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Wir saßen und schwiegen. Die Luft im Auto war schwer und stickig, alle ungesagten Worte drängelten sich darin.

Heaven hielt immer noch meine Hand und strich wie nebenbei mit ihrem Daumen über meinen Handrücken. Sie starrte nach vorn durch die Windschutzscheibe, auf der die Regentropfen in glitzernden Bahnen nach unten rannen. Die Stirn gerunzelt, das Gesicht angespannt. Zumindest saß sie nicht vollkommen ruhig neben mir, unberührt von dem was wir beide spürten.

Ein trauriger Mann begann mit schmelzender Stimme ein Liebeslied zu schluchzen. Sofort stellte ich das Radio ab. Genug der Schnulzen. Ich brauchte keinen Soundtrack für diese Abschiedsszene. Mein Herz schmerzte bereits. Es triefte vor zurückgehaltenen Tränen. Traurige Musik würde am Ende noch mehr hervorkitzeln, als ich ertragen konnte.

Die paar Minuten, die ich hatte bleiben wollen, verflogen. Die nächsten flüchteten noch schneller. Es machte keinen Sinn länger zu bleiben. Das unausweichliche, ließ sich nicht ewig aufschieben.

Von einem auf den anderen Moment ließ der Regen nach. Als hätten die Wolken sich endgültig leer geweint. Das ständige Trommel auf dem Autodach ebbte ab und verbannte uns in die Stille. Eine Stille, so voll von allem und nichts, dass ich sie nicht ertragen konnte. Eine Stille, die gebrochen werden wollte.

Das Klacken der Beifahrertür und ein frischer Schwall Luft, der hereinfegte, ließ Heaven zusammenzucken. Sie riss den Kopf herum und bewarf mich mit einem irritierten Blick.

Was versank sie nur so viel in Gedanken? Sie hatte sich über mein Bleiben gefreut und mich trotzdem angeschwiegen. Obwohl es Heaven inzwischen so gut gelang das Eis zwischen uns zu brechen. Wenn sie wollte. Doch dieser Abschied wog vielleicht zu schwer, um dagegen anzureden. Scheinbar weigerte sie sich ihn zu verhindern. Dürfte ich darüber enttäuscht sein? War es nicht besser so? So viel einfacher. Ein sauberer Schnitt. Ich musste ihr dankbar sein und hätte am liebsten vor Enttäuschung losgeweint.

„Leb wohl. Heaven.", murmelte ich.

Sie nickte und sagte nichts. Ihre Augen waren groß und leer.

Ich wartete nicht auf eine Antwort, um nicht wieder eine Möglichkeit zu nutzen, noch länger zu bleiben.

Die kalte Luft draußen ließ mich erschauern. Sie roch frisch und sauber. Als hätte das Wasser jeden Dreck davon gespült. Dasselbe tat ich auch. Ich spülte den Schmutz fort, meine falschen Entscheidungen und meine falschen Wünsche, durch die ich mein Leben in den Matsch gestoßen hatte. Um zu fixen was gut war und hinter mir zu lassen, was schonmal nicht funktioniert hatte. Ich nahm einen tiefen Atemzug, damit die Luft mich auch innerlich reinigen konnte. Mit jedem Ausatmen nahm sie alle dunklen Gedanken mit sich.

Vereinzelt landeten noch winzige Regentropfen auf meinem Haar. Ein letzter Gruß des vergangenen Unwetters.

Ich knallte die Autotür zu. Wie ein erneuter Donnerschlag hallte das Geräusch durch die ruhige Nachbarschaft. Es durchtrennte die letzte Verbindung zwischen Heaven und mir. Ich blickte nicht zurück und wagte einen Schritt auf die durchweichte Wiese. Schlammiges Wasser rann durch meine Zehen. Die Unterseiten meiner FlipFlops verschwanden im Matsch.

Das wars also. Meine Brust schmerzte und meine Hände zitterten. Ich nahm einen weiteren Atemzug, er blieb mir in der Kehle stecken und ich hustete.

Hinter mir sprang der Motor von Heavens Wagen mit tiefen Brummen an. Mein Herz vergaß einen Schlag und tobte plötzlich mit rasender Geschwindigkeit.

Sie würde wegfahren. Sie würde wirklich wegfahren!

Ich fuhr herum. Heaven sah mich nicht an. Das Auto rollte nach vorne und sie drehte bereits das Lenkrad, um auszuparken. Die Räder knirschten auf dem Asphalt.

Meine Hand lag auf dem Türöffner, bevor ich realisierte, was ich tat.

„H-Heaven. Wart Mal.", brüllte ich ins Fahrzeug, während ich die Tür aufriss.

Heaven stampfte den Fuß auf die Bremse und ihr Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen. Sie wandte sich zu mir und schnaubte. Ihre weit aufgerissenen Augen glänzten feucht.

„Spinnst du?! Poppy."

Ja natürlich. Ich war total verrückt. Die einzige Erklärung für das was ich gerade tat.

„Magst du am Donnerstagnachmittag mit mir ins Kino gehen?"

Irgendwie klang ich atemlos. Als wäre ich gerade eben vom Haus hierher zurückgerannt. Dabei hatte ich nur einen einzigen Schritt gemacht.

Heaven seufzte und lehnte sich im Stuhl zurück. Sie trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad.

„Wirklich?", fragte sie.

Ein schwaches Lächeln hing auf ihren Lippen. Wie gut sie mich durchschaute.

Ich wollte nicht über ihre Frage nachdenken. Wenn ich das tat, würde ich den Vorschlag zurückziehen. Dann durfte ich sie nie wiedersehen. Aber diese einzig richtige Lösung schmerzte zu sehr. Deshalb handelte ich gegen mein Gewissen, und degradierte mich selbst zum Arschloch in dieser Geschichte.

„Ja. Also magst du?"

Ihr Lächeln strahlte plötzlich heller. Es drang bis in ihre Augen vor. Der liebevolle Blick verstärkte mein schlechtes Gewissen. Ich hatte ihn überhaupt nicht verdient.

„Gerne. Was läuft denn gerade?"

Ich hatte keine Ahnung. Kino, Essen gehen, Bowlen, oder sonst irgendwas. Die Aktivität war mir vollkommen egal. Um Heaven aufzuhalten, hatte ich den ersten Vorschlag herausgeschrien, der mir in den Kopf kam.

„Ich schau nach was kommt und schreib dir dann. In Ordnung?"

„Ok."

Heaven legte den Kopf schief und grinste. So süß. Das Haar rutschte über ihre Schulter nach vorne und sie strich es wie automatisch nach hinten.

Ich hatte versagt. Mein ganzes schönes Vorhaben ruiniert und ich hasste mich für meine Schwäche. Nur Heavens atemberaubender Anblick bewahrte mich im Moment davor, über mein Versagen nachzudenken.

„Also gut. Dann lass ich dich mal fahren."

„Gut. Bis Donnerstag. Poppy. Ich freu mich."

Ich freute mich auch. So sehr. Und wollte doch heulen.

„Ich auch. Bis dann. Fahr vorsichtig."

In einem Schwall presste ich meinen Abschiedsgruß hervor, dann knallte ich die Autotür zu. Bevor meine Stimme unter dem Druck meiner schlechten Entscheidungen endgültig versagte.

Ich hätte Heaven lieber hierbehalten, damit ich mich mit der Flut an Selbstvorwürfen, die gegen meine schwachen Deiche schwappte, erst gar nicht befassen musste. Wenn sie einfach bei mir blieb, kam ich gar nicht dazu aus dieser Trance, in die mich ihre Anwesenheit versetzte, aufzuwachen.

Doch ich ließ sie fahren und blickte ihr nach mit schwerem Herzen. Sie ließ mich mit allen Zweifel alleine. Wasser spritzte hoch unter den Rädern. Ein paar letzte Regentropfen glitzerten auf der Rückscheibe in goldenem Sonnenlicht. Die Wolkendecke war aufgerissen. Das Unwetter hatte sich wieder verzogen.

Mein Telefon klingelte in meine Schwermütigkeit hinein. Ich fischte es aus der Seite meiner Badetasche. Ein allvertrauter Grinse Smiley lächelte mir vom Bildschirm entgegen.

„Hallo. Mein Sonnenschein. Mein Kerzenlicht bei Stromausfall. Magst du mir gerne den Kopf abreißen? Weil wenn du es nicht tust, dann muss ich es vermutlich selbst tun. Und ich weiß nicht was mehr weh tut.", meldete ich mich trocken.

Dani seufzte laut ins Telefon.

„Was hast du denn angestellt?"

Volltreffer. Ich hatte meiner beste Freundin so einiges zu erklären.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt