32 - Weckerticken (2)

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Er fühlte sich verpflichtet, Clara wenigstens kurz zu wecken und zu fragen, ob sie noch wieder zurückwollte, um nicht den Unterricht zu schwänzen. Außerdem musste sie dann auch nicht weiter da auf dem Boden sitzen, das war nicht die beste Gastfreundschaft.

Er stand also auf und berührte sie vorsichtig am Arm. Verwirrt zuckte sie zusammen und sah sich um. Vermutlich brauchte sie eine Sekunde, um zu realisieren, dass sie einfach auf dem Boden eingeschlafen war.

„Alles gut, du kannst gleich weiterschlafen", beruhigte er sie erstmal, „aber es ist halb sechs mittlerweile. Willst du noch pünktlich zurück zum Unterricht?"

Clara schien mittlerweile im hier und jetzt angekommen zu sein, richtete sich wieder auf und fragte nur „Willst du?". Vermutlich wollte sie wissen, ob sie ihn wieder zurückfahren sollte. „Nein, ich bleib das Wochenende hier, ich habe mich schon krankgemeldet", erklärte er ihr.

Sie beschloss auch sich besser krank zu melden, da sie wirklich nicht die Motivation hatte, jetzt drei Stunden zurück zu fahren.

„Ja okay, Mail ist abgeschickt, danke fürs Wecken", sagte sie nach kurzem Tippen auf ihrem Handy. Er stand wieder auf und setzte sich auf sein Bett. Mit Clara zu reden hatte ihn wieder etwas beruhigt und seine Müdigkeit kam langsam wieder. Clara stand auf und fragte nach dem Badezimmer.

„Aus der Tür rechts und dann die letzte Tür auf der linken Seite. Rechts neben dem Waschbecken ist auch eine Schublade, in der eigentlich immer neue Zahnbürsten sind. Kannst dir eine nehmen, wenn du magst", fiel ihm ein und sie lächelte dankbar.

Die Zeit, in der sie weg war, nutze er, um eine Jogginghose aus dem Schrank zu holen und sich umzuziehen. Denn setze er sich wieder auf sein Bett, um nicht einzuschlafen, bevor sie wieder da war.

Kurze Zeit später öffnete sich seine Tür wieder und Clara trat ein. „Ich habe mal eins der Abschminktücher benutzt, die da standen. Ich hoffe das war okay", sagte sie. Und jetzt fiel ihm auch auf, dass ihr dünner Eyeliner fehlte und sie ein kleines bisschen müder aussah.

„Alles gut. Magst du dich dazulegen? Ich wäre ein schlechter Gastgeber, wenn ich dich weiter auf dem Boden schlafen lassen würde", lächelte er sie an. Es fühlte sich wie eine unangenehme Frage an, aber sie hatten weder eine vernünftige Schlafcoach, noch ein Gästezimmer und er hielt es für zu aufwendig jetzt eine Matratze aus dem Keller zu holen. Clara hatte schließlich öfter mal bei normalen Freunden geschlafen, ohne dass es irgendeine Bedeutung hatte, als sie noch in dem ersten Wohnheim waren, das hatte sie da erzählt. Und ihn selbst reizte der Boden auch nicht. Er würde ihn aber nehmen, falls sie ablehnen würde.

Dankbar nahm sie aber das Angebot an und legte sich vorsichtig neben ihn, nachdem er zur Seite rutschte, was glücklicherweise leicht machbar war, da sein Bett ziemlich breit war. Sie schlüpfte unter seine Decke und legte ihren Kopf auf dem Kissen ab, dass er ihr hinschob. Er selbst nahm eins der anderen kleinen, die eigentlich nur als Deko in seinem Bett lagen.

Clara schien auch noch etwas unsicher zu sein und versuchte nicht direkt einzuschlafen. Sie lag auf dem Rücken und starrte die Decke an, während sie vermutlich dachte, Eliott hätte die Augen geschlossen. Was ihr wohl gerade durch den Kopf ging? Anfangs hatte er sie so gut gekannt und jetzt schaffte er es nicht mehr sie durch die Maske hindurch zu lesen.

Scheinbar war sie dann aber doch ziemlich übermüdet, denn ihr Kopf fiel irgendwann Richtung Zimmermitte und sie schlief ein.

Er konnte sich nicht davon abhalten, sie anzusehen, wie sie da so friedlich lag, gleichmäßig atmete und einen Zipfel der Bettdecke umarmte. Vielleicht konnte er alles beeinflussen, sodass heute nicht der letzte Tag sein würde, an dem er diesen Anblick hatte. Aber er rief sich wieder vor Augen, dass es nicht darum ging, was er wollte, nicht was sie wollte, sondern was wirklich am besten für sie und damit auch ihn war. Doch irgendwann, als er jeden Gedanken mehrmals durchgekaut hatte, wurden auch seine Augen wieder schwerer, seine Atmung synchronisierte sich mit ihrer und auch er betrat die Traumwelt.

Und so lagen die beiden dort eine lange Weile. Beide waren erschöpft, beide hatten zu viele Gedanken und Geschehnisse, die das Gehirn verarbeiten musste. Eliott, der sonst einen ziemlich unruhigen Schlaf hatte, schlief einfach durch, ohne sich auch nur zu bewegen. Und auch Clara blieb genauso, wie sie war. Weiter den Deckenzipfel im Arm und friedlich am Schlafen, wie schon lange nicht mehr. Und so merkte keiner, wie die Sonne schon komplett aufgegangen war und das ganze Zimmer erhellte, weil niemand daran gedacht hatte, den Rollladen herunter zu machen. Keinen der beiden störten die Vögel, die so laut zwitscherten, als würden sie im Zimmer sitzen. Und keiner wachte auf, als der Nachbar seinen Rasenmäher startete. Sie lagen beide einfach da. Im Kopf in anderen Welten. Beide so fern und doch so nah.

Rosa Ombré | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt