57

1.2K 77 38
                                    

Das Innere des Hauses bestand aus vielen, spärlich eingerichteten Räumen, die durch breite Durchgänge miteinander verbunden waren. Als hätte jemand extra für die Party alle Zimmer leergeräumt. Bei Caseys unermüdlichen Einsatz, neue und kreative Wege zu finden, unvergessliche Feiern auszurichten, konnte ich mir diese Hingabe sogar vorstellen. Und der Decorator der Party hatte sich wohl vorgenommen, das beste Geisterhaus der Welt zu gestalten. Durchscheinende Stoffe in grün und weiß hingen von der Decke. Sie knisterten leise, wenn ich sie zur Seite strich. Der Holzboden knarzte so laut, als hätte jemand absichtlich besonders poröse Holzbohlen verlegt. In jedem Winkel standen Gerippe und Kürbisse mit glühenden Augen. Verdächtig rote Spritzer verunstalteten die Wände. Dazwischen hatte jemand wahllos Spinnennetze gestreut, in denen fette Plastikspinnen ihr Dasein fristeten. Die Dekoration erschwerte meine Mission Heaven zu finden. Sie konnte hinter jedem Tuch oder Netz auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Wir fanden die Bar nur zufällig beim Herumstreifen. In einem geöffneten Sarg reihten sich schwarze Plastikbecher auf, in denen eine giftgrüne Flüssigkeit schwappte. Gummiwürmer räkelten sich darauf, wie ihre echten Verwandten in frischer Erde. Ein Mann mit roter Monstermaske drückte jedem von uns einen Becher in die Hand und knurrte: „Feinstes Gift. Tötet langsam und grausam. Für meine liebsten Feinde."

„Also Leute. Wir sehen uns in der Hölle.", rief Aydin. Seine Backen glühten rot. Er liebte so ein Zeug.

Wir stießen an und ein wenig des Gebräus tropfte auf meine Hand. Klebrig und eiskalt lief es über meine Haut. Nach dem ersten Schluck zog es mir alle Geschmacksnerven zusammen. Sie wanden sich und flehten um Erbarmen unter der Säure, die meine Zunge zu verbrennen schien. Dann watschte mich eine gewaltige Zuckerwolke aus all dem Leid und ein Hauch Alkohol verlieh dem ganzen Perfektion. Ich nahm rasch einen zweiten Schluck und ein Stück Gummiwurm schmolz auf meiner Zunge dahin.

Im selben Raum erfüllte mich ein Buffet mit größter Freude. Während ich meinen Blick über dunkle Tischdecken, Chips, Süßigkeiten und schwarze Cupcakes mit neonfarbener Buttercreme streifen ließ, verlor ich für eine winzige Sekunde den Gedanken an Heaven. Nur um mich gleich darauf, bewaffnet mit Getränk, Cupcakes und einem Beutel mit Süßigkeiten, der an meinen Gürtel baumelte, wieder an meine Aufgabe zu machen.

Auf dem Weg durchs Haus verloren wir Ronald und Aydin. Vermutlich waren sie an einem der Grabsteine in einem Zimmer mit Billardtisch hängen geblieben.

Wir drängelten durch die Menge und legten eine Pause zum Tanzen ein, weil sie Danis Lieblingslied spielten. Obwohl meine beste Freundin sowieso nur hoch motiviert mit den Knien auf und ab wippte. Was anderes ließen die Folterinstrumente an ihren Füßen nicht zu.

Dann durchquerten wir einen weiteren Durchgang und fanden den größten Raum des Hauses. Eine riesige Geisterpuppe spannte sich quer über die Decke. Darunter erlebte eine Menschenmenge die beste Party ihres Lebens. Und am Rand der Tanzfläche stand Heaven. Sie unterhielt sich angeregt mit ihrer Freundin Sophie und hatte mich noch nicht entdeckt. Das ganze Zimmer lag zwischen uns.

Mit langem, schwarzen Kleid, weitem Umhang und einem spitzen Hut auf dem Kopf, mimte sie eine Hexe. Neben ihr an der Wand lehnte ein Besen. Seine langen Borsten aus Stroh standen nach allen Seiten ab. Mein Herz stockte bei Heavens Anblick. Sie war unerwartet aus dem Nichts aufgetaucht. Wie ein unverhofftes Geschenk, oder der Bösewicht in einem Horrorfilm.

Ihr Haar glänzte wie blankpoliert und fiel ungewohnt glatt über ihre Schultern. Dunkle Schminke und Glitter schmückten ihre Augen. Ihre Wimpern ragten als lange Spitzen darüber. Auf den Lippen trug sie grünen Lippenstift. Gruselig, wie eine böse Magierin und wunderschön.

Ich stockte in meinem Schritt und Dani rempelte gegen mich.

„Was ist los?", fragte Dani. Mir fehlten die Worte, weil ich noch gegen den Drang ankämpfte wegzulaufen.

„Poppy?"

„Da ist sie. Sie ist da. Oh mein Gott.", keuchte ich.

Ich flüchtete zurück in den Raum, aus dem wir gekommen waren und presste mich dort mit dem Rücken gegen die Wand. Dani stakste mir hinterher. Mit einem Stirnrunzeln auf dem Gesicht, packte sie meine Hand. Vermutlich um zu verhindern, dass ich schreiend aus dem Haus lief.

„Ja. Sie ist da. Das ist doch super. Dann geh zu ihr hin. Rede mit ihr."

Ich schüttelte den Kopf. Meine Finger zitterten und ich schloss sie zur Faust.

„Ich brauch noch ein bisschen. Geh nur tanzen solang."

Dani erkannte meine Ausrede sofort und seufzte.

„Du wirst mich nicht los. Notfalls zerr ich dich zu ihr rüber."

„Nein. Ich mach schon. Ich kann nur nicht jetzt gleich."

Ein Kellner im Werwolf Kostüm, mit einem Tablett voller Gift, drängelte an uns vorbei. Wie automatisch griff ich mir einen neuen, vollen Becher.

„Oh. Vergiss es. Du betrinkst dich jetzt nicht. Der eine Becher hat zum Mut antrinken gereicht.", rügte Dani.

Vollkommen herzlos, nahm sie mir den Becher ab und nippte selbst daran.

Leider hatte sie Recht, es machte also keinen Sinn zu protestieren. Ein wichtiges Gespräch lag vor mir. Das musste ich nüchtern durchstehen. Mein besoffener Charme würde mir heute vermutlich nicht weiterhelfen. Wenn ich nüchtern scheiterte, konnte ich das später immer noch versuchen.

Mit einem tiefen Atemzug amtete ich eine Portion Mut ein. Dann trat ich zurück ins große Zimmer, um Heaven gegenüberzutreten. Diesmal sah sie mich gleich beim Hereinkommen. Ihre Augen weitete sich nur für eine Sekunde, dann zog sie ihre Stirn in Falten. Kein großer Überraschungsmoment. Sicherlich hatte Aydin Sophie verraten, dass wir kommen würden, und die hatte es weiter getratscht. Trotzdem war Heaven hier. Vielleicht ein gutes Zeichen.

Ich fing ihren Blick, in ihren Augen funkelte Ärger und sie wandte sich von mir ab. Mein Herz hämmerte schneller. Ich wischte die schweißigen Finger an meiner Hose ab.

Heaven sagte etwas zu Sophie, diese drehte sich zu mir und grinste mich an. Dann zwinkerte sie mir zu. Zumindest eine der Beiden schien mich nicht zu hassen.

Jetzt, wo Heaven mich bereits entdeckt hatte, machte es keinen Sinn mehr das unausweichliche Gespräch weiter hinauszuzögern. Ich war sowieso nervös, schwitzte vor Angst und erlebte Heiß- und Kaltschauer, wie in den Wechseljahren. Das würde sich auch mit mehr Zeit schinden nicht ändern. Eher würde sich die klitzekleine Übelkeit, die in meinen Eingeweiden zwickte, zu einer handfesten Magenverstimmung auswachsen und die Konfrontation noch schwerer machen.

Der Raum kam mir viel größer vor, während ich ihn durchquerte. Aber gleichzeitig nicht groß genug, denn ich kam viel zu schnell bei Heaven an. Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich räusperte mich laut, doch Heaven ignorierte mich krampfhaft und starrte mit angespanntem Gesicht von mir weg.

„Hey. Poppy. Wie geht's dir?", begrüßte mich Sophie stattdessen freundlich. Obwohl ich sie vorher schon gesehen hatte, nahm ich jetzt erst richtig Notiz von ihr. Eine Schande, denn sie stellte in ihrem dunkelgrünen Elfenkostüm die perfekte Eleganz dar.

„Oh. Hallo. Sophie. Ja, geht so."

„So ein Zufall aber auch dich hier zu sehen."

Ihr Tonfall verriet der ganzen Welt, dass mein Erscheinen hier das Gegenteil von einem Zufall war.

„Casey hat mich eingeladen. Meine Freunde sind auch hier."

Ich blickte mich um, weder Dani noch Aydin standen an meiner Seite.

„Irgendwo hier."

Heaven schnaubte. Das bisschen Small-Talk ging ihr wohl gehörig auf die Nerven.

„Verschwinde! Du fiese Zicke. Ich will nicht mit dir reden. Verstanden!", zischte sie. Dann schnappte sie sich ihren Besen, drängelte an Sophie vorbei und stampfte aus dem Zimmer.

Wie vielversprechend.

Mir fuhr ein Stich in die Magengrube. Das hatte keinen Sinn. Alles keinen Sinn. Sie hasste mich und ich hatte es mehr als verdient. Das Zimmer schien zu wackeln, ich presste die Hand gegen die Wand.

Das ging schon. Ich brauchte nur einen kurzen Moment, um wieder atmen zu können.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt