Also öffnete Eliott Jessicas Nachricht, die er bis jetzt nur kurz angesehen hatte und schrieb zurück. Alles, was ihm half Clara von dem Podest in seinen Gedanken zu holen, war ein Schritt in die richtige Richtung.
Aus der Ferne sah Eliott Jessica schon fröhlich winken, als das große McDonalds-„M" auftauchte. Sie trug ein schwarz-weiß kariertes Kleid, um das sie einen dünnen Gürtel gebunden hatte. Ihre Lippen glänzten rot und ihre perfekt blonden Haare rundeten das Outfit wunderschön ab. Sie zog ihn sofort in eine Umarmung, als er sie erreichte.
Er hatte zu dem Treffen zwar mit Überzeugung zugesagt, trotz allem konnte er sich nicht davon abhalten, sie mit Clara zu vergleichen. Und Clara hätte in allen Punkten gewonnen, einfach weil sie sein Herz hatte. Aber genau daran versuchte er nicht mehr zu denken. Es ging hier schließlich nicht um Clara oder irgendeine Beziehung, sondern um Ablenkung. Und vermutlich sah Jessica das Ganze auch so. Sie lebte Kilometer entfernt in Berlin. Sie war einige der wenigen seines Freundeskreises, die es geschafft hatten, nach der Schule direkt abzuhauen und ein neues Leben anzufangen, während Eliott nur ab und zu mal zum Studieren weg war und dann wieder in der Behörde hier im Ort arbeitete. Aber vermutlich sah es mit dem Studium sowieso nicht so gut aus. In wenigen Wochen begann die nächste Theoriephase und gleich in der ersten Woche würde er noch die eine Prüfung nachholen müssen.
Jessica lief vor und öffnete die Tür zum Laden. Anders als man vielleicht vermuten würde, war es eher weniger ein ranziger Ort und sogar ziemlich modern eingerichtet. Zudem war es ein beliebter Treffpunkt der Jugendlichen in der Stadt.
Der Laden aber war gerade ziemlich leer, sodass sie nicht lange anstehen mussten. Die Schulsommerferien waren seit letzter Woche zu Ende, also gingen wenige Einwohner vormittags hier hin. Da aber Eliott und auch Jessica gerade Urlaub genommen hatten, hatten sie die Chance auf Ruhe ergriffen.
„Den veganen Burger, eine kleine Cola Zero und einmal Pommes bitte", bestellte Jessica, als sie an der Reihe waren. Nach der Frage, welche Größe die Pommes haben sollen, drehte sie sich zu Eliott um und fragte, ob sie sich diese teilen wollten. Er nickte zustimmend und Jessica bestellte eine große Portion. Die Bedienung tippte auf der Kasse herum und fragte dann ziemlich monoton: „Kommt da noch was zu?". Jessica war gerade dabei, ihren Mund zu öffnen und zu sagen, dass es alles war, da fiel ihr Eliott schon ins Wort: „Ja, einen BigMac ohne Gurke und ein kleines Wasser bitte". Er fand es nicht richtig, Jessica zahlen lassen zu müssen. Es war offensichtlich, dass das hier ein Date war. Und außerdem zahlte er generell immer, wenn er sich mit einem Mädchen traf, so wie sein Vater es ihm immer beigebracht hatte; Frauen sollten für sich selbst zahlen können, aber es nicht müssen.
Sie bekamen ein Schild mit einer Nummer darauf und setzen sich nach draußen an einen der Steintische, mit den Sonnenschirmen nebendran. Noch war es Ende August und nochmal ziemlich warm geworden.
„Und, wie lange bist du noch hier?", fragte Jessica, um sofort ein Gespräch anzufangen.
„Gerade habe ich eine Woche frei", begann Eliott zu erklären, „dann habe ich noch drei Wochen Praktikum hier und danach fahr ich wieder zum Studieren. Aber die Wochenenden bin ich eh meistens hier, ist ja nicht weit entfernt".
Sie erklärte, sie müsse schon übernächste Woche wieder zurück nach Berlin. Und dass sie sich echt darauf freute, aber das Leben hier vermisste. Sie konnte schließlich nicht spontan jedes Wochenende wiederkommen.
Endlich brachte eine zierliche Frau in McDonalds Schürze die Bestellung und stellte das Tablett zwischen die beiden, die sich gegenüberliegende Plätze ausgesucht hatten.
„Hey magst du eine Insta-Story von mir machen?", fragte Jessica und reichte Eliott ihr Handy ohne eine Antwort abzuwarten. Sie saß mit dem Rücken zur Sonne, was das Bild dunkler und künstlerischer machte. Verträumt sah sie nach oben, während sie den Strohhalm ihrer Cola im Mund hatte. Und vermutlich war das der erste Moment, an dem Eliott sie nicht mehr mit Clara verglich. Denn Jessica selbst war auch nicht weniger perfekt. Er musste sich daran erinnern, dass es herbei nur um Ablenkung ging, nicht um eine Bindung. Egal ob Clara oder irgendjemand anderes, er war zurzeit nicht bereit für eine Beziehung. Und auch wenn er sich immer nur eingeredet hatte, er würde Clara verdrängen, weil sie Interesse für jemand anderen zeigte, in Wirklichkeit hatte er viel mehr Angst, dass sie all ihre gemeinsamen Momente genauso liebte wie er. Denn er konnte gerade keine Beziehung führen. Das hatte Stephanie ihm gezeigt, auch wenn es schon lange her war. Aber schon damals hatte er gemerkt, er konnte sich nicht gleichzeitig noch mit um einen anderen Menschen kümmern, wenn er es noch nicht einmal um sich selbst konnte. Er konnte alles tun, was von ihm erwartet wurde; Komplimente geben, Guten-Morgen-Nachrichten schreiben oder das Essen bezahlen. Aber worum es wirklich ging, war es Liebe zu zeigen. Und er wusste er konnte das nicht genug. Nicht in seinen schlechten Phasen. Und damit hatte er Stephanie vermutlich mehr zerstört, als er jemals erwartet hatte. Sie musste sich ungeliebt gefühlt haben und gefühlt, als würde er sich nur für sie interessieren, wenn er sie gerade brauchte. Auch wenn das nie der Fall gewesen war, Stephanie war ein wundervolles Mädchen. Aber er hatte diese Phasen, in denen er jeden von sich stieß. Und bis jetzt hatte noch niemand damit umgehen können. Jeder wollte ihm immer helfen, wenn er keine Hilfe wollte. Und solange er es nicht schaffte sich selbst zu helfen, war er nicht bereit für eine andere Person in seinem Leben. Und er wollte es nicht wieder riskieren, bis er sich nicht sicher war.
Aber wer weiß, vielleicht war ja, eines Tages, wenn er soweit war, Jessica die Person, der er eine Chance geben würde. Zwischen ihnen war irgendetwas, das konnte er nicht verleugnen. Und irgendetwas faszinierte ihn an ihr. Sie war so lebensfroh und spontan. Waren das die Auswirkungen, die Berlin auf sie hatte, oder war sie schon immer so gewesen? Er konnte sich nicht genau erinnern, da er früher den größten Teil ihrer Freundesgruppe verabscheut hatte.
„Zeig mal her", forderte diese jetzt ihr Handy wieder, nachdem er in Gedanken versunken mehrere Bilder aufgenommen hatte.
„Oh die sind echt gut geworden", freute sie sich, als sie die Fotogalerie wieder öffnete.
„Ich hatte ein gutes Motiv", gab Eliott lächelnd zurück.
So falsch es sich erst angefühlt hatte, auf das Date zu gehen, desto richtiger fühlte es sich mittlerweile an. Gerade konnte keiner der beiden hier eine Beziehung führen. Er mental nicht und sie hatte ihr Leben in Berlin. Aber irgendwann war ihre Ausbildung vorbei und irgendwann war sein Studium zu Ende, wer sagte, dass das Ganze dann nicht vielleicht eine Chance hatte?
Jessica beschloss, das Bild in ihrer Instagram-Story hochzuladen und Eliott darauf zu markieren. Einen kurzen Moment überlegt er es zu reposten, aber er wusste, er hätte es nur wegen Clara getan. Nur um zu zeigen, dass auch er Kontakt zu anderen hatte, dass auch sein Leben spannend war. Und er wollte nicht wieder in alte Muster verfallen und das tun. Clara lud schließlich sowieso so oft Stories mit immer anderen Freunden hoch, da konnte er nicht mithalten.
Und dann war da noch die Angst, dass sie seine Story vielleicht nicht einmal öffnen würde. Seitdem der Kontakt langsam weniger geworden war und Clara schließlich aufgegeben hatte sich zu melden, hatte er noch nicht wieder irgendetwas hochgeladen. Er hatte keine Ahnung, ob sie es sich ansehen würde. Vermutlich schon. Aber was, wenn nicht? Auch wenn er wollte, dass es ihm egal war, es war es nicht. Deswegen sah er sich einfach nur Jessicas Story an und schloss sie wieder, ohne weiter darauf zu reagieren.
Eliott legte sein Handy wieder zur Seite, verdrängte auch wieder die Clara-Gedanken und konzentrierte sich stattdessen wieder auf die Realität. Und die Realität war, dass er Clara vergessen wollte und er gerade mit einem anderen Mädchen auf einem Date war. Also widmete er sich wieder seinem Burger, den Pommes und dem Mädchen vor sich.
Und ab da verlief alles wieder einfacher. Sie kamen ins Gespräch, ohne das Eliott wieder in Gedanken versank. So hörte er sich ihre Geschichten über Berlin an. Wie sie dort zum ersten Mal ankam, wie anders die Menschen dort waren und wie sehr sich Jessica dort wohl fühlte. Sie erzählte wie sie in den ersten Wochen immer wieder Menschen in besonders auffälligen Kleidungsstücken gesehen hatte und das immer wirklich ungewöhnlich war. Und jetzt würde es ihr kaum noch auffallen, wenn in der U-Bahn eine Person in Tigerkostüm neben ihr sitzen würde; Denn das war eben Berlin. Sie machte eine Ausbildung zur Modeberaterin, ihr Traum seit der Kindheit. Und Berlin wäre die perfekte Stadt dafür. Und das schien zu stimmen. Seitdem sie dort arbeitete, hatte sich ihr Kleiderstil wirklich verändert und das nur zum Positiven. Vermutlich waren die Kleidungsstücke nicht einmal teuer, aber dabei ging es wohl bei wahrer Mode.
Ihre Augen leuchteten, wenn sie weiter und weiter erzählte. Sie war ihrem Traum gefolgt und wurde glücklich damit. Eliott wünschte sich, das auch über das Studium sagen zu können, aber er wusste, er würde das niemals. Es brachte Geld. Und sein Arbeitsplatz war in der Nähe. Das waren die Vorteile.
Und so saßen die beiden dort noch eine weitere Stunde. Noch vor ein paar Jahren und auch Monaten hätte er niemals damit gerechnet. Sie war einfach so anders, als er sie in Erinnerung hatte. Und auch noch heute Morgen war er von der Idee nicht so überzeugt gewesen. Aber jetzt war alles so unbeschwert, ohne Probleme ohne Unstimmigkeiten. Es war einfach angenehm.
Schließlich brachten sie das Tablett zurück zur Tablettabgabe, verabschiedeten sich von der Bedienung und begaben sich wieder auf den Weg nach Hause.
„War ein schöner Tag, ich hoffe wir wiederholen das bald mal wieder", sagte Jessica noch, als sie ihn zum Abschied an der Kreuzung umarmte, an der sie verschiedene Wege gehen mussten.
Und das „Kann ich nur zustimmen, hoffe ich auch", das Eliott entgegnete war nicht einmal gelogen.
---
Das nächste Kapitel nimmt sein Ende. Jessica hatte nochmal wieder eine Rolle. Was sagt ihr zu ihr?
Wir sehen uns dann Samstag wieder mit einem zweigeteilten Kapitel!
DU LIEST GERADE
Rosa Ombré | ✓
RomanceEliott Anderson. Ein Junge, der einiges durchgemacht hat. Die Schule war Vergangenheit. Nun heißt es Umzug nach Köln und Studentenleben. Clara Skinner. Erst Mauerblümchen, dann Spalier-Rose.Ein Name, den er vor Beginn des Studiums nicht einmal gehör...