37 - Idiotenpodest

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Nachdem Eliott vom Bäcker zurückkam und dabei den ganzen Weg abwesend auf einem belegten, ziemlich trockenen Brötchen herumgekaut hatte, war er noch immer nicht zu einem Schluss gekommen. Er hatte von vornerein keinen Appetit gehabt, aber er brauchte einfach irgendein Ziel, zu dem er hinlaufen und in Ruhe nachdenken konnte. Auch wenn das eigentlich ein klarer Schlussstrich hätte sein sollen. Aber er war sich auf einmal nicht mehr ganz sicher mit dem, was er die ganze Zeit versucht hatte.

Erst hatte er nur seine Gefühle für sie loswerden wollen, weil sie an anderen interessiert war. Dann war er der Meinung sie wäre nicht die Richtige für ihn und vor allem er wäre gerade gar nicht bereit für eine Beziehung. Und so sehr es auch weh tat, sie mit anderen zu sehen, solange er keine Beziehung wollte, würde es ihr so am besten gehen. Und dann, besonders nach dem Wochenende bei ihm, hatte er gemerkt, wie wichtig er ihr immer noch war. Und das obwohl er sie so oft von sich gestoßen hatte und auch wenn er sie immer und immer wieder verletzt hatte. Und auch in dem Gespräch jetzt, war er echt unfreundlich gewesen und trotzdem war er es, der gegangen war, nicht sie.

Was ist, wenn das alles falsche Entscheidungen waren? Wenn er ihr so vielleicht noch viel mehr weh tat, als wenn sie es zusammen versucht hätten? Er wollte ihr nie das Herz brechen, deswegen tat er das doch alles. Trotzdem war er echt gemein in dem letzten Gespräch gewesen. Auch wenn er eigentlich nur sich selbst davon abhalten wollte, sie einfach an die Hand zu nehmen und nie wieder los zu lassen. Denn tief in ihm, war es das, was sich sein Herz wünschte, auch wenn er es nicht wirklich zugab. Oder aber wäre das sogar die richtige Entscheidung gewesen? Sollte er zu ihr gehen, sich entschuldigen und alles zurücknehmen? Sollte er ihr sagen, was er wirklich dachte? Würde sie ihm überhaupt noch trauen? Oder würde sie nach einer kurzen glücklichen Phase zu Sinnen kommen und erkennen, wie viel Schmerz er in ihr Leben gebracht hatte und vermutlich noch bringen würde?

Eigentlich dachte er, er würde zu einer Antwort gekommen sein, wenn er wiederkam. So war eigentlich sein Plan. Er wollte entschieden haben, ob er einfach nie wieder mit ihr reden würde oder ob er alles zurücknehmen und ihr eine Chance geben sollte. Aber er wusste es einfach nicht. Zum vermutlich ersten Mal in seinem Leben konnte er keine rational richtige Entscheidung treffen. Gab es denn überhaupt eine richtige Entscheidung?

Und gerade als er wieder Richtung Haupteingang zu seinem Zimmer lief, war da schon wieder Clara auf der Mauer. Sie saß dort mit einem ihrer Freunde, mit denen sie immer am Feiern war. Gerade sie wollte er nun wirklich nicht sehen. Nicht bevor er irgendeine Entscheidung getroffen hatte.

Eigentlich hatte er vor, einfach an Clara und dem anderen vorbei zu gehen und das Gebäude zu betreten, doch dann hörte er plötzlich seinen Namen. Niemand hatte ihn gerufen, die beiden unterhielten sich über ihn. Also blieb er stehen und ging einen Schritt zurück, sodass er aus deren Blickfeld war. Noch hatte keiner der beiden ihn gesehen. Er redete sich ein, dass es unangenehm wäre, dazwischen zu platzen, doch vermutlich war er einfach neugieriger, als ihm lieb war. So oft hatte er sich gefragt, was sie dachte und so falsch es sich anfühlte sie zu belauschen, er stand wie versteinert hinter der Ecke, wo ihn niemand sehen konnte und wartete darauf was jetzt kam.

„Er hat dich schon mehrmals aus seinem Leben gestrichen. Du musst dich nicht wundern, dass er es wiederholt. So sind Menschen halt manchmal, das hatten wir doch schon längst festgestellt", sagte eine Stimme, die er nicht kannte, aber zu dem Jungen neben ihr gehören musste.

„Ja aber ich habe immer noch nicht mein klares nein. Das stört mich. Er redet immer nur über sich, dass er gerade nicht bereit ist. Egal wie oft ich nachfrage es kommt nie ein nein, das klar auf mich bezogen ist."

„Ich sag das ja ungern. Und ich würde mir wahrscheinlich auch noch Hoffnungen machen, aber es ist nun mal ein nein. Er wird die nie klar ins Gesicht sagen, dass er dich nicht mag. Aber du bist scheinbar einfach kein Teil seines Lebens mehr."

„Ich glaube er hat mich einfach über sich selbst gestellt. Er denkt er würde mich nur verletzen. Das passt zu ihm. Ich glaube ich würde sowas nicht können, wäre ich an seiner Stelle", noch immer redete Clara gut von ihm, wenigstens verstand sie wirklich, warum er die Entscheidung getroffen hatte. Und noch immer war sie nicht sauer. Würde sie vielleicht doch mit ihm klarkommen, auch wenn er selbst mit seiner mentalen Stabilität noch nicht klarkam?

Aber der Junge neben Clara versuchte ihr die Hoffnungen zu nehmen, was in ihrer Situation vermutlich auch das Beste war: „Clara, wach auf. Ich weiß wir sind ja beide genauso. Und ich stecke nicht in deiner Situation, aber hörst du dir überhaupt zu? Du denkst doch nicht wirklich, er tut das in erster Linie für dich. Wir verlieben uns immer in diese Arschlöcher und stellen die auf ein Podest. Aber es ist einfach nur ein weiteres Arschloch."

Es tat weh, dass Claras beste Freunde so über ihn dachten. Aber warum sollten sie das auch nicht? Alles was er mit sich gebracht hatte, war Drama und Schmerz. Er hatte ihr Leben wirklich nicht positiv beeinflusst.

Zwischen den beiden war kurze Stille. Clara schien nachzudenken, doch dann ergriff sie wieder das Wort. Sie wirkte schon fast verzweifelt, aber entschlossen:

„Er kann mich nicht weiter einfach immer wieder wegwerfen und danach wieder so tun als wäre ich ihm wichtig. Ich geh jetzt direkt zu ihm und klär das ein letztes Mal. Entweder er will mich jetzt in seinem Leben haben oder nicht und dann gebe ich auf und komm schon drüber hinweg", ihre Stimme zitterte vor Gefühlen und Verzweiflung. Der Junge rief ihr noch: „Bist du sicher, dass du das willst? Er hat doch seine Entscheidung schon getroffen. Vielleicht lässt du es einfach ruhen" hinterher. Aber scheinbar war sie schon aufgestanden ohne weiter darüber nachzudenken und Richtung sein Zimmer gegangen, denn als Eliott eine Minute wartete, um es aussehen zu lassen, als wäre er gerade zufällig zurückgekommen und dann am Eingang vorbei ging, saß dort nur noch der Freund, mit dem sie geredet hatte. Dieser schien ihn aber nicht wirklich zu erkennen. Wie auch? Eliott erkannte ihn ja schließlich auch nicht.

Clara würde ihm sicherlich gleich entgegenkommen, wenn sie gemerkt hatte, dass er nicht da war. Würde sie ihn dann ansprechen? Wie sollte er reagieren? Er brauchte noch mehr Zeit für diese Entscheidung. Er konnte diese jetzt unter einfach Druck treffen, wenn er sie schon in der Stunde, die er eben unterwegs war, nicht treffen konnte. Trotzdem ging er los und beschloss einfach ohne weiteres Denken eine Entscheidung zu treffen, wenn er mit ihr redete. Spontan. Auch wenn er sowas nie tat.

Als er an seinem Zimmer ankam, sah er gerade, dass sie dabei war den anderen Ausgang zu nehmen. Das hatte er nicht bedacht. Er dachte sie würde direkt wieder zurück nach draußen gehen, nicht Richtung ihr Zimmer. Er könnte noch ihren Namen rufen, aber was dann? Was sollte er dann sagen? Also stand er, ohne sich zu regen, weiter vor seinem Zimmer, bis sie verschwunden war und nichts mehr darauf hinwies, dass sie eben gerade noch an seiner Tür geklopft hatte.

Was hätte er gesagt, wenn er da gewesen wäre? Er wolle behaupten, er hätte weiter selbstlos gehandelt und die Tatsache, dass er einfach noch nicht der Richtige für eine Beziehung war, über seine Gefühle gestellt. Aber er wusste, er hätte es nicht getan. Er hätte eine weitere Konfrontation nicht ausgehalten. Sie war alles, was er seit fast zwei Jahren wollte. Und auch wenn es nicht dazu kam, dass er diese spontane Entscheidung treffen musste, trotzdem hatte sein Inneres sie getroffen. Ohne pro und contra abzuwiegen. Ohne objektiv richtig zu handeln. Er hatte das Handeln seinem Gefühl überlassen und auch wenn es nicht dazu gekommen war, er wusste wie er gehandelt hätte. Sein Inneres wollte sie in seinem Leben. Und vielleicht war es das richtige?

Sicherlich würde sie später noch einmal vorbeikommen, wenn sie vermutete, dass er wieder da war. Würde er ihr es dann so sagen? Würde er sie endgültig in sein Leben lassen und nie wieder rauswerfen? Er hatte sich die Entscheidung in den Kopf gesetzt. Und sie breitete sich aus, wie immer, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er wusste nicht, ob es eine gute Entscheidung war, oder ob er im Nachhinein beide nur noch mehr verletzen würde, aber in seinem Kopf gab es kein Zurück mehr und er würde ihr das vermutlich sagen, wenn sie später wieder vorbeikam.

Was war aber, wenn sie ihre Entscheidung, ihm eine letzte Chance zu geben, nur in Rage getroffen hatte und ohne Nachzudenken gehandelt hatte? Und jetzt, als er nicht da war, hatte sie nochmal Zeit zum Überdenken. Was war also, wenn sie sich dann doch dafür entschieden hatte, ihn auch endgültig aus seinem Leben zu streichen, so wie er es damals mit ihr getan hatte?

Denn sie kam später nicht noch einmal vorbei. Und auch nicht am nächsten Tag. Nicht an dem Tag danach. Und auch nicht nächste Woche.

Rosa Ombré | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt