38 - Eine graue Jogginghose und ein zerknittertes T-Shirt (1)

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Die nächsten Tage waren schwer und fast unmöglich zu durchstehen. Clara hatte ihre Entscheidung getroffen. Aber er wusste, dass es eigentlich er gewesen war, der die Entscheidung zuerst getroffen hatte. War das jetzt das endgültige aus? Für immer? Auch wenn er es schon so oft versucht hatte durchzusetzen, das hier fühlte sich anders an.

Was wäre gewesen, wenn er eine Minute früher an seinem Zimmer angekommen wäre? Und was wäre passiert, wenn er sich bei ihr gemeldet hätte? Er wusste zwar nicht ihre Zimmernummer, aber er hätte ihr schreiben können.

Ging es ihr genauso wie ihm? Fragte sie sich, was sie an welcher Stelle hätte anders machen müssen? Fragte sie sich, warum sie ihm einfach nicht wichtig war? Fragte sie sich, warum sie nicht gut genug war?

Denn all das fragte sich Eliott. Und er musste ihr den Eindruck vermittelt haben, dass sie einfach nicht die richtige war. Dabei wollte er ihr doch einfach immer nur klar machen, dass er einfach nicht der richtige war. Und in dem Moment, in dem er entschieden hatte, dem Ganzen eine Chance zu geben und sie auf ein großes Risiko in sein Leben zu lassen, hatte sie sich für das Gegenteil entschieden. Und dabei war er so sicher gewesen, sie würde zurückkommen, wie sie es immer getan hatte, aber das war sie nicht.

Es war nun zwei Wochen her, dass er das letzte Mal mit Clara geredet hatte. Und noch immer ließ ihm das Ganze keine Ruhe.

Gerade saß er im Unterricht, der Dozent erklärte, wie die nächsten Stunden ablaufen würden, aber Eliott hörte kaum hin. Er hörte seit Tagen nicht hin. Er antwortete jedes Mal nur mit einem „Hm?", wenn er plötzlich durch Hören seines Namens zurück in die Realität gerufen wurde. Und er fiel in alte Muster zurück; Er erzählte nicht Christian, was passiert war. Er redete nicht mit Julian darüber. Nicht mit Damian. Und erst recht nicht mit Anthony.

Und auch diesmal brachte ihn so schnell nichts in die Realität zurück. Nicht Anthony, der ihn nach einem Lineal fragte, nicht der Dozent, der etwas später die Unterrichtsstunde beendete, sondern erst als einer seiner Kommilitonen den Raum verlassen wollte und ihn dabei aus Versehen anrempelte.

„Hey, was ist denn los?", hörte Eliott jetzt auch Anthony sprechen, aber murmelte nur ein leises „Nichts, bin nur ein bisschen neben mir heute". Damit ließ er ihn stehen und ging zurück zu seinem Zimmer. Das Zimmer, das er in letzter Zeit kaum verlassen hatte. Weil seine Anwesenheit eigentlich nie seinen Kopf verlies. Wie lange würde es dauern, bis er das alles verkraftet hatte? Clara war er seitdem nicht einmal zufällig über den Weg gelaufen. Aber wie auch? Er war ja nur zum Unterricht draußen, und würde es keine Sondervorstellung geben, wären sie auch nicht zusammen im gleichen Raum.

Also wurde aus dem heutigen Nachmitttag ein Nachmittag, wie jeder andere der letzten beiden Wochen. Er ging erst eine Zeit am PC online, bis er schließlich erneut feststellte, dass er sich dafür nicht genug konzentrieren konnte. Denn in Gedanken war er nicht bei seinen Onlinefreunden, nicht bei den Items, die er in logischer Reihenfolge kaufen musste und auch nicht bei den Gegnern, die er hätte bekämpfen sollen. Er war in Gedanken einfach nur bei einem Mädchen, das ihm die Welt bedeutete und dem er vermutlich, ohne dass er es jemals wirklich verstanden hatte, auch die Welt bedeutet hatte. Und vielleicht hätte er ihr einfach vertrauen sollen und sie hätte auch mit seinen Problemen umgehen können. Denn sie hatte es jedes Mal wieder geschafft. Er hatte sie zwei Jahre geliebt und sie war zwei Jahre immer und immer wieder zurückgekommen.

Und auch war an dem jetzigen Moment nichts anders, als seit zwei Wochen. Es war gerade Abend geworden; ungefähr 19 Uhr. Und er dachte die gleichen Gedanken, die er die ganze Zeit dachte. Und er konnte sich bis jetzt nicht erklären, was ihn dazu gebracht hatte, einen Gedanken zu fassen, der anders war als alle anderen zuvor; Nur Clara hatte zwei Jahre lang für ihn gekämpft. Sie hatte ihn vermutlich bedingungslos geliebt, auch wenn er das nie wirklich geglaubt hatte. Sie war jedes Mal wiedergekommen, wenn er sie weggestoßen hatte. Sie hatte jedes Mal ihr Ego zurückgestellt und war immer für ihn da, wenn er sie brauchte, egal wie die Situation gerade zwischen ihnen aussah. Und sie war sogar ungefragt hunderte Kilometer gefahren, nur um ihn nach Hause zu bringen, als er selbst nicht mehr wusste, was er tun sollte. Er hingegen war kein einziges Mal für sie da. Nicht einmal war er wieder auf sie zugekommen.

Also würde er ihr es jetzt gleichtun und sie nicht aufgeben, nur weil er ein weiteres Mal überreagiert hatte. Und wenn er Glück haben würde, würde sie ihm noch ein weiteres Mal verzeihen, wie schon so oft. Er konnte nicht sagen, ob das alles wirklich noch eine Chance verdiente und ob er wirklich noch eine Chance verdiente, nachdem er sie behandelt hatte, wie er sie behandelt hatte. Aber ganz plötzlich hatte er es sich in den Kopf gesetzt. Er musste mit ihr reden. Jetzt sofort. Er wollte ihr nicht schreiben und auf eine Antwort hoffen, er musste das jetzt klären. Denn jede Sekunde die verstrich, könnte sie weiter beschließen, ihn nie wieder in ihr Leben zu lassen. Falls das nicht schon längst geschehen war.

Er blieb also genau wie er war; Die graue Jogginghose, die er schon den ganzen Tag anhatte. Ein weißes, zerknittertes T-Shirt. Seine Haare hingen ihm ungemacht ins Gesicht, sodass er sie nur kurz zur Seite strich.

Denn genauso schnell, wie der Gedanke gekommen war, hatte er schon sein Zimmer verlassen. Wenn er Glück hatte, saß sie, wie fast jeden Abend, auf der Mauer vor dem Eingang. Er fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, sie vor ihrem Freundeskreis, der ihn immer abwertend ansah, ansprechen zu müssen. Aber das sollte sein kleinstes Problem sein.

Wie besessen ging er den gläsernen Gang bis zum Eingang entlang. Er kam ihm heute noch länger und eigentlich unendlich vor. Doch nach vielen Schritten kam er an der Tür an, die automatisch aufschwang, wenn man von innen kam.

Und ohne nach draußen zu sehen trat Eliott sofort heraus. Nur um festzustellen, dass Clara nicht in Sicht war. Also stand er einfach da. Die Tür fiel mit einem leisen Knall hinter ihm wieder zu.

Erst dann realisierte er die Menschen, die er eigentlich vorher schon bemerkt hatte, aber die Information scheinbar nicht weiter von seinem Gehirn verarbeitet wurde. Claras Freundeskreis war da. Er fragte sich, ob sie wussten, wer er war. Mit einem hatte sie schließlich letztens über ihn geredet, aber wusste er, wie Eliott aussah? Er hatte keine Zeit, sich weiter Gedanken darüber zu machen, denn schon sprach ihn genau dieser mit „Ey Bro, brauchst du was?" an. Das brachte Eliott seit Tagen das erste Mal komplett in die Realität zurück. Was er jetzt machte, war wichtig und er würde sich nicht davon stoppen lassen, dass Clara nicht da war, wo er es vermutet hatte. Auch wenn seine Gedanken ihm noch erzählen wollten, dass das ja vielleicht ein Zeichen wäre, er betrachtete die Theorie nicht weiter. Er musste jetzt alles geben und das machen, was er schon seit Tagen oder sogar Monaten hätte mache sollen; Ehrlich zu Clara sein und für sie kämpfen, sodass er endlich der richtige für sie sein würde, der er nie gewesen war.

„Ist Clara auf ihrem Zimmer?", fragte er also und hoffte, dabei nicht seltsam zu klingen.

„Denke schon. Die hat abgesagt heute, kannst ihr ausrichten hier ist noch Bier für sie", scherzte ein anderer Junge, den er auch schonmal gesehen hatte. Auf der Party, auf der er Clara kennengelernt hatte. Er war der, der sie von der Bank geholt hatte. Scheinbar schien er aber jemanden wie Eliott nicht wiederzuerkennen.

„Habt ihr die Zimmernummer? Ich muss gerade mal zu ihr", fragte er weiter.

Und während der Junge von der Party „2805" sagte, fragte der andere, wer er denn überhaupt sei. Doch noch beim Aussprechen dieser die Frage schien er es zu realisieren und fragte „Warte, du bist Eliott, oder?" direkt hinterher.

„Ja genau", mehr fiel ihm nicht als Antwort ein.

„Wer ist denn jetzt schon wieder Eliott?", fragte der Junge, der ihm die Nummer genannt hatte. Es wirkte, als hätte er die Übersicht bei Claras Freunden verloren. Hatte sie von anderen erzählt, aber nicht von ihm?

Ohne eine weitere Frage oder Aussage abzuwarten, drehte er sich um und hielt seine Schlüsselkarte an den Sensor, sodass die Tür wieder aufschwang. Er hatte jetzt keine Zeit, sich noch um ihre Freunde zu kümmern. Sollte er mit seiner ganzen Aktion jemals Aussicht auf Erfolg haben, wäre das wann anders sein Problem.

Eliott betrat also den Eingang wieder und ging Richtung Treppe. Für den Fahrstuhl war er zu ungeduldig. Er konnte jetzt nicht nichts tuend dastehen und auf das Ping warten, bis sich die Türen öffneten.

Also nahm er eine Treppenstufe nach der anderen in den zweiten Stock. Dort angekommen folgte er dann dem „2800-2820"-Schild, auf dem ein Pfeil nach links abgebildet war. Und dann war er da; Das dritte Zimmer auf der linken Seite. Ironischerweise direkt gegenüber von Damian. Er blickte auf die 2805, die auf dem vergilbten Schild neben der Tür hing und tat nichts.

Was jetzt? Er hatte sich keine Worte überlegt, wusste nicht, wie er alles jemals wieder gut machen konnte. Und bevor er weiter in Panik geraten konnte, bewegte er seine zitternde Hand Richtung Tür und klopfte vorsichtig aber bestimmt an, sodass er keine Möglichkeit hatte es sich anders zu überlegen.

Rosa Ombré | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt