32 - Weckerticken (1)

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Zurück zu Hause gingen Clara und Eliott auf sein Zimmer. Er war sichtlich erschöpft und wollte den Tag einfach nur noch beenden, also legte er sich wortlos auf sein Bett. Unschlüssig, was sie in der Situation tun sollte, blieb Clara im Türrahmen stehen und musterte das Zimmer.

„Du kannst dich auch dazu legen", sagte er, „oder zurückfahren. Ich bleibe ein paar Tage, du brauchst nicht auf mich aufpassen".

Doch sie machte keine Anstalten zu gehen. Oder sich neben ihn zu legen.

„Mach dir mal über mich keine Gedanken, ich komm schon klar", sie setzte sich auf den Boden neben sein Bett und nahm ihr Handy in die Hand, „ich kann mich schon beschäftigen. Ich geh dann später". Mittlerweile war es Mitternacht, trotzdem schien sie nicht müde zu sein. Auch Eliott war das eigentlich nicht. Aber die letzten Stunden waren zu viele Informationen, zu viele Ereignisse, dass er einfach nicht mehr konnte, zu erschöpft für alles andere war und vor allem auch nicht mehr wach sein wollte. Somit brauchte es vermutlich nicht einmal 5 Minuten bis sein Gehirn abschaltete, seine Atmung friedlich wurde und er schließlich einschlief.

Aber Clara ging nicht. Sie blieb auf der Stelle des Bodens, die sie sich vorhin ausgesucht hatte. Und als Eliott nachts aufwachte, fragte er sich, ob sie mit Absicht geblieben war oder ob sie sich kurz zum Ausruhen an den Schrank gelehnt hatte und schließlich aus Versehen eingeschlafen war. Es sah nicht gemütlich aus, aber wecken wollte er sie auch nicht. Gerade war es 5 Uhr morgens, also beschloss er auch einfach wieder zu versuchen einzuschlafen. Auch wenn seine Müdigkeit ihn langsam verlassen hatte und der Nervosität ein bisschen Platz gemacht hat. Es hieß zwar Camilla sollte wie durch ein Wunder alles überstanden haben, aber zu hundert Prozent sicher war nichts und noch war sie schließlich nicht zu Hause.

Also blieb er einfach liegen und starrte die Decke an. Er hörte wie an dem Haus ein Auto vorbei fuhr, dann ein weiteres. Er hörte, wie der Wecker tickte und er hörte ein Summen einer Fliege, die sich irgendwo hier im Zimmer befinden musste. Wie er die warmen Sommer und Spätsommernächte hasste, weil sie perfekt für störende Fliegen oder sogar Mücken waren.

Er drehte seinen Kopf auf die Seite, sodass er Clara sehen konnte. Sollte er sie wecken? Wollte sie noch pünktlich zum Unterricht zurück? Dann müsste sie bald losfahren. Falls nicht, müssten sich die beiden wenigstens noch krankmelden. Am besten nicht zur gleichen Zeit, also beschloss er leise nach seinem Handy zu tasten und eine Krankmeldungsmail abzuschicken. Aber auch das brauchte nicht mehr als fünf Minuten und so lag er wieder da und wartete auf nichts. Eigentlich wartete er darauf, wieder einzuschlafen, aber er fühlte sich nicht so an, als könnte das noch passieren. Die Gedanken, die am Abend noch so schwer waren, dass sie ihn einfach haben einschlafen lassen bewirkten nun genau das Gegenteil. Keiner wusste, wie es mit Camilla weiter gehen würde. Clara, von der er nicht dachte, dass sie jemals wieder Teil seines Lebens sein würde und sich auch noch nicht sicher war, ob es das richtige war, saß einfach neben seinem Bett auf dem Fußboden. Immer hatte er versucht sich davon abzuhalten; Davon ihr wieder näher zu kommen. Er hatte versucht, sein Leben zu Hause nicht mit seinem Leben an der Uni zu mischen und doch war sie da. Mit geschlossenen Augen. Ihr Handy lag noch in ihrer Hand, die sie auf dem Fußboden abgelegt hatte. Gestern war vermutlich auch ein anstrengender Tag für sie. Wenn er bloß wüsste, was sie dachte. War sie wieder mit Noah zusammen oder wollte wieder etwas von diesem? Sollte er es wagen mit Clara wieder eine normale Freundschaft zu versuchen? Sie schien ja so weit zu sein, das hatte sie gezeigt. Und über ihre kurze Verliebtheit in Eliott schien sie hinweg zu sein. Das tat ihm immer noch weh, auch wenn das sein Plan war.

Aber was hatte der Moment gestern vor seiner Tür zu bedeuten? Sie waren sich sichtlich nah gekommen. Hatte nur er das gefühlt? Das wichtigste war, dass sie es nicht zugelassen hatte. Denn es war eine unüberlegte Handlung gewesen, die er lange bereut hätte. War er also fähig eine normale Freundschaft zu führen? Ohne eifersüchtig auf Noah zu sein? Indem er langsam seine Gefühle verlor? Konnte er das?

Gerade hatte er wohl keine andere Wahl, er konnte Clara schlecht einfach rauswerfen. Er beschloss einfach die Zeit zu genießen, solange sie noch da war und nach dem Wochenende, wenn sie sich in Mainz wiedersahen, so weiter zu machen, wie er es dann für richtig hielt. Und er wusste nicht ob das Kontaktabbruch oder Freundschaft war, aber das konnte er gerade nicht entscheiden.

Mittlerweile war es halb sechs. Er fühlte sich verpflichtet, Clara wenigstens kurz zu wecken und zu fragen, ob sie noch wieder zurückwollte, um nicht den Unterricht zu schwänzen. Außerdem musste sie dann auch nicht weiter da auf dem Boden sitzen, das war nicht die beste Gastfreundschaft.

Rosa Ombré | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt