15 - Vanilleduft (2)

35 10 18
                                    

Angetrunken Nachrichten zu verschicken, war nie eine gute Idee. Trotzdem schien es in dem Moment das richtige. Er tippte die ersten Buchstaben, doch bevor er die Nachricht zu Ende schreiben konnte, kam ihm Jessica dazwischen.

„Hey, da bist du ja, immer nur am Handy, komm mit zu den anderen", sagte sie und zog in an der Hand von dem Blumentopf-Freundeskreis, den er gefunden hatte weg und hin zur der Gruppe Personen, die anfangs schon da waren; Oliver, Mira und ein paar weitere. Waren das wirklich ihre engsten Freunde?

„Also, was bringt dich wieder in die Stadt?", fragte ihn Oliver, immer noch mit herausforderndem Unterton.

„Praktikum in meiner Behörde".

„Praktikum? Ich dachte du studierst nur".

Die meisten Personen blendeten einfach aus, dass sein duales Studium auch Praxisphasen hat. Vielleicht gab sich auch keiner die Mühe es zu verstehen. Aber Oliver schien es nicht darum zu gehen: „Ich habe nicht erwartet, dass du wiederkommst". Eliott war nicht auf einen Streit aus, trotzdem wurde er langsam echt gereizt. Sein Ziel war auch nicht hier irgendwann zu wohnen. Aber eigentlich hatte er sich gefreut ein paar Freunde wieder sehen zu können.

Auch Jessica spürte die Anspannung zwischen der Gruppe und nutze ihren leeren Drink als Möglichkeit, das wieder aufzulösen. „Ich hol mir noch einen Drink, kommst du mit?", fragte sie Eliott und zog ihn schon wieder mit sich, ohne auf irgendeine Reaktion zu warten.

„Sorry, ich wusste nicht, dass ihr euch nicht versteht. Deswegen warst du bei den anderen?", fragte sie verständnisvoll. Auch wenn sie die gewesen war, die ihn ja erst in die Runde gebracht hatte, konnte Eliott ihr nicht böse sein. Sie hatte es nicht gewusst, es war nur nett gemeint.

Sie öffnete eine neue Vodkaflasche, gab etwas davon in ihren Becher und füllte ihn anschließend mit einer Zitronenlimonade auf.

Danach gingen sie nicht wieder zu der Gruppe mit Oliver zurück und suchten sich stattdessen eine ruhigere Stelle an der Hauswand, gegen die Eliott sich leicht lehnte. Mittlerweile war es schon nach Mitternacht und die einzigen Lichter brachten eine kleine Laterne im Garten und der Mond, der fast voll am Himmel stand.

Man konnte deutlich merken, dass Jessica mittlerweile ordentlich angetrunken war. Trotzdem redete sie zufrieden weiter auf ihn ein. Er folgte ihren Erzählungen, die mittlerweile auch nicht mehr so viel Sinn ergaben, nicht vollkommen aufmerksam. Außerdem fragte er sich, warum sie damals in der Schulzeit nie viel miteinander zu tun hatten. Aber die Antwort war eigentlich naheliegend; Sie war die Freundesgruppe mit Oliver, die er generell verabscheut hatte. Und auch wenn er sie früher nicht so gut kannte, war er immer noch der Meinung, sie hatte sich verändert. Oder war die einzige Änderung, dass sie ihn nun beachtete und mochte. Wäre sie sonst noch wie früher? Das Mädchen, das sich schon immer über das Drama anderer freute?

Oder hatte Eliott sie einfach immer falsch eingeschätzt? Vielleicht war er einfach nicht offen gegenüber anderen Freundesgruppen in der Schulzeit. Es machte jetzt auch keinen Sinn, weiter darüber nachzudenken. Jetzt war sie hier und mittlerweile echt sympathisch. Sie war selbstsicher, aber nicht arrogant. Sie war lebensfroh. Irgendetwas hatte sie einfach, das ihn faszinierte.

Als würde sie gerade über das gleiche Nachdenken, fragte sie: „Warum hatten wir eigentlich früher nie miteinander zu tun gehabt?".

Eliott wusste nicht, was er antworten sollte, wusste nicht, welche Antwort sie erwartete. Doch als sie ihm langsam immer näherkam, war klar, auf was sie hinauswollte. Und auch wenn dieser Moment im Nachhinein sicherlich nicht lange war, gingen Eliott tausend Gedanken durch den Kopf. Wie sollte er reagieren? Sollte er einfach den Moment leben? Er war nicht abgeneigt, das definitiv nicht. Aber was war, wenn sie mehr erwartete? War sie die, für die er sie früher immer nur gehalten hatte und war einfach nur auf einen One-Night-Stand oder ähnliches hinaus? Eine Sommeraffäre? Er war ja schließlich nicht einmal mehr ewig in der Gegend. Oder machte sie sich wirklich Hoffnungen? Schließlich änderte sich seine Meinung nicht einfach, dass er noch nicht für etwas festes bereit war, nur wenn ein anderes Mädchen kam, oder?

Trotzdem war auch er durch den Alkohol lockerer geworden und konnte nicht mehr klar über Konsequenzen nachdenken. Somit verhinderte er nicht, dass Jessica ihm langsam weiter näherkam. Er verhinderte nicht, dass sein Kopf sich langsam in ihre Richtung neigte und ihre Lippen sich somit annäherten.

Doch durch die leichte Kopfdrehung änderte sich sein Sichtfeld. Und in der Bewegung, die sich für ihn in Zeitlupe abspielte, richteten sich seine Augen kurz auf den Nachthimmel. Der Mond schien, immer noch, die Szene romantisch unterstreichend, auf die beiden. Doch wie durch eine Intention, denn es konnte kaum Zufall gewesen sein, blieben seine Augen noch kurz im Sternenhimmel hängen. Und sofort fielen ihm drei nah aneinander liegende Sterne auf, die eine kurze Linie darstellten. Dazu Sanduhrförmig ein paar Sterne herum; Orion.

Und ohne, dass er es wollte, förderten seine Gedanken ihn zurück zu vor einem halben Jahr am Kölner See. Wie fasziniert Clara in die Sterne gestarrt hatte, als sie ihm genau das Bild beigebracht hatte. Der Moment, an dem er wirklich festgestellt hatte, dass er Gefühle für sie hatte. Das Sternenbild war ihm danach nie wieder aufgefallen, warum also jetzt?

Seitdem er hier mit Jessica stand, waren seine Gedanken das erste Mal auf Clara übergegangen. Er konnte das hier nicht, es fühlte sich falsch an. Auch wenn er langsam wirklich über Clara hinweggekommen sein wollte. Das zeigte, er war es nicht. Also konnte er das hier nicht. Was war, wenn Jessica doch Hoffnungen hatte?

Doch so lange sich der Moment, in dem Jessica ihm näherkam, auch angefühlt hatte, er war nicht lang genug, um noch zu reagieren. Es war zu spät einen Schritt nach hinten zu gehen, zu spät seinen Kopf zu drehen. Denn ihre Lippen landeten auf seinen. Und er wollte nicht reagieren, wollte stoppen, bevor er irgendetwas anstellt, das Folgen mit sich brachte. Aber er hatte keine Kontrolle mehr. Sein Körper übernahm für ihn. Seine Augen schlossen sich, um die Sterne nicht mehr sehen zu müssen. Seine Lippen erwiderten den Kuss.

----

Wer hat noch erwartet, dass ihm bald mal wieder das Sternenbild auffallen muss. Erinnert ihr euch noch an das Clara-Kapitel?

Wie dem auch sei, Samstag geht es wieder weiter! <3

Rosa Ombré | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt