Chapter 21

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Für eine Weile war es totenstill. Niemand wagte es zu sprechen. Der Inspektor sah unbehaglich auf den Boden und mein Bruder schien einfach nur fassungslos zu sein. Ich dachte nichts. Mein Kopf war absolut leer gefegt. Ich spürte, wie meine Augen trüb wurden. Ohne großartig etwas dagegen zu unternehmen, ließ ich die salzigen Tränen über meine Wangen laufen. Taze fasste sich als erster wieder und stürzte auf mich zu, als er mich weinen sah. Er nahm mich in den Arm und sprach beruhigend auf mich ein, als die erste Welle der Angst meinen auf einmal jämmerlich schwachen Körper schüttelte. Ich hatte Panik. Jetzt, da ich wusste, dass der Dicke immer noch auf freiem Fuß war, fürchtete ich mich. Die ganze Angst, die ich mir bisher immer verkniffen hatte, brach jetzt über mich herein, wie eine Sintflut. Ich schluchzte, jammerte, schrie und heulte bitterlich. Taze wusste nicht, was er tun sollte. So sehr hatte er mich noch nie im Leben weinen sehen und war von daher mit dieser Situation vollkommen überfordert. Die Beamten vom Scotland Yard sahen mitleidig, aber auch peinlich berührt dabei zu, wie Taze bettelte und mich anflehte mich zu beruhigen. Aber ich konnte nicht aufhören. Erst als ich nach ein paar Minuten keine Tränen mehr zum Vergießen hatte, hörte ich auf zu heulen und wimmerte stattdessen nur noch. Während Taze mich liebevoll im Arm hin und her wog, musste ich unwillkürlich an Davies denken und wie er mich beim Weihnachtsball getröstet hatte. Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen, als ich mich erinnerte, wie er mich heute morgen angesehen hatte. So freundlich, lieb, charmant.... Wenn ich die Kraft dazu hätte aufbringen können, mich zu ohrfeigen, hätte ich es sofort getan. So dachte ich nicht über Davies. Ganz egal, wie unglaublich nett er zu mir gewesen war, er war nicht so. Das war einmalig. Er war ein Riesen-Arsch. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich verwarf alle Gedanken, die im Moment in irgendeiner Verbindung mit Jasper Davies standen und beschloss, mich nur auf den regelmäßigen Herzschlag meines großen Bruders zu konzentrieren. Der Inspektor begann erneut zu sprechen, als er bemerkte, dass ich mich scheinbar wieder eingependelt hatte. ,,Miss Morrin, bitte sorgen Sie sich nicht. Wir werden den Mann schon finden, der Ihnen so ein Leid zugefügt hat. Wir werden alle Kräfte mobilisieren, um diesen Kriminellen ausfindig zu machen. Seien Sie unbesorgt! Aber Sie möchten jetzt bestimmt erst einmal nach hause, nicht wahr? Wir werden uns sofort bei Ihnen melden, wenn wir Neuigkeiten haben.", sagte er fachmännisch. Er wollte näher kommen und mich höchstwahrscheinlich noch persönlich trösten, aber Taze reagierte schnell. ,,Ja. Vielen Dank, Inspektor. Ich denke, meine Schwester brauch noch einen Moment, um sich zu beruhigen. Wären Sie so gut, uns kurz allein zu lassen?", fragte er den Inspektor freundlich, jedoch war es klar, dass er ihn gerade wirklich nicht da haben wollte. Der dickliche Mann nickte kurz. ,,Natürlich. Ich muss jetzt leider schon wieder gehen. Es gibt viel zu tun, viel anzukurbeln, wenn wir diesen Drecksack finden wollen. Entschuldigen Sie mich.", sagte er beklommen und verließ dann eilig den Raum. Erst nach ein paar Augenblicken sprach Taze mich an. ,,Keine Angst, Mia. Die finden den. Mach dir keine Sorgen. Ich werde auf dich aufpassen. Egal wo du bist. Immer. Ich bin dein Bruder. Ich werde nicht zu lassen, dass dir wieder was zustößt. Ich könnte es mir niemals verzeihen, sollte ich schon wieder versagen." Er sah mir tief in die Augen und ich konnte Trauer, Zweifel, Angst und Schmerz in seinem Gesicht sehen. Er war zum Ende hin immer leise geworden. Es war kaum mehr ein Wispern gewesen. Ich nahm ihn in den Arm. Lange saßen wir so in dem kleinen, dunklen Zimmer, in dem ich vor wenigen Minuten noch einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. ,,Ich weiß.", murmelte ich in Taze warme Schulter. ,,Ich liebe dich, Mia. Du bist meine kleine Schwester. Ich fühle mich verantwortlich für dich.", sprach er gedämpft. Ich lächelte. Taze war der allerbeste Bruder, den sich ein Mädchen jemals wünschen könnte. ,,Ich liebe dich auch, Taze." Dann lachte er und wir lösten uns aus der Umarmung. Langsam standen wir auf. Taze sah mich an. ,,Ich hoffe, du hast Hunger. Ich hab' vorhin noch Bargeld geholt, weil ich glaube, dass es mal wieder Zeit wird, für ein ungesundes McDonald's-Fressgelage wird.", sagte er schmunzelnd. Ich lachte. Darauf hatte ich Monate lang gewartet. Ich nickte vergnügt. Taze und ich verließen das Untergeschoss der Hauptzentrale des Scotland Yards und ich war heilfroh, als ich das leise 'Pling' der Aufzugstüren hörte und in die Eingangshalle des Hochhauses ging. Taze trug meinen Koffer und holte schnell zu mir auf. Seite an Seite durchquerten wir das moderne Foyer. Meine Stimmung war auf einem Höhenflug. Zumindest für einen Moment. Denn als ich zwei Empfangsdamen darüber reden hörte, dass angeblich heute ein unter Arrest gesetzter Verdächtiger ausgebrochen war, rutschte mir mein Herz gehörig in die Hose.

Love's a desperate thingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt