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Am nächsten Tag traf ich mich mit meinen Freunden bei Danis Eltern.

Ich hatte den morgendlichen Anruf mit Ashley bereits hinter mich gebracht. Dabei hatte ich mir ordentlich die Lippen aufgekaut. Die Lüge ließ sich nur durch Schmerzen unterdrücken. Immer wieder drängte sie nach oben. Sie klebte wie zäher Belag auf meiner Zunge, den ich auch mit verzweifelten Schrubben nicht wegbekam. Immer wenn ich kurz davor war, meine Zunge zu befreien, rammte ich die Zähne in meine Unterlippe und schwieg ein wenig länger.

Für eine halbe Stunde spielte ich die Rolle der liebevollen Partnerin. Ein Kostüm das nicht mehr passte. Es kniff und drückte an allen Ecken und ich wusste nicht, wie ich es vorher getragen hatte. Als hätte ich es nach der Nacht mit Heaven, komplett falsch herum wieder angezogen. Der Anruf zog sich ewig und ich zitterte am ganzen Körper vor Anspannung, als Ashley sich endlich verabschiedet, weil ihr Uber schon wartete. Bevor sie auflegte, spielte ich ihr Traurigkeit vor, über das zu kurze Gespräch, doch konnte erst wieder frei atmen, als das Knacken in der Leitung mich vom Lügen erlöste.

Ich hasste diese Situation. Hasste, dass ich meine Freundin anlog. Aber hasste noch mehr, dass mir dieser Fehler überhaupt passiert war. Ein Abend der Schwäche, zog einen Rattenschwanz hinter sich her, der mir langsam die Luft abschnürte und die Momente zerstörte, auf die ich mich sonst am meisten freute. Die Gespräche mit Ashley.

Zumindest vor meinen Freunden musste ich nicht lügen.

Wir saßen im Wohnzimmer in Danis Elternhaus. Der Raum tauchte uns in eine Wolke der Nostalgie. Noch immer sperrten dicke Vorhänge das Licht aus und verbargen den Blick auf die Straße vor dem Haus. Gestreifte Tapeten, schon vor 10 Jahren unmodern, zierten die mit Fotos überladenen Wand. Dani, auf einem Dreirad in Latzhosen, ganz stolz am ersten Schultag, stolzer am letzten Schultag, grinste uns unzählige Male von den Bildern entgegen. Dazwischen hingen nur wenige Abbildungen ihrer, um viele Jahre älteren Stiefbrüder.

Die Schrankwand und der Wohnzimmertisch im dunklen Holz. Wertvolles Porzellan in der Vitrine. Auf dem Parkettboden lag die günstige Version eines Perserteppich. Alles war ganz genau wie damals.

Als Mittelpunkt des Zimmer prangte neu und modern eine schickes, graues Sofa. Es verströmte noch diesen seltsam künstlichen Geruch nach Möbelhaus. Ich vermisste die alte durchgesessene Couch mit dem weichen, grünen Stoffbezug. Ohne sie zerbrach die Illusion unserer Jugend. Die zehn Jahre zurücklag, doch hier zum Greifen nah erschien.

Die Beine, verpackt in einer grauen Jeans, auf der Rückenlehne, lag ich auf der Sitzfläche und ließ den Kopf über den Rand nach unten baumeln. Auf meinem Bauch hielt ich eine Tafel Schokolade fest, die Aydin mir bei seiner Ankunft zugeworfen hatte. Ich stand kurz davor, sie, wie ein Eichhörnchen beim Nüsse sammeln, in der Frontasche meines dunklen Sweatshirts zu verstecken, um nicht teilen zu müssen. Ich brauchte heute die gesamte Schokopower. Die Alufolie knisterte, als ich blind Stücke von der Tafel abbrach und in meinen Mund stopfte.

Aydin hatte sich mir gegenüber auf den Fernsehsessel niedergelassen. In seinem Lieblingsoutfit, lockeren Jeans und einem bunten Shirt mit penetrant großem Aufdruck. Die Beine elegant übereinandergeschlagen, beugte er sich vor und musterte mich neugierig. Ich ignorierte seinen Blick und lutschte ganz andächtig mein Schokostück. Ich wusste was er von mir wollte, doch ich hatte keine Lust meinen Fehler noch einmal zu erzählen. Dem ganzen Mist noch mehr Raum zu geben, wenn ich ihn nur vergessen wollte.

Aydin zeigte normalerweise eine ganz andere Sicht auf die Dinge, die um ihn herum passierten. Seine Art sich über Chaos zu freuen und mich über mein Unglück auszufragen, um seinen Drang nach Drama zu stillen, nervte mich besonders, wenn ich innerlich nur einen Schritt entfernt von dem Meer der Verzweiflung stand, das mich gerne verschlingen und ertränken wollte.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt