musste es denn überhaupt ein Kleid sein? In meinem Kopf entstand ein Bild von etwas, das meine Mutter mir zu Beginn des Jahres mal besorgt hatte. Angehabt hatte ich es bis dato noch nie. Aufgeregt wühlte ich durch die Fächer meiner Schränke bis ich es endlich fand. Es war so etwas wie ein Anzug für Frauen nur etwas raffinierter. Der seidige Stoff fühlte sich großartig zwischen meinen Fingern an. Es war so simpel und schlicht, strahlte dennoch so eine Eleganz aus, wie kaum ein anderes Teil aus meinem Kleiderschrank. Für mich gab es keine Zweifel: Es war perfekt für heute Abend. Es würde endlich mal eine andere Seite von mir zeigen, die echte Mia-Seite. Die Seite, die immer zum Vorschein kam, wenn ich mich nicht vor meinen Eltern zu fürchten brauchte. Ich verpasste meinen eh schon mit großen Wellen gesegneten Haaren etwas mehr Volumen als sonst und zog mir dann den Damen-Smoking an. Als Schuhe wählte ich ein paar spitze, schwarze Lack-High Heels. Dazu eine schlichte, schwarze Leder-Clutch und ich fühlte mich gut. Ein letzter Blick in den Spiegel und ich verließ mein Zimmer. Ich hörte schon im Korridor die ganzen Menschen, die mit Sicherheit gerade beim Empfang im Foyer standen und ihren Champagner schlürften. Am Treppenabsatz holte ich einmal tief Luft und ging dann selbstbewusst die Stufen runter. Ich blieb am Fuß der breiten Treppe stehen, um mir einen Überblick zu verschaffen, ehe ich beschloss, mir zuerst etwas zu trinken zu holen. Die große Eingangshalle war gefüllt mit sehr gut gekleideten Leuten, die nach Geld zu riechen schienen. Über ihnen allen schwebte eine Aura aus Überheblichkeit und Lüge. Aus allen Ecken hörte ich gestelltes Lachen und vor überspielter Freundlichkeit triefende Lobeshymnen. Hier und da blitzten in der Masse aus perfekt geschminkten Gesichtern fast schon blendend weiße Zähne auf. Immer wieder wurde ich auf meinem Weg zum Tresen von irgendwelchen Geschäftspartnern meines Vaters oder Freundinnen meiner Mutter aufgehalten, deren Namen ich irgendwann mal hatte auswendig lernen müssen, aufgehalten und vollgelabert. Ich tat so als würde ich mich freuen, sie zu sehen und hörte ihnen solange höflich zu bis ich eine plausible Lüge gefunden hatte, um das Gespräch zu beenden. Als ich die Theke endlich erreicht hatte, nahm ich mir ein Glas Champagner von einem der vielen Tabletts, die dort feinsäuberlich aufgereiht standen, und stürzte es in einem Schluck runter, bevor ich mir gleich noch ein Zweites nahm, denn eins war klar: Diesen Abend würde ich nüchtern nicht überstehen.
Nachdem ich mir schon ein bisschen gute Laune angetrunken hatte, ließ ich mir vom Barkeeper einen Gin Tonic geben und machte mich auf die Suche nach jemandem, mit dem ich mich unterhalten könnte. Nach nicht allzu langer Zeit stieß auch schon auf Taze, der (wie fast immer) von einer Gruppe von Menschen umringt mitten im Raum stand und alle zum Lachen brachte. Er sah mich und rief mich zu sich. Er machte wie immer einen auf heile Familienwelt und stellte mich überschwänglich allen Leuten vor, die in der Nähe waren. Auch ich blieb in meiner Rolle und tat auf glücklich mit der Ausnahme, dass ich heute mal etwas kesser und frecher war als sonst. Ein risikoreiches Unterfangen, aber den Leuten gefiel es. Ein paar Minuten blieb ich noch bei meinem Bruder und seinem Fan-Club ehe ich Harvey in der Menge vorbei gehen sah und mich an seine Versen heftete. Ich holte ihn an einer der Bars ein. Beide bestellten wir noch einen Drink und unterhielten uns ein wenig. Er sagte mir, dass meine Eltern nach mir suchten und dass ich mich vielleicht mal bei ihnen erkundigen sollte, wieso. Ich folgte seinem Rat, doch war es schwerer meine Eltern zu finden, als gedacht. Noch bevor ich sie ausfindig machen konnten, hörte ich das Klingeln von einem Löffel gegen Glas. Alle Gäste wurden still, bis plötzlich nur noch eine Stimme zu hören war, die alle in den Ballsaal bat. Ja, wir hatten einen Ballsaal. Taze und ich hätten vermutlich oft darin fangen gespielt, wenn man uns denn Zutritt zu diesem Saal gewährt hätte. Tatsache war, dass wir den Saal kaum von innen zu sehen bekommen hatten als wir noch jünger waren. Nach und nach verließ die Meute das Foyer und betrat den Ballsaal. Ein paar Nachzügler, inklusive Harvey und mir, warteten noch etwas in der Eingangshalle, um das Gedränge an der Tür zu vermeiden.
Nach ein paar Minuten ging auch ich in den festlich geschmückten Saal. An den Wänden hingen große Lichterketten und bunte Banner und Fahnen in Neonfarben. Über der riesigen Tanzfläche schwebte eine noch riesigere Disko-Kugel, die fröhlich ein glitzerndes Muster an die Wände und über die Gesichter der Gäste warf. Ich sah mich im Raum nach einem befreundeten Gesicht um. Ich suchte nach jemand bestimmten, den ich bis jetzt noch nicht hatte finden können. Als mir schmerzlich bewusst wurde, dass ich mein Glas irgendwo hatte stehen lassen, machte ich mich (mal wieder) auf den Weg zur Bar. Auf halben Wege kam mir leider etwas bzw jemand dazwischen. ,,Mia!! Hi! Wie geht's dir denn? Mensch, schick siehst du aus. So ungewohnt lässig. Komm Komm! Wir haben uns ja so viel zu erzählen!", kreischte meine Cousine Camilla affektiert, während sie mich unangenehm und unehrlich in den Arm nahm. Sie legte ihre dünnen Solarium-gebräunten Ärmchen um mich und der Geruch ihres viel zu stark aufgetragenem Parfum ätzte mir die Schleimhäute weg. ,,Hi, Camilla....", antwortete ich mit einem leidenden Lächeln in der Stimme. Ihre amerikanische Surfer-Girl-Bratzigkeit raubte mir jetzt schon jeden Nerv. Als sie mich an der Hand packte, um mich zu ihrem Bruder zu zerren, hatte ich Gelegenheit, sie mir einmal genauer anzusehen. Sie hatte etwas abgenommen seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte und scheinbar hatte sie endlich gelernt, dass man mit einem so runden Gesicht wie ihrem keine strengen Pferdeschwänze tragen sollte, denn sie ließ ihre gefärbten blonden Haare offen über ihre Schultern fallen. Trotzdem war ihr schwarzes Kleid mindestens eine Nummer zu klein und stellte zu viel ihrer unechten Bräune zur Schau. Einen Augenblick und ein paar äußerst unangenehmer Umarmungen mit meinen amerikanischen Verwandten später stand ich mit meiner Tante Arabella, ihrem Mann Ian und ihren beiden Kindern, meinem verhassten Cousin Arvid und seiner Schwester, an einem der vielen Stehtische und hörte mir die abgehoben und unbeschwert erzählte Geschichte ihrer Anreise an. Es gab wirklich nichts, dass ich weniger gern getan hätte. Als Tante Arabella davon anfing, dass man ihr im Flieger nicht mal Kaviar serviert hatte, griff ich einen vorbeilaufenden Kellner namens Leo am Arm und zog ihn zu mir, sodass ich ihm etwas ins Ohr zischen konnte: ,,Leo, mein Freund, dir übertrage ich jetzt die Verantwortung, heute Abend zu keinem Zeitpunkt zu zulassen, dass ich ein leeres Glas in der Hand halte. Wann immer du mich also ohne einen Drink siehst, bringst du mir einen, verstanden?" Als der arme Kerl eingeschüchtert nickte, ließ ich ihn los und hielt demonstrativ meine leere Hand hoch. Sofort hetzte er davon, um mir etwas zu holen. Keine 5 Minuten später war der junge Kellner, der sich vermutlich etwas Geld für's Studium dazu verdiente, wieder da und drückte mir einen Martini in die Hand. ,,Danke, Leo.", sagte ich freundlich und ließ ihn gehen. Meine pausbackige Cousine hatte die letzten paar Minuten von ihrer angehenden Karriere als Sängerin geschwafelt. Ich hatte nach ihrer Aussage 'Oh mein Gott! Ich werde die größte Sängerin aller Zeiten werden!' aufgehört, ihr zu zuhören und stattdessen weiter den Saal abgesucht. Als ich glaubte, die gesuchte Person in der Masse ausfindig gemacht zu haben, sah ich mich gezwungen, Camilla's Lobes-Monolog au sich selbst zu unterbrechen. ,,Jaja, klingt echt vielversprechend, Camilla. Wird bestimmt was...", fiel ich ihr hastig ins Wort, ehe ich mich mehr oder weniger schon zum Gehen wandte. ,,Entschuldigt mich, ihr Vier, aber ich muss mich auch noch um die anderen Gäste kümmern. Viel Spaß euch noch.", sagte ich und verschwand schnell in der Menge, damit sie mich nicht aufhalten konnten.
Ich drängelte mich durch die Leute, bis ich der Stelle wieder frei atmen konnte, an der ich ihn erspäht hatte. Dummerweise war er nicht mehr da. Frustriert sah ich mich um. ,,Mia?", hörte ich eine bekannte Stimme hinter mir überrascht fragen. Ich kannte diese Stimme, weshalb ich mich erwartungsfroh umdrehte. Endlich hatte ich ihn gefunden. Wie ich ihn vermisst hatte....,,Theo!!", rief ich fröhlich, ehe ich ihn überglücklich in den Arm nahm.
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Love's a desperate thing
Teen Fiction,,Wenn ich Lust auf etwas Versautes hätte, könnte ich mir das fast überall holen. Dafür brauche ich dich nicht.", stellte er kühl fest. Dieses arrogante, schmierige Gehabe bereitete mir Übelkeit. Das war mir dann doch zu viel und ich entschied, dass...