12 - Trauerflammen

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„Aufs Vergessen", hob er also seine Bierflasche und stieß mit den anderen an.

Schneller als erwartet kam jedoch noch eine größere Ablenkung. Definitiv nicht die Art von Ablenkung, nach der Eliott gesucht hatte. Sondern die Art Ablenkung, die seine Stimmung noch schlechter machte, als sie sowieso schon war.

Er war gerade, ein Wochenende später, dabei, eine Bierbank aufzubauen. Julian, einem Schulfreund, der ein paar Straßen entfernt wohnte, hatte er versprochen bei den Vorbereitungen für den Abend zu helfen. Als er es dann endlich geschafft hatte, das klemmende Scharnier zu öffnen, klingelte sein Handy; Seine Mutter, die wollte, dass er sofort nach Hause kam. Er ging die letzten Tage im Kopf durch, um darauf zu kommen, was er angestellt haben konnte, aber weder kam er zu einem Ergebnis noch klang seine Mutter wütend. War irgendetwas passiert? Er war gerade erst von zu Hause losgegangen. Katharina, seine zwei Jahre ältere Schwester war in ihrem Zimmer, als er losgegangen war, es sollte ihr also nichts zugestoßen sein. Sein Vater war noch in der Werkstatt, samstags verbrachte dieser dort oft den Abend. Hatte er sich verletzt? So schlimm, dass Eliott direkt nach Hause kommen musste? Es schien unwahrscheinlich. Aber auch nach weiterem Überlegen, kam er zu keiner Antwort. „Mama, ich kann hier jetzt nicht weg, ich bin noch mit Julian am Aufbauen. Ich dachte es war okay, dass ich hier dem Abend verbringe". Stille. Was war passiert? Auch Julian stoppte mittlerweile was er tat und sah Eliott fragend an.

Schließlich begann seine Mutter wieder zu sprechen „Ich wollte es dir persönlich sagen. Großvater John ist gestorben. Gestern Nacht". Sie sprach nicht drum herum, schmückte die Erzählung nicht aus, benutzte keine Beschreibung wie „er ist von uns gegangen". Vielleicht lag es in der Familie, aber es war nun mal die kalte Wahrheit, daran würden andere Worte nichts ändern.

Großvater John war schon länger krank in einem Altersheim untergebracht, da er professionelle Hilfe benötigte, die seine Frau, die ihn trotzdem täglich besuchte, schon länger nicht mehr bieten konnte. Außerdem wohnten sie ein paar Hundert Kilometer entfernt, weswegen Eliott die beiden selten zu sehen bekam.

Die nächsten Tage gingen einfach weiter, ohne auf Eliott Rücksicht zu nehmen. Die Arbeit musste weiter getan werden, die Server weiter am laufenden gehalten werden. Er sprach mit Kollegen, traf sich mit Freunden, doch auf einmal fühlte sich alles falsch an. Er hatte Großvater John für selbstverständlich genommen. Auch wenn es diesem schon lange schlecht ging. Aber dass er so schlagartig von hier verschwunden sein könnte, hatte Eliott nicht bedacht, nicht wahrhaben wollen. Und doch war es so gekommen und der Tag kam, an dem er ein letztes Mal Abschied nehmen würde.

Die Beerdigung war emotionaler als erwartet. Auch wenn die Nachricht ein schlimmerer Schock hätte sein müssen, hatte er kein einziges Mal geweint. Seine Gefühle waren taub und vielleicht hatte er bis jetzt immer noch nicht richtig realisiert, was eigentlich passiert war.

Anfangs saß er einfach nur da. Vorne in der ersten Reihe. Er konnte die Urne anstarren, als ob das noch irgendetwas ändern würde. Eine halbe Stunde saßen er, seine Eltern, Katharina und seine Großmutter einfach nur da. Auf dir Urne starrend, auf die Blumen, auf die dämlichen Fake Kerzen, dessen Flammen immer hin und her wippten und natürlich auf das Bild. Das Bild von Großvater John. Auf dem er zufrieden und gesund aussah. Es war ein altes Bild. Ein Bild aus Zeiten, die nicht mehr wiederkommen würden.

Die halbe Stunde zog sich lang. Weil sie die engen Angehörigen waren, mussten sie früher als der Rest in der Kirche sein. Also hatte Eliott keine Wahl, als dort zu sitzen, ohne etwas zu tun. Alleingelassen mit seinen Gedanken. Von sich selbst gezwungen, seine Tränen zurückzuhalten. Und noch funktionierte es.

Seine Gedanken schweiften zu Clara ab. Gerade jetzt, in dem Moment, den er eigentlich Großvater John schenken wollte. Aber je mehr er andere Gedanken zu verdrängen versuchte, desto mehr drängten sie sich in den Vordergrund. Hätte er den Kontakt zu Clara aufrecht gehalten, wäre sie für ihn da gewesen. Sie war immer für ihn da gewesen. Sie hatte allen seinen Geschichten und Problemen zugehört. Er dachte an ihr letztes Telefonat zurück. Das letzte Telefonat bevor das Praktikum begann und er sie langsam aus seinem Leben verdrängt hatte, ohne dass sie wusste, was eigentlich passierte. Sie wirkte so zufrieden damals. Wie sie ihn versuchte davon zu überzeugen, dass ein Streit mit seinen Eltern, den er damals hatte, nicht die Welt war und es sich schon alles legen würde. Sie hatte Recht gehabt. Für einen kurzen, ganz kurzen Moment zauberte der Gedanke an sie ein, wenn auch schwaches, Lächeln ins Gesicht.

Rosa Ombré | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt