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31. Oktober. Halloween

„Wisst ihr. Heaven hat inzwischen sicher eine Freundin.", sagte ich, während wir durch die breiten Straßen einer schicken Wohnanlage spazierten. Dani lief direkt neben mir. Aydin hing an Ronalds Arm und schlenderte voraus. Die Beiden kannten den Weg von unserem Hotel zu Caseys Haus und waren wohl schonmal dort gewesen. Die Information hatte ich mit einem Zwinkern erhalten und ich wusste nicht genau, was ich damit machen sollte.

„Ich sollte die Party besser auslassen und zurück ins Hotel."

Kaum hatte ich ausgesprochen, packte Dani meine Hand und zischte:

„Letzter Versuch. Du feiges Huhn. Ich glaub, ich hab jetzt alle Ausreden der Welt gehört. Du kommst mit auf die verfluchte Party."

„Mich auf eine Party zu zwingen hat ja das letzte Mal auch schon so super funktioniert.", knurrte ich zurück.

Aydin wandte sich mit einer eleganten Drehung zu uns. Sein Sakko glitzerte Lila im Licht der Straßenlaterne.

„Ja hat es. Oder? Bei allem was ich gehört hab, hattest du einen sehr befriedigenden Abend."

Einen Abend, der alles Mögliche ruiniert hatte, meinte er wohl. Ich könnte jetzt gemütlich mit Ashley auf der Couch liegen und Halloween Süßkram in mich reinstopfen, wenn ich das Jahrgangsstufentreffen gemieden hätte. Alles wäre so viel einfacher.

Stattdessen hatte ich mich in ein Piraten Kostüm, aus engen, gestreiften Hosen, hohen Lederstiefeln und weiten, weißem Hemd gezwängt und schwang meinen Plastiksäbel, während ich dem unausweichlichem entgegenschritt. Einer Abfuhr. Der Hut, der mein Outfit abrundete, bot mit seiner breiten Krempe die Möglichkeit, sich vor Heavens enttäuschten Blicken zu verstecken.

„Heaven hat übrigens keine Freundin. Ich hab Sophie gefragt. Gibt also kein Hindernis sich das Teil zu krallen."

Aydin grinste und tippe an seinen Zylinder, bevor er sich wieder umdrehte und den Arm um seinen Ehemann legte. Ronald hing schon seitdem wir losmarschiert waren am Telefon und redete mit seiner Mutter, die für das Wochenende auf die Zwillinge aufpasste. Er hatte sich passend zu seinem Namen in ein gruseliges Clown Kostüm geworfen. Mit verfilzter, roter Lockenperücke und falschen Blutspritzern auf dem wild gemusterten Anzug.

„Komm schon. Wir werden Spaß haben. Selbst wenn es mit Heaven nichts wird. Caseys Partys waren doch immer superlustig."

Dani stupste aufmunternd ihre Hüfte gegen meine und richtete dann den Haarreif mit dem zwei wuscheligen Katzenohren auf ihrem Kopf gerade. Ein schwarzes Kleid und geschminkte Schnurrhaare, rundeten das einfache Kostüm ab

„Ja. Lustig."

Ich hatte meine Motivation in Seattle liegen gelassen. Aber meine Unsicherheit hatte ich mitgebracht. In den letzten Stunden hatte ich mich mit dem Gedanken angefreundet, für den Rest meines Lebens Single zu bleiben. Das klang weniger stressig. Weniger gefährlich für mein geschundenes Herz.



Nach einer Viertelstunde Fußmarsch und weiteren fünf Minuten sitzen auf einer Parkbank, in denen Dani lautstark bereute die extrahohen Stöckelschuhe angezogen zu haben, tauchte Caseys Villa, umgeben von hohen Metallzäunen, am Ende einer kleinen Straßen auf.

Um das alte Gebäude herum wuchsen mächtige Tannen in den Himmel. Eine geschwungene Einfahrt führte einen flachen Hügel hinauf zur Haustür. Grünes und lila Scheinwerferlicht strahlte die Holzfassade des alten Hauses an. Das Dach der Veranda hielten dünne Holzsäulen und an den Fenstern klapperten Holzläden im Wind. Das schwarze Spitzdach, die kleinen Türmchen an der Seite und der verwilderten Garten, wirkten so, als wären sie extra für Halloween umgestaltet worden. Das traute ich Casey sogar zu.

Anstatt dem Heulen von Gespenstern begrüßte uns laute Musik, Stimmengewirr und das mechanisches Gelächter eines Skelettes, das in der Einfahrt stand und immer wieder dieselben Tanzbewegungen ausführte.

Im Garten dorrten Rosenbüsche vor sich hin. Das mieseste Omen das ich mir wünschen konnte. Damals hatte ich bei der letzten Aussprache, meine Beziehung mit Heaven, mit den Rosenbüschen im Vorgarten meines Elternhauses verglichen. Und die verdorrten Rosen waren der Endstatus, der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab. Jetzt von Rosenbüschen begrüßt zu werden, die bereits das zeitliche gesegnet hatten, tötete meinen letzten Rest Hoffnung.

Meine letzte Chance umzudrehen. Vielleicht wäre Dani inzwischen glücklich über die Planänderung, immerhin watschelte sie dahin, wie eine Ente. Und das alles für Jeremy, der im letzten Moment abgesagt hatte. Dieser miese Verräter.

Also wandte ich mich zu ihr um meinen besseren Vorschlag, nämlich Fast Food, Snacks und Gruselfilme zu unterbreiten. Ein zorniges Funkeln in ihren Augen, ohrfeigte mir die Idee direkt aus dem Kopf.

„Wag es nicht auch nur dran zu denken, dass wir hier weggehen, bevor du mit Heaven gesprochen hast. Lieber lass ich mir am Ende des Abends die Füße amputieren."

Klare Worte. Ich seufzte geschlagen. Dann litten wir zumindest beide.

„Vielleicht leiht dir irgendwer Turnschuhe."

„Lass das mal nicht deine Sorgen sein. Du hast eine klare Aufgabe heute. Für meine Füße sorg ich selbst."

Dani stützte sich schwer auf mich, während wir die Einfahrt hochliefen. Aydin und Ronald warteten bereits vor dem Eingang, zwischen Gruppen von Partybesuchern, die lachten, wild durcheinanderredeten und rauchten. Dicke Rauchwolken waberten über den Gästen, in der überraschend warme Herbstluft. Manche hielten schwarze Plastikbecher, andere verspeisten genüsslich Cupcakes mit oranger oder giftgrüner Buttercreme. Zumindest musste ich heute nicht ohne Zuckerschock nach Hause gehen. Heaven stand zu meiner Erleichterung in keiner der Grüppchen. Vielleicht war sie doch nicht hier.

Wie vor ein paar Monaten auf dem Jahrgangsstufentreffen, ließ ich meinen Blick immer wieder über die Menge schweifen. Nervosität grummelte in meinem Bauch. Diesmal wusste ich genau wonach ich suchte. Und hoffte so sehr Heaven zu finden. Doch hoffte auch, sie nicht zu finden. Sie nie mehr zu finden, um am Ende des Abends sagen zu können, ich hatte mein Bestes gegeben und das Schicksal hatte für mich entschieden. Die sicherste Vorstellung. Und gleichzeitig ein Gedanke, der mich in einer Welle der Enttäuschung ertränkte. Diese innere Zerrissenheit trug ich seit Wochen mit mir herum und sie würde mich erst in Frieden lassen, wenn Halloween überstanden war. Ganz egal, welches Ende die Party nehmen würde.

„Na dann auf gehts. Die Jagd beginnt.", witzelte Aydin und hüpfte die Treppen zur Veranda hoch. Ich schätzte seinen Humor heute überhaupt nicht.

Ronald legte mir die Hand auf die Schulter.

„Viel Erfolg. Das wird schon."

Sein Lächeln zauberte Krähenfüße um seine Augen, die ihm wunderbar standen. Ich teilte seinen Optimismus nicht, aber erwiderte sein Lächeln trotzdem. Im Gegensatz zu Aydin wollte Ronald mir ehrlich Mut machen.

„Danke. Mal sehen."

Dani drängelte von hinten gegen mich.

„Was ist? Gehen wir jetzt rein, oder versuchst du schon wieder dich zu drücken? Mein stolzer Räuber der sieben Meere."

„Arrrr.", knurrte ich und schwang meinen Säbel.

„Nach dir stolze Maid. Ich brauche eure Tarnung, falls drinnen ein Feind auf mich wartet."

Dani verdrehte die Augen und wisperte.

„Heaven wird dich schon nicht auffressen."

Von Heaven aufgefressen zu werden, war sicher nicht das schlimmste das mir passieren konnte. Immerhin besaß sie die Macht mein Herz mit bloßen Fingern zu zerdrücken.

Wir schoben uns auf den Eingang zu, durch den ein stetiger Strom an Menschen nach drinnen und draußen drängelte. Jetzt brauchte ich meine ganze Aufmerksamkeit, um Heaven in der Menge zu finden, bevor sie mich entdecken und überraschen konnte. Oder sich vor mir verstecken konnte. Je nachdem wie wenig sie mich wiedersehen wollte.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt