20

1.3K 88 17
                                    

Auch die Bewegung half nicht viel gegen die Kälte. Nach ein paar Minuten gab ich auf und verließ das Wasser. Entgegen meinen vorherigen Überlegungen kehrte ich brav zum Lager zurück, das Heaven und ich aufgeschlagen hatten. Ich wollte nicht küssen, ich wollte aber auch nicht einfach so gehen.

Stattdessen wickelte ich mich in das zweite Handtuch, dass ich ebenfalls mitgebracht hatte. Zum Badesee brachte man immer zwei Handtücher mit, das hatte ich schon als Kind gelernt. Eines zum Liegen und eines zum Abtrocknen.

Ich zog die Beine zum Körper hin, bis sogar meine Zehenspitzen im flauschigen Tuch verschwanden. Von Kopf bis Fuß eingewickelt in meine kleine Handtuchhöhle, blickte ich zum See hin.

Heaven schwamm noch. Es war schwer ihren dunklen Schopf im Wasser auszumachen, weil das Glitzern der Sonne auf den Wogen mich blendete.

Den Kopf auf die Knie gelehnt, schloss ich die Augen. Orange Lichtflecken drangen durch meine geschlossenen Lider und Sonnenstrahlen wärmten mein Gesicht.

Die Geräuschkulisse, ein Lied des Sommer. Wasser platschen, fröhliches Rufen, irgendwo spielte ein Radio.

Ein eiskalter Wassertropfen traf meine Nase. Ich schreckte auf und blinzelte verwirrt nach oben.

Heaven stand vor mir. Ihre Haut glänzte feucht in der Sonne und Wasser rann aus ihren Haaren. Eine Wassernixe, gekommen mich zu verführen. Am liebsten hätte ich jeden einzelnen Tropfen von der süßen Haut geküsst. Ich presste die Lippen fest aufeinander.

„Du bist schon fertig mit Schwimmen?"

Heaven nickte nur. Sie schnappte sich ebenfalls ein zweites Handtuch aus ihrer Badetasche und begann sich abzutrocknen. Anstatt sich darin einzuwickeln und die maximale Gemütlichkeit aus der Situation rauszuholen, tupfte sie sich über Brust und Arme. Dabei fing sie meinen Blick. Ihre Augen leuchteten so wundervoll im heute beinah grellen Tageslicht, doch sie verbarg sie hinter halbgeschlossenen Lidern. Schlafzimmerblick.

Sie machte das absichtlich. Da hegte ich nicht den geringsten Zweifel. Vielleicht weil ich sie zuvor so rüde von mir gestoßen hatte. Heaven war so eine Abfuhr sicher nicht gewöhnt. Lesben stürzten sich sonst bestimmt auf sie, wie auf Beanies und Flanellhemden.

Ich blickte sie nicht an. Sollte sie ihre Show doch für alle anderen abziehen. Irgendwo hier auf der Liegewiese fanden sich sicher ein paar Badegäste, die ihre wahre Freude dran haben würden. Wenn ich mich nicht sehr irrte, spannte sogar die Oma, die inzwischen nicht mehr schlief, zu uns rüber.

Weil ich so dringend Ablenkung suchte, fand ich den interessantesten Busch der Welt neben mir. Dicht verzweigtes Gebüsch und kleine, fleischige Blätter. Auf einem saß ein dicker, schwarzer Käfer. Seine Fühler bewegten sich auf und ab, als funkte er gerade an seine Käferfreunde. Der Panzer glänzte wie poliert. Ein gutes, winziges Wesen zum Zeichnen. So harmlos und süß. Viel besser als das größere, gefährliche Wesen, das ich auf keinen Fall zeichnen sollte.

„Gibt's da in dem Busch was interessantes?", fragte Heaven.

„Nur ein Käfer."

Ich wandte das Gesicht zu ihr. Fehler! Ich blickte sofort nach unten.

Heaven kniete bei mir. Sie hatte das Handtuch inzwischen weggelegt, doch noch immer hing ein feuchter Schimmer auf ihrer Haut. Ihr Busen befand sich direkt in meinem Sichtfeld. So weich und voll und wogend. In dem Fall musste ich fast draufstarren. Und sie wollte sicher, dass ich draufstarrte.

Sie lehnte sich nach vorne. Ihre Brust presste gegen meine Schulter.

„Cremst du mir den Rücken ein? Bitte.", hauchte sie.

Das hätte sie mich auch deutlich weniger aufreizend fragen können. Ich schaute wieder auf meinen Käfer und presste die Lippen aufeinander. Insekten hatten sicher nicht so einen Ärger.

„Willst du das ich Sonnenbrand bekomme? Und Hautkrebs? Richtig fies. Poppy."

„Heaven!", schnaubte ich und fuhr zu ihr herum.

Mein Geduldsfaden riss endgültig. Sie wusste doch, dass ich nichts mit ihr anfangen durfte. Warum also der ganze Zirkus?

Heaven lächelte unschuldig. Sie hielt mir eine gelbe Flasche vor die Nase und schüttelte sie hin und her. Auf dem Label grinste eine fröhliche Sonne übertrieben glücklich.

„Ich will wirklich nur, dass du mir den Rücken eincremst. Poppy. Ich bin so hell und krieg leicht Sonnenbrand. Zwingst du mich wirklich die Oma zu fragen? Die starrt mir schon die ganze Zeit auf den Busen. Das wäre also fast Missbrauch."

„Missbrauch. Ja?"

Ich zog eine Augenbraue hoch. In dem Fall missbrauchte ich sie vermutlich auch.

Wieder lehnte sich Heaven ein Stück vor. Ihre Finger strichen hauchzart über meinen Nacken. Ich unterdrückte ein Schaudern.

„Ja. Guck doch. Du musst mich beschützen.", wisperte sie.

Als ich an Heaven vorbeilugte, traf ich direkt auf den stechenden Blick aus runzligem Gesicht. Die Mundwinkel weit nach unten gezogen, wandte sich die alte Frau angewidert ab.

„Die schaut doch nur so, weil wir verdächtig gay sind."

„Ach. Tatsächlich."

Heaven schlug im falschen Entsetzen die Hände vor den Mund.

„Und ich dachte ich hätte hier wenigstens eine Person, die auf mich steht."

So eine Retourkutsche. Das kam vollkommen unerwartet.

„Ja. Kann halt nicht die ganze Welt auf einen stehen. Nicht wahr."

Ich zuckte mit den Schultern und riss ihr die Sonnencreme aus der Hand.

Für einen kurzen Moment starrte mich Heaven verblüfft an. Dann schmunzelte sie.

„Manchmal..."

Sie legte die Hand auf mein Bein.

„...sind die Grenzen, wo Gefühle beginnen oder aufhören, auch nicht so klar wie man es möchte."

Heaven drückte für einen klitzekleinen Moment ihre Lippen auf mein Knie. Die Geste reichte aus, dass mir alle kluge Antworten auf ihren Satz im Kopf verpufften.

„Deshalb bleib vorsichtig. Poppy. Du weißt selbst eindeutig nicht genau, wie es in dir aussieht."

Dann sprang sie auf und grinste.

„Und jetzt sein ein Engel und crem mir den Rücken ein. Ich mach das nachher gern auch für dich. Wir wollen sicher beide nicht rot wie Tomaten nach Hause gehen."

Es schockierte mich, dass Heaven meine Zweifel bemerkt hatte. Natürlich gelang es mir nicht ansatzweise so gut wie der intriganten Kuh eine gefühllose Maske zu tragen. Aber hatte ich wirklich so sehr versagt? Sie besaß die Notenblätter um mich wie ein Musikinstrument zu spielen. Und ich hatte sie ihr sicher nicht freiwillig gegeben. Ganz im Gegensatz von vor zehn Jahren, hatte ich sie mir diesmal nur aus meinen steifen, toten Fingern reißen lassen wollen, aber dann hatte ich sie, scheinbar aus Versehen, direkt vor ihre Füße fallen lassen.

Ich seufzte laut und würgte die Sonnencremeflasche in meinen Händen. Wie hatte ich diese Situation nur zulassen können?

Heaven kümmerten meine Selbstzweifel nicht. Sie lag bereits auf ihrem Handtuch, den Kopf von mir angewandt. Bereit für Sonnencreme und meine Hände.

Mein Blick glitt über ihren Rücken. Die sanfte Kurve ihrer Wirbelsäule, die Schulterblätter, die sich scharf unter der glatten Haut abzeichneten. Perfekte Muskeln an ihren Schultern und Oberarmen.

Wenigstens hier bestand kein Zweifel. Ich wollte sie berühren.

Vielleicht würde ich nur ganz kurz Nutzen und Wollen verbinden. Niemand konnte mir vorwerfen, dass ich jemanden der leicht zu Sonnenbrand neigten den Rücken eincremte.

Wir befanden uns im Freien. Überwacht von hunderten Augenpaaren.

Hier würde nichts geschehen, was den Haufen Scham auf meinen Schultern noch schwerer wiegen lassen würde.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt