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Wir verließen den Rummel und ernteten dabei eine Flut an verwirrten Blicke. Vermutlich weil direkt neben mir ein pinkes Monster lief, das intensiv nach Erdbeere roch. Heaven warf mit tödlichen Blicken um sich und ich musste schon wieder kichern.

„Lach du nur. Ich räch mich später.", knurrte Heaven.

Ein später, dass es nicht geben durfte.

„Ach ja. Krieg ich auch noch nen Milchshake drauf."

Sie schnaufte frustriert und ich wisperte dicht an ihrem Ohr:

„Aber dann bitte Schokogeschmack."

„Ich kann nur Erdbeere anbieten.", murrte Heaven.

Bevor ich das Gesicht wegdrehen konnte, lehnte sie sich zu mir und strich ihre Lippen über meine. Vermutlich hatten wir diese Grenze endgültig überschritten. Ein letzter Moralapostel schrie noch seinen Vortrag durch meinen Kopf. Und irgendwie hörte sich seine Predigt nur an wie: Ashley, Ashley, Ashley, bis es wie ein Wort ohne Bedeutung klang. Etwas das weit außerhalb meiner jetzigen Welt existierte, in der ich Heaven neckte und küsste. Und dennoch grollte ein stetiger Donner im Hintergrund. Und auch dieser knurrte den Namen meiner Freundin.

Ich hatte die Grenze überschritten, bei der ich über mein Fehlverhalten nachdenken wollte. Wenn sich alles was gerade geschah, so gut anfühlte. Noch rollte das Unwetter nicht heran.

Es kostete mich beinah übermenschliche Kräfte Heaven nicht näher zu ziehen und den kurzen Kuss zu verlängern. Ich beherrschte mich nur deshalb, weil mich die bösen Blicke der Familie noch verfolgten. Hier, auf dem Kiesweg, der vom Rummel wegführte, begegneten uns jede Menge Eltern mit kleinen Kindern im Schlepptau. Ein paar davon würden sich sicher an uns stören.

Eine gute Ausrede, um nicht immer weiter zu küssen, wenn die Gedanken an Ashley mich nicht mehr davon abhielten. Denn meinen Moral hatte ich noch nicht verloren. Ich hörte sie nur nicht mehr richtig.

„Ich muss das ganz schnell abwaschen. Ich fühl mich schon wie im Delirium durch diesen Erdbeerwolke um mich herum. Sag mir Bescheid, wenn ich anfang wirres Zeug zu reden."

Mit angewidertem Gesicht, wischte sich Heaven einen dicken Klecks des Milchshakes vom Ärmel.

„Und alles pappt. Wir müssen ganz schnell zu mir ins Hotel. Ich brauch ne heiße Dusche.", seufzte sie dann.

Kaum hatte sie ausgesprochen, blieb ich stehen. Ich hatte noch nicht über den weiteren Ablauf des Abends nachgedacht. Wir verließen gerade den Jahrmarkt. Und natürlich wollte Heaven so dreckig nicht länger mit mir durch die Gegend spazieren.

Meine Finger krampften sich enger um Heavens Hand. Der gefürchtete Abschied raste unweigerlich auf mich zu.

„Was ist los? Kannst du meine Finger ganz lassen, die brauch ich noch."

Sofort lockerte ich meinen Griff.

Heaven hob die Finger nah an mein Gesicht, doch ließ sie sinken, bevor sie mich berührte. Dann kicherte sie:

„Sorry. Ich hab Milchshakefinger. Am Ende kleb ich noch an dir fest."

Gott. Ich wollte ihre Finger sauber lecken.

„Ja klar. Du musst das abwaschen.", murmelte ich.

Sie würde sicher nicht auf einen Vorschlag eingehen, sich hier in der Öffentlichkeit mit dem Inhalt von ein paar Wasserflaschen und haufenweise Tempos sauber zu putzen. Mit der Idee beschwor ich nur unangenehme Fragen herauf.

„Ja. Und schnell. Das ist eklig. Also komm."

Heaven zerrte an mir und ich ließ mich widerwillig mitschleifen.

Wie lang hatten wir nochmal vom Hotel hierher gebraucht? Ungefähr zehn Minuten. Zehn Minuten. Das war noch kürzer als die Autofahrt vom Badesee zu mir nach Hause.

Ich verspannte die Hand erneut und Heaven wackelte mit den Fingern, bis ich wieder lockerließ.

„Ist alles gut? Poppy."

Sie stieß mit der Schulter gegen meine. Ich starrte stur nach vorn zur Hauptstraße, auf der ein einziges Fahrzeug entlang tuckerte. Dahinter stand der blassblaue Sommerhimmel, auf dem sich die Sonne nur langsam Richtung Horizont bewegte.

Unsere Schritte knirschten auf den Kies. Der Jahrmarkt schrie unser Abschiedslied. Wir entfernten uns immer weiter. Immer weiter fort, von diesen letzten Erinnerungen.

„Poppy!"

Heaven drückte einen klebrigen Finger gegen meine Wange.

„Hmm."

Nur zögernd wandte ich den Kopf zu ihr. Sie sah mich genauso an, wie im Auto, als ich mich weigerte sie anzublicken.

„Engel. Sprich mit mir. Was ist los? Warum bist du so nervös?"

Wie sehr sie mich durchschaute. Brauchte sie meine Erklärung überhaupt noch?

„Es ist alles gut. Ich hab nur nochmal auf den Jahrmarkt gelauscht. Du weißt die typischen Geräusche. Das hab ich als Kind immer gemacht, weil ich traurig war zu gehen."

Nur eine halbe Lüge. Heaven glaubte mir nicht. Es stand so deutlich in ihrem Gesicht, als zeigte sie mir ihre Gefühle absichtlich.

Vermutlich wollte sie es mir leicht machen, denn sie bohrte nicht weiter und lächelte nur. Ein trauriges Lächeln, das direkt in mein Herz stach.

„Meine Eltern haben uns ganz zum Schluss immer eine Süßigkeit gekauft. Jeder durfte sich was aussuchen und als wir gegangen sind, waren so beschäftigt damit, dass wir gar nicht mehr richtig an den Jahrmarkt gedacht haben. So ein Trickserei. Oder?"

Es wunderte mich das Heaven und ihre Geschwister nicht nur geweihtes Brot und Wein zu essen bekommen hatten.

„Na diesmal hast du ja auch Milchshake mit nach Hause gekriegt."

Heaven schnaubte und boxte mich in die Seite. Ich wich einen Schritt von ihr zurück und lachte.

„Du bist heute zu fies zu mir. Wirklich. Diese Milchshake Debakel macht dir ganz schön Spaß. Oder?"

Sie riss ihre Hand aus meiner und hielt sie hinter ihren Rücken, damit ich sie nicht wieder einfangen konnte. Von wegen Spaß. Dieses Missgeschick hatte unser Date frühzeitig beendet. Unwetter und Unfälle. Alles versuchte Heaven möglichst schnell von mir fortzuschaffen.

Ich drückte Heaven einen Kuss auf die zarte Wange. Der penetrante Geruch des Milchshakes störte mich. Er überdeckte Heavens natürlichen Duft.

„Tut mir leid. Ja ich bin grad zu fies. Weil..."

Bevor ich zu viel verraten konnte, brach ich ab. Weil ich es zu sehr liebte, wenn sie lachte und ich es im Moment nicht aushalten konnte. Weil ich eigentlich zärtlich zu ihr sein wollte. Weil ich sie küssen, streicheln und mit ihr schlafen wollte. Weil ich auf keinen Fall von ihr Abschied nehmen wollte.

Heaven legte die Hand unter mein Kinn.

„Egal warum. Sei jetzt nett zu mir. Oder ich lass dich gleich hier stehen."

Ohne Zweifel meinte sie ihre Drohung ernst. Ihre Augen funkelten herausfordernd im schönsten Grün.

„Ich bin ganz brav.", murmelte ich.

Ich küsste ihre Wange noch einmal. Es tat gut, selbst wenn sie künstlicher Erdbeere schmeckte.

Dann angelte ich nach ihrer Hand und Heaven reichte sie mir brav.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt