Kapitel 1

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Johanna Moreau:

Seine kalte Hand in meinem Gesicht. Sein Gesicht ganz nah an meinem Ohr. "Ich komme wieder!" Ein Flüstern in der Stille. Helles Licht. Laute Sirenen. Stimme. Schreie. Und dann... Stille.

"Johanna!" Schweißgebadet schlug ich die Augen auf. "Nur ein Traum! Alles nur ein Traum!", flüsterte ich leise. Vor mir auf der Kante meines Bettes saß mein Adoptivvater. In seinen brauen Augen lag Sorge. Vorsichtig zog er mich in seine Arme. Lange lauschte ich seinem Herzschlag und der meine beruhigte sich langsam aber sicher. "Versuch nochmal zu schlafen, okay?", murmelte er nach einer Weile. Zögerlich nickte ich und kuschelte mich eng an dem mannsgroßen Teddybär neben mir.

Leise zog Dad die Tür hinter sich zog, schloss sie aber nicht vollständig. Das kleine Licht auf meinem Schreibtisch hatte er angelassen. Kurz schmunzelte ich, als ich vor über einem Jahr hier zu ihm gezogen war, hatte ich beinahe jede Nacht Albträume von Nils Herbrecht, meinem Vormund, und von dem Unfall, der mich mein linkes Bein gekostet hatte, gehabt. In meiner dritten Nacht hatte Dad mich, ähnlich wie heute geweckt und als ich mich weigerte wieder zu schlafen, hatte er mir von seiner Mutter und der Anti-Albtraum-Lampe erzählt. Seit dieser Nacht, stand die kleine, alte Lampe auf meinem Schreibtisch.

Das nervtötende Lärmen meines Weckers, der vermutlich auch Tote wecken konnte, riss mich aus dem Schlaf. Ein Blick in den Spiegel bewies mir, dass ich eher einer Leiche glich, als einer normalen 14-jährigen. Normal?! Eigentlich war an mir so ziemlich nichts normal.

Vor mehr als einem Jahr war ich aus dem St. Marien Heim in der nähe von Wien, das ich mehr als sieben Jahre lang mein "Zuhause" nannte, ausgerissen. Nach zwei Wochen Reise war ich in Erfurt von einem Lastwagen erfasst worden und zu allem Überfluss, nachdem ich mich verletzt von der Straße geschleppt hatte, war ich von einer maroden Plattform in einer der großen Industriehallen gefallen. Zu meinem Glück hatte mich ein aufmerksamer Arbeiter gefunden und so war ich schwer verletzt, um nicht zu sagen: halbtot, ins Johannes-Thal-Klinikum gekommen.

Dort hatte dann mein Kampf gegen die Zeit begonnen. 16 Wochen Intensivstation. 7 Wochen Koma. Amputation des linken Unterschenkels. Nierentransplantation. Lungenentzündung. Zig Knochenbrüche. Innere Blutungen. Viele viele Stunden im Op. Aber noch immer war ich hier. Die Prognose nach meinem Unfall war denkbar schlecht. Alle gingen davon aus, dass ich, wenn ich überhaupt jemals wieder aufwachen würde, körperlich und geistig sehr eingeschränkt sein werde. Und jetzt 17 Monate später besuchte ich die 9.Klasse eines Erfurter Gymnasiums und hatte zum ersten Mal in meinem Leben eine Familie. Zwar hatte ich ein Bein, beide Nieren und ein teil meines Lungenvolumens verloren und war noch immer an einen Rollstuhl gefesselt, aber ich lebte!

"Leg mal einen Zahn zu, Jojo! In zwanzig Minuten müssen wir los!", begrüßte mich mein Adoptivvater. "Dir auch einen wunderschönen guten Morgen!", sagte ich mit einem Grinsen. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand stand Dr. Matteo Moreau, Oberarzt der Plastischen Chirurgie im JTK in der Tür. Er war einer der Ärzte gewesen, die mir mein Leben gerettet hatten und vor 11 Monaten hatte er mich adoptiert. Zusammen mit seiner Halbschwester Vivienne Kling, Assistenzärztin im JTK, lebten wir jetzt in einer wunderschönen Haus in der Nähe der Klinik.

Und obwohl der Typ am Küchentisch einer der Besten Handchirurgen Deutschlands war, war er ein Helikoptervater.

Nach all dem war ich hier. Und ich war bereit zu kämpfen, denn ich wollte leben!

In aller Freundschaft Die jungen Ärzte: Johanna MoreauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt