Auf Liebe, Freundschaft und Glück

56. Nie allein

Das kleine L starrte seit geraumer Zeit stumm aus dem Fenster und hing seinen eigenen Gedanken nach. Jean musste kein Hellseher sein um zu wissen, woran er gerade dachte, oder eher, an WEN er denn gerade dachte. Er war schließlich nicht auf den Kopf gefallen. Zumal er und der größere Trommler auch eine Mitschuld an der ganzen Sache trugen. Immerhin hatten sie die beiden Streithähne zusammen in einen Raum gesperrt und dazu gezwungen, miteinander zu reden.

„Möchtest du etwas Musik hören? Oder soll ich das Fenster runter lassen? Irgendetwas?", unterbrach er die Stille schließlich. Es war nicht so, als ob er Luzi die Ruhe nicht gönnen würde, aber er mochte es nicht, den Dudelsackspieler so zu sehen. Er wollte ihm helfen und beistehen und irgendetwas Gutes tun und sei es nur das Runterlassen eines Fensters. Solange es Luzi helfen würde....

„Musik", nuschelte Luzi lustlos. „Lenk mich ab... irgendwie." Nun wippte auch ein Hauch Bitte in seiner Stimme mit.

Sofort kam der Halbfranzose der Bitte seines Freundes hinterher und er schaltete das Radio ein. Er verplemperte auch keine Zeit damit, irgendeinen bestimmten Sender zu finden, er ließ einfach laufen, was gerade lief. „Mhm...", er sollte das kleine L also ablenken, aber wie nur. „Im Kino lief gestern ein netter Horrorstreifen an... Wenn du Lust hast, können wir uns den ja anschauen gehen?" Er hatte durch Zufall die Werbung davon gestern im Fernsehen gesehen.

„Kino?", das war das erste Mal, seit dem Starten des Wagens, dass Luzi zum Fahrer herüber sah. „Jetzt sofort? Wir beide?", er klang nachdenklich.

„Na klar, warum nicht?", zuckte der Halbfranzose mit den Schultern. Es war doch nichts dabei. Nur zwei Freunde, die zusammen das Kino besuchten und sich einen Film ansahen.

„Mhm... einen Horrorfilm, sagst du? Wie schlimm ist der denn?" Er war kein regelmäßiger Horrorfilmschauer. Das konnte auch durchaus daran liegen, dass Alea die absolut nicht sehen konnte... aber er selbst schaute sich ab und an mal einen an.

„Laut den Bewertungen soll der mittelmäßig schlimm sein, mit ein paar fiesen Jumpscares, aber sonst hat der eine echt gute Kritik erhalten." Jean konnte schlecht aus eigener Erfahrung sprechen. Er hatte den Film schließlich auch noch nicht gesehen.

„Mittelmäßig schlimm also?", wiederholte das kleine L das Gesagte. „Das heißt dann, der ist ohne Jugendfreigabe, richtig? Dann ja... erst etwas essen und dann ins Kino." Auf Teenager und Jugendliche hatte er wirklich keine Lust. Die waren ihm meistens zu laut und kreischten immer so.

„Ja, der müsste ohne Jugendfreigabe sein", nickte der Halbfranzose und er warf einen kurzen Blick rüber zu seinem Beifahrer. „Aber sonst suchen wir uns was Anderes aus. Angst brauchst du auf jeden Fall keine haben, ich bin ja bei dir." Den letzten Teil meinte er eigentlich als Witz.

„Genau, das bist du", nickte der Dudelsackspieler und sprang, zur Überraschung beider, auf das Witzeln an. „Zur Not musst du den Held spielen und mich beschützen." Er grinste auch wieder. Auch, wenn es nur ein kleines Grinsen war und auch wenn es seine Augen nicht ganz erreichte, es war ein Erfolg.

„Mache ich dann auch, keine Sorge. Ich halte jedes Monster und jeden Mörder von dir fern", kicherte der Halbfranzose gut gelaunt. Na die Ablenkung hatte ja überraschend gut funktioniert. Er war über sich selber erstaunt. Nahm es aber dankend an.

„Das hoffe ich! Und zur Not, krabble ich heute Nacht zu dir ins Bett und du beschützt mich vor Albträumen und den Monstern im Schrank." Gerade vor letzterem hatte man doch immer als Kind Angst gehabt. Oder auch davor, dass sich ein Monster unter seinem Bett versteckte. Luzi erinnerte sich daran, dass er nachts – in den seltenen Fällen, in denen er mal aufgestanden war, um etwas zu trinken oder um auf Toilette zu gehen – immer von der Zimmertür zum Bett gerannt war und sich dann hüpfend darauf geschmissen hatte, damit bloß nichts seinen nackten Fuß zu packen bekam. Es waren schon verrückte Zeiten gewesen. Er hatte eben auch schon als Kind eine blühende Fantasie gehabt...