Kapitel 27

2K 43 1
                                    

15:10 parke ich hinter einem großen schwarzen SUV, neben der Einfahrt zum Hause Cameron. Immerhin fast pünktlich. Neben dem SUV steht ein etwa 32 Jahre alter Mann mit schwarzen Haaren und ziemlich vielen Muskeln. Allerdings sieht er sehr freundlich aus, was irgendwie eine beruhigende Wirkung auf mich hat. Die Aufregung in meiner Brust war während der Fahrt hier her unerträglich geworden.
Neben dem Mann stehen bereits Kie und Sarah und unterhalt sich etwas mit ihm.
Als ich aussteige unterbrechen sie jedoch.
„Hallo, du musst Mia sein. Ich bin Mr. Goodwin. Nenn mich aber einfach Henri." stellt der Mann sich mir vor und reicht mir die Hand.
Ich erwidere und begrüße dann aufgeregt Kie und Sarah.
„Wie sieht der Plan aus?" frage ich Henri, da ich keine Ahnung hab was jetzt als nächstes passiert.
„Also wir werden gleich rein gehen. Sarah hat mir gesagt, dass du gerne mit Rafe reden möchtest, das würde ich dir als erstes einräumen, allerdings unter Aufsicht. Ich werde die ganze Zeit vor dem Zimmer warten und sobald du schreist gehe ich dazwischen. Also einfach laut werden, wenn er dir zu nah kommt."
Ich nicke.
„Der Plan ist ihn davon zu überzeugen diese Therapie erst für 2 Monate in LA zu machen und sie dann, wenn es ihm besser geht in Charleston weiter zu führen, wo er am Wochenende auch mal nach hause kann und sich wieder an die Menschen hier gewöhnt. Wenn er dem zustimmt nehme ich ihn heute noch mit." erklärt er uns. Er macht also kurzen Prozess. Find ich gut.
Wir Mädchen stimmen ihm zu und folgen ihm dann die Einfahrt hoch zum Haus.
Ich spüre die Aufregung von Sarah und Kie, die ich jeweils an einer Hand halte als Henri die Klingel betätigt. Rose öffnet uns die Tür und begrüßt uns. Sie wusste von unserem vorhaben, da Henri bereits vor 2 Tagen mit ihr telefoniert hatte. Sie sagte nicht viel sondern führte uns einfach durch den riesigen Flur und die Treppe hoch zu Rafes Zimmer.
Kurz stehen wir alle nur davor. Unsicher was in den nächsten Minuten passieren wird, wenn ich dieses Zimmer betrete. Ich muss zugeben, dass ich angst habe. Ziemlich große sogar. Was ist wenn er auf mich los geht? Wird Henri ihn aufhalten können? Er sieht stark aus aber ist er stärker als Rafe?
Jetzt hätte ich doch gerne JJ bei mir, der mir einen sanften Kuss auf die Stirn gibt und mir sagt, dass alles gut wird...

Doch ich überwinde meine angst nicke Henri und den anderen kurz zu und klopfe vorsichtig an der Tür. Unsicher ob ich wirklich schaffe das hier jetzt durchzuziehen. Aber Rafe ist so kurz davor die Hilfe zu bekommen die er braucht. Ich muss meine Angst vor ihm jetzt einmal kurz überwinden.
„Herein."
Ich öffne langsam die Tür und betrete das Zimmer.
Es ist halbdunkel und Rafe steht angezogen allerdings mit nassen Haaren am anderen Ende des Zimmers. Er war wahrscheinlich gerade duschen.
„Mia...?"
Seine Augen weiten sich, als er erkennt, dass ich wirklich hier in seinem Zimmer stehe. Glücklicherweise sind seine Pupillen, trotz seinem überraschten Blick normal groß. Er war also mal nicht high.
„Was...was machst du hier?" fragt er stotternd.
Diese Situation war für uns beide unangenehm und neu. Sonst war er es immer gewesen der aus dem Nichts aufgetaucht war. Jetzt stand ich unangekündigt vor ihm.
„Ich...wie geht's dir?" frage ich einfach weil ich nicht weiß wie ich dieses Gespräch beginnen soll.
Doch statt zu antworten sehe ich selbst vom anderen Ende des Zimmer wie ihm die Tränen in die Augen schießen. Ich hatte doch garnichts gemacht...?
Er sagt nichts sondern wendet mit dem Rücken zu und setzt sich auf die Bettkanten, bevor er in Tränen aus bricht. Damit war wohl sein Gemütszustand geklärt. Wahrscheinlich hatte ihm die Frage ewig keiner mehr gestellt.
„Mir geht's schrecklich Mia...ich kann nicht mehr."
Ich setze mich neben ihn und lege ihm meine Hand auf die Schulter.
„Ich weiß Rafe. Ich bin hier um dir zu helfen!" sag ich leise. Doch er bricht nur noch mehr in Tränen aus und lässt seinen Kopf auf meinen Schoß fallen.
Ich zucke zusammen. Es war wie immer komisch von einem mir so fremden Mann berührt zu werden, noch dazu von ihm. Wir hatten bis jetzt ja nicht gerade die angenehmsten Begegnungen...
Doch er scheint die Reaktion meine Körpers unter dem zittern seines Körpers nicht zu bemerken.
Ich streichle ich vorsichtig über den Arm und langsam beruhigt er sich wieder.
„Rafe...da draußen ist jemand der dir helfen kann. Er heißt Henri und ist Drogenentzugshelfer und Psychologe. Ich und Sarah hab ihm alles erzählt was dir im letzten Jahr passiert ist und wie dein Vater dich behandelt hat."
Er weint wieder bitterlich, als ich diesen Satz zu ende spreche und ich ziehe ihn an mich. Mir ist zwar bewusst, dass ich gerade einen Mörder mit einer ewigen Strafakte in den Armen halte aber ich weiß eben auch das er diese Dinge nicht aus langweile getan hatte, sondern sein Vater und der unendliche Krampf nach Anerkennung ihn zu dem gemacht hatten. Zu einem gebrochenen jungen Mann...
„Henri kann dir mit all dem helfen. Aber du musst dich darauf einlassen okay?! Du wirst mit ihm für einige zeit nach LA gehen und dich nur auf dich fokussieren. Aber du musst es zulassen..." fahre ich fort während ich ihn festhalte. Er nickt schluchzend...
Er tut mir leid in diesem Moment. Einen Mensch so gebrochen und fertig zu sehen tut mir immer wieder weh. Er wollte nicht so sein und keiner hatte seine Hilferufe gehört. Alle halten ihn nur für ein abscheuliches Monster, er sich wahrscheinlich mittlerweile sogar selbst. Aber irgendwas in mir sagt, dass er so nicht ist...
„Es tut mir leid Mia...es tut mir leid, dass ich dir das angetan hab." kommt es gebrochen und sehr leise aus ihm hervor.
„Ich weiß Rafe. Ich verstehe zwar nicht warum du das getan hast aber ich weiß das es dir leid tut..."
Langsam beruhigt er sich und setzt sich wieder neben mir auf, schaut mich jedoch eindringlich an. Sein Körper ist breit gebaut und trotz das wir sitzen ist er um einiges größer als ich. Aber ich habe nun keine Angst mehr vor ihm.
„Weil du mich an meine Schwester erinnerst..." fängt er an aber ich versteh nicht was er damit meint.
„Als ich dich zum ersten mal im Café deiner Mom gesehen habe, war es als würde Sarah den Raum betreten. Ihr seht euch zwar nicht ähnlich aber wenn ihr einen Raum betreten zieht ihr alle Blicke auf euch. Jeder weiß wer ihr seit und jeder liebt euch egal was ihr tut. Ich meine selbst Rose hat ein paar Tage später von dir erzählt und als Wheezie dann meinte, dass du mit JJ und den Anderen abhängst hat es sich angefühlt als hätte ich meine Schwester zum zweiten mal an die scheiß Pogues verloren."
„Rafe ich bin einer von ihnen. Ich bin ein Pogue. Schon immer gewesen. Was hast du nur gegen uns?"
„Nichts es ist nur...ihr seit immer alle für einander da. Jeder von euch hat seinen Platz und wird geliebt. Mich liebt niemand auf diese Weise..."
Wieder rollen ihm Tränen über die Wangen. Ich nehme seine Hände in meine. Auch ich bin den Tränen nah. Er kommt nur mit den Pogues nicht klar, weil sie genau das haben was ihm so sehr fehlt. Liebe und Anerkennung...
Eine Weile halten wir uns nur an den Händen und beobachten uns gegenseitig. Es ist wie als würden wir in diesen Minuten ein Band zwischen uns aufbauen. Eines, das es mir ermöglicht seinen Schmerz mit ihm zu teilen. Es kostet mich zwar enorm viel Kraft und da ist immer noch der Gedanke an das was er mir und auch den Anderen angetan hat aber ich sehe die Reue in seinem Blick und die Dankbarkeit darüber das ihm endlich jemand zuhört.
„Ich würde jetzt Henri zu dir lassen?" frage ich halb und löse meine Hände aus seinen. Er nickt stumm und ich gehe zur Tür.
„Mia?" hält er mich auf, kurz bevor ich die Tür öffnen kann.
„Ja?"
„Danke..."
Er kommt vorsichtig auf mich zu und ich nicke ihm zu, als okay, dass es für mich in Ordnung geht in zu umarmen. Die Umarmung ist kurz aber fest.
Dann verlasse ich erschöpft das Zimmer und blicke in 4 fragende und erwartungsvolle Gesichter.
Ich nicke Henri nur zu und dann kommen mir auch schon die Tränen in die Augen geschossen. Das war gerade verdammt hart. Ich war die ganze Zeit hin und her gerissen ob ich Rafe nun verachten oder verstehen sollte. Ich entscheide mich für verstehen und falle Sarah und Kie weinend in die Arme.
Sie fangen mich auf und Henri geht zu Rafe ins Zimmer.
Als meine Tränen weniger werden setzen Kie, Sarah und ich uns an das Treppengeländer und Rose verschwindet nach unten.
„Wie war's?" fragt Kie mich vorsichtig.
Ich erzähl was passiert war und warum ich weinen musste. Das Rafe zusammengebrochen war und ich ihm ansehen konnte, dass er nicht so sein wollte wie er geworden war.

„Das erst du kommen musst, um zu erkennen das er Hilfe braucht...ich hätte schon längst was unternehmen müssen." schluchzt Sarah neben mir und lässt ihren Kopf auf meine Schulter fallen. Ich weiß, dass sie sich schuldig fühlt aber das ist sie nicht.
„Nein Sarah. Ihr hattet alle selbst mit dem zu kämpfen was im letzten Jahr passiert ist. Er hat euch so viel leid zu gefügt und ihr wusstet selbst oft nicht was richtig oder falsch, wer gut oder böse ist. Manchmal braucht es jemanden von außen um so etwas zu erkennen. Du hast an dem ganzen keine Schuld."
Ich nehme ihre Hand in meine und streichel sie sanft mit meinem Daumen.

So warten wir drei vor Rafe Zimmer. Es vergeht ein ganze Stunde. Kie, Sarah und ich reden kaum bis sich die Tür öffnet und Henri gefolgt von Rafe aus dem Zimmer kommt. Rafe hat einen großen silbernen Koffer neben sich. Es war also soweit er würde nach LA gehen...
Als Sarah ihn erblickt springt sie auf und fällt ihrem großen Bruder in die Arme. Beide haben Tränen in den Augen. Wie lang es wohl her war, dass die beiden sich ohne Hass in den Augen begegnet waren?
Irgendwie ist es schön sie so zu sehen, auch wenn es ein Abschied ist. Ich hatte es geschafft, dass die beiden sich wenigstens wieder etwas näher standen. Auch Kie umarmt Rafe kurz. Ich muss sie dringend mal fragen was sie mit Rafe verbindet. Denn das sie hier ist und sich sorgen macht, macht für mich noch nicht ganz sinn.
Dann gehen wir runter wo Rafe sich von Wheezie verabschiedet und erstaunlicher weise auch relativ freundlich von Rose obwohl er sie nicht wirklich mag.
Dann gehen wir raus zu dem schwarzen SUV von Henri. Rafe packt wortlos seinen Koffer in den Kofferraum und setzt sich dann auf den Beifahrersitz. Ich klopfe an die Scheibe und er lässt sie runter.
Ich strecke ihm ohne was zu sagen einen kleinen Zettel entgegen, auf den ich im Haus noch kurz meine Nummer gekritzelt hatte.
„Mach's gut." sag ich.
„Pass auf dich auf!" antwortet er und nimmt den Zettel mit einem kleinen Lächeln entgegen.
Nun steigt auch Henri ins Auto, der eben noch mit Sarah gesprochen hatte und die beiden fahren los.
Kie, Sarah und ich schauen dem Wagen noch lange nach, auch als wir ihn nicht mehr sehen.
Für uns alle war das hier nicht einfach. Wir hatten Rafe gerade ans andere Ende Amerikas geschickt. Aber wir wissen auch, dass es ihm helfen wird endlich wieder zu sich selbst zu finden.
Dann steigen wir wortlos in meinen Truck und fahren zu John B..

Outer Banks - welcome home || 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt