Doch Clara stand dort nicht alleine. Auch nicht mit dem Jungen, mit dem sie vorhin angestoßen hatte. Und auch nicht mit jemandem aus ihrem seltsamen Freundeskreis. Es war niemand anderes als Noah. Der Noah, über den sie so oft geredet hatten. Der Noah, der sie so sehr ausgenutzt hatte. Und der Noah, über den sie vor einem halben Jahr noch gesagt hatte, sie wäre ganz klar über ihn hinweg und froh darüber.
Oder wollte sie ihn nur eine kurze Zeit nicht mehr? Weil er eine Freundin hatte. Und hatte es stattdessen bei Eliott versucht? Und jetzt hatte Noah vielleicht keine Freundin mehr und war wieder bei ihr angekommen. War sie so naiv, ihm eine zweite Chance zu geben? Eliott hatte wirklich gedacht Clara hätte echte Gefühle für ihn gehabt und nicht mehr für Noah. Er hatte ihr einfach blind abgekauft, sie würde nichts mehr von Noah wollen. Dabei war dieser wohl schon immer Plan A gewesen und geblieben.
„Warum willst du denn Wasser", fragte der Junge an der Kasse zum scheinbar zweiten Mal und riss Eliott damit aus den Gedanken, die gerade mit ihm durchdrehten.
„Ich ... Ich brauch mal was anderes als Alkohol", sagte er, noch immer nicht ganz wieder in der Realität angekommen. Spätestens jetzt musste es so wirken als wäre er zu betrunken und deshalb komplett neben sich. Dabei hatte ihn Clara dort mit Noah stehen sehen wieder schlagartig nüchtern gemacht. Er hatte gewollt, dass sie ihr Leben ohne ihn weiterlebt. Weil er nicht der richtige für sie war. Weil er gerade für niemanden der richtige war. Aber Noah? Clara traf immer schlechte Entscheidungen. Oder war das einfach ein weiterer dieser Fehler, die sie doch so unbedingt machen wollte? Wann sah sie endlich ein, dass sie einen Jungen verdient hatte, der sie immer an erste Stelle setzt und immer für sie da ist? Nicht wie Noah, der einfach das nahm, was gerade da war und nicht jemand wie Eliott selbst, der sich viel zu oft zurückzog und alle aus seinem Leben ausschloss.
Aber vor allem fühlte er sich irgendwie betrogen. Auch wenn er das nicht wollte. Schließlich hatte er ihr einen harten Korb gegeben und sie aus seinem Leben komplett ausgeschlossen, was er vermutlich sogar schon früher hätte tun sollen. Aber es fühlte sich nicht richtig an, dass sie einfach weiter machte, ohne dass es sie zu stören schien und sich den nächstbesten suchte. Er wollte sie doch beschützen. Wäre er wenigstens mit ihr befreundet geblieben, dann hätte er ihr sagen können, dass sie gerade einen gewaltigen Fehler beging. Und dass Noah sie nur wieder ausnutzen würde. Noah würde ihr bestimmt wieder sagen, er wolle gerade keine Beziehung und das ganze würde wieder in einer Freundschaft Plus enden, von der Eliott wusste wie wenig Clara das wollte. Aber irgendetwas musste Noah wohl an sich haben, dass sie immer und immer wieder auf ihn reinfiel. So gerne würde er ihr das gerade sagen. Aber er hatte nicht mehr das Recht dazu, er kannte sie nicht mehr. Sie hatte sich verändert. Und wenn sich ihr Inneres so sehr verändert haben sollte, wie ihr Äußeres, dann wollte sich ja vielleicht wirklich, was sie gerade tat.
„Okay du scheinst wirklich was zu brauchen. Ich geh mal nach da drüben und guck nach ob wir noch was in den Vorräten zum Mischen gekauft haben", sagte der Getränkejunge zwar, aber Eliott war viel zu viel damit beschäftigt sich in seinen eigenen Gedanken zu verstricken, nur weil er Clara und Noah nebeneinanderstehen sah. Zu zweit. Abseits der anderen. Es konnte nicht anders sein, als das, wonach es aussah.
Und auch wenn er eben noch tausende Gedanken im Kopf hatte, war er auf einmal leergefegt und er stand nur stumm und unfähig sich zu bewegen da, als Noah ihr plötzlich die Haare aus dem Gesicht strich und ihr näherkam, um zum Kuss anzusetzen.
„Clara siehst du nicht was vorgeht? Siehst du nicht, dass er dich nur wieder ausnutzt?", wollte er schreien, doch sein Mund öffnete sich keinen Millimeter. Stattdessen sah er die Realität in Zeitlupe abspielen und konnte nicht einmal wegsehen. Und er hatte nicht einmal genug Kraft sich weiter einzureden, dass es das war, was er sich für sie gewünscht hatte. Denn tief in sich wünschte er, er wäre an der Stelle. Und all das war auf einmal zu viel für ihn. Ohne dass er die Kontrolle über seinen Körper hatte, setzte er sich hin. Er setzte sich einfach auf den Grasbedeckten Boden. Der Junge mit dem Wasser kam wieder und stellte sich in sein Sichtfeld. Besorgt und in dem Glauben Eliott hatte viel zu viel getrunken, versuchte er sich um diesen zu kümmern. Auch wenn es vielleicht einfach schon geholfen hatte, Clara und Noah nicht mehr ansehen zu müssen. Zumindest war es das, was Eliott im Nachhinein dachte.
Auch, wenn alles, was er gesehen hätte, wenn der Wasserjunge nicht in seinem Sichtfeld gestanden hätte, gewesen wäre, dass Clara einen Schritt zu Seite machte. Sie schob Noah von sich weg, bevor es zu einem Kuss kommen konnte. Auch wenn alles, das er gehört hätte, wenn der Getränkejunge nicht gerade auf ihn eingeredet hätte, „Sorry, aber das bringt nur wieder irgendwelche Folgen mit sich, die wir beide nicht wollen", von Clara gewesen wäre. Bevor sie dann Noah stehen gelassen hatte und zurück in der Menschenmenge verschwunden war.
Aber das konnte Eliott nicht wissen, denn er konzentrierte sich nur auf den überforderten Getränkejungen. Und als er wieder hinsah, war keiner der beiden mehr da und er dachte sich seinen Teil.
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Wir sind schon wieder tief ins Studentendrama eingetaucht obwohl Eliott noch gar nicht wieder lange in Mainz ist.
Dienstag geht es dann weiter mit "Spalier-Rose". Erinnert ihr euch noch an die Metapher aus dem Prolog? Das Kapitel zu schreiben war damals eine relativ spontane Idee und doch sehr wichtige für die Storyline. Ich freu mich euch dann wiederzusehen!
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Rosa Ombré | ✓
RomantikEliott Anderson. Ein Junge, der einiges durchgemacht hat. Die Schule war Vergangenheit. Nun heißt es Umzug nach Köln und Studentenleben. Clara Skinner. Erst Mauerblümchen, dann Spalier-Rose.Ein Name, den er vor Beginn des Studiums nicht einmal gehör...