10 - Regenstimmung

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„Gute Nacht", sprach Eliott in das Telefon und legte auf, nachdem er erneut über fünf Stunden mit Clara über alles Mögliche geredet hatte, das den beiden in den Sinn gekommen war. Ihre Gespräche wurden nie langweilig. Anfangs nicht und auch jetzt nicht. Doch er hatte ein letztes Mal versucht, endgültig herauszufinden, was er fühlte. Diesmal mit einer endgültigen Antwort. Denn dieses Gefühl im Bauch, als sie den Hörer abgenommen hatte, war damals nicht da. Dieser Stich im Herz, wenn sie von Noah redete, war damals nicht da. Dieses Lächeln auf seinen Lippen, wenn er einfach nur ihren Namen auf seinem Bildschirm sah, war vorher nicht da.

Es war einfach ein weiteres Gespräch wie früher, aber so viel anders als früher.

Und deshalb sollte das sobald erst einmal das letzte Telefonat gewesen sein, dass die beiden geführt hatten. Und so schön es auch war, Eliott hatte das Gefühl die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren.

Also traf er die Entscheidung, von der er niemals gedacht hätte, sie treffen zu müssen. Er musste wirklich Abstand nehmen. Abstand von dem Mädchen, mit dem er nächtelang telefoniert hatte, von dem Mädchen, das eigentlich alles über ihn wusste. Alles, außer seine Gefühle. Und er hoffte, dass er vielleicht irgendwann wieder ein Teil ihres Lebens sein konnte, aber gerade kam er damit nicht klar. Gefühle zerstörten Freundschaften und er wollte nicht lügen müssen, also war Abstand nehmen erst einmal der einzige Ausweg. Clara traute ihm bedingungslos alles an. Und es war nicht fair, wenn er ihr bei jedem Satz, den sie über Noah sprach, am liebsten alles Ausreden wollte. Und selbst wenn nicht, er fühlte sich auch nicht in der Lage gerade eine Beziehung zu führen. Es stand zu viel auf dem Spiel. Also hieß es einfach vorsichtig Abstand nehmen, hoffen, dass sich Clara nicht mehr so oft melden würde und daran glauben, dass die Freundschaft noch Aussicht auf Erfolg hatte, wenn er endlich über sie hinweg war. Er wollte sie schließlich nicht aus seinem Leben verdrängen, sondern nur pausieren. Und vielleicht wäre es das richtige gewesen, ihr das genauso zu sagen. Aber vielleicht hatte er Angst sie würde das falsch aufnehmen, vielleicht hatte er Angst, sie würde ihn anders sehen. Er konnte den genauen Grund nicht ausmachen. Somit beschloss er einfach zu schweigen und langsam immer kälter zu werden. So lange, bis sein Herz ihm wieder die Kontrolle über seine Gefühle geben würde.

Die Entscheidung war hart und auch wenn er gerade eben noch mit ihr geredet hatte und sie ihm gefühlt noch so nah war, war sie so fern wie noch nie. Die Emotionen überkamen ihn langsam. Schon lange hatte sein Herz nicht mehr so gefühlt. Und jetzt das, was er am meisten wollte, aus seinem Leben zu streichen, tat mehr weh, als er es wollte.

Passend zu seiner Stimme regnete es draußen. Clara liebte den Regen, war, was ihm sofort in den Kopf kam. Doch er sah das generell anders und auch gerade wirkte da draußen alles so trüb und verloren, wie er sich fühlte. Die Blumen im Garten ließen die Köpfe hängen und alle Vögel hatten sich einen Unterschlupf gesucht. Er betrachtete, die Regentropfen, wie sie die Scheibe runter rollten und endlos flossen. Genau wie mittlerweile die Tränen in seinem Gesicht. Innerlich brach er zusammen. Er wollte eigentlich nicht schwach sein, es fühlte sich jedes Mal erneut falsch an. Es war schließlich nicht einmal irgendetwas passiert und trotzdem fühlte er gerade mehr, als er ertragen konnte. Deswegen unternahm er nichts gegen die Tränen. Er hatte es aufgegeben, sie wegzuwischen, es kamen sowieso wieder neue nach. Und außerdem schien es, als würde jede Träne ein kleines bisschen Leid mit sich nehmen und aus ihm rausspülen. Und vielleicht war es ja das, was er gerade brauchte.

Er saß auf seinem Bett. Dort wo er eben noch mit Clara telefoniert hatte. Würde er diesen Gedanken jemals loswerden? Würde er jemals wieder hier sitzen können, ohne an die Telefonate zu denken? Würde er jemals den Regen sehen können, ohne an ihre Begeisterung für diesen denken zu müssen? Würde er jemals wieder ihr in die Augen sehen können, ohne diesen Schmerz zu fühlen, der sich gerade immer weiter in ihm ausbreitete?

Rosa Ombré | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt