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Wir standen eine halbe Ewigkeit in der Warteschlange. Das Unwetter brach noch auf dem Parkplatz über uns herein.

Heaven nahm ihre Hand erst von meiner, als wir auf die Allee einbogen und wir etwas schneller als im Schritttempo vorankamen. Ich spielte nicht mehr am Radio. Eine Schnulze nach der anderen begleitete die Fahrt durch das Gewitter. Die Musik verschwand irgendwann im Geräusch des Regens, der auf das Dach trommelte.

Schwarze Wolkenberge wälzten über den Himmel und schluckten das Tageslicht. Ein Blitz zuckte zum Boden. In grellen, sich immer weiter gabelnden Linien, raste er durchs Schwarz. Er beleuchtete die im Wind peitschenden Äste der Alleebäume, die Felder, die in Wassermassen ertranken und umher wirbelnde Blätter und Gräser. Dann verschwand alles hinter einer finsteren Wand und Donner grollte.

„Hast du Angst?", fragte Heaven. Sie erinnerte sich wohl an unser Gespräch in Betty's Diner.

„Ich bin kein Kind mehr."

Ich sah sie nicht an. Das faszinierende Schauspiel, das der Himmel für uns zauberte, fesselte meine Aufmerksamkeit. Zumindest wollte ich ihr das vormachen.

Eine gute, glaubhafte Ausrede, um Heaven nicht anzusehen. Wenn ich sie anblickte, erlag ich der Versuchung, alles an ihr in Erinnerung behalten zu wollen. Die Zeit rann mir davon, um mein Gedächtnis mit ihren vielen, kleinen Besonderheiten zu füttern. Vielleicht würden weitere 10 Jahre ins Land gehen, bevor wir uns wiedersehen konnten. Vielleicht würden wir uns nie wiedersehen. Doch ich hatte die Erinnerungen, an ihr süßes Babyhaar, dass sich an ihren Schläfen in kleine Löckchen ringelte, an ihr strahlendes Lächeln und wundervolles Lachen, an den leuchtenden Blick aus ihren, schönen Augen, das Grün durchbrochen durch den winzigen, braunen Fleck in ihrem rechten Auge, den ich bereits als Teenager entdeckt und als mein eigenes, kleines Geheimnis abgespeichert hatte. Alles an ihr war zu viel für mich, zu faszinierend für mich, zu betörend für mich, seitdem ein Lolli von meinem Mund in ihren Mund gewandert war.

Damit ich mir ihr ganzes Wesen genau einprägen konnte, musste ich Heaven anstarren und wenn ich sie anstarrte, bemerkte sie was ich tat und lächelte mich fragend an. Wenn ich dann nicht wegschaute, würde sie sicher Fragen zu meinem Verhalten stellen. Doch mir fehlten die Antworten, für alles was ich tat. Also schaute ich die Landschaft an.

„Hast du trotzdem Angst?"

Ich legte meine Hand auf die Fensterscheibe, der Regen platschte dagegen und floss nach unten, im endlosen Strom.

„Überhaupt nicht. Das war mal. Ich mag die Blitze. Aber spazieren gehen wollt ich jetzt nicht gerade."

„Ok."

Schweigen. Die ersten Häuser von New Brighton tauchten vor uns auf. Graue Vierecke in Nebelschwaden.

„Poppy."

„Hmm?"

Die Scheibenwischer fegten hin und her, das Wasser rauschte auf der Windschutzscheibe.

„Poppy?"

„Was ist denn?"

Ich sah Heaven an, diese blinzelte und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße zu.

„Schau nicht ständig weg von mir."

Heaven hatte zu feine Antennen. Sie merkte genau, wenn ich versuchte sie zu ignorieren.

„Tut mir leid."

Ein paar wilde Haarsträhnen hingen in ihr Gesicht, ich hätte sie gern zur Seite gestrichen. Als liebevolle Geste. Eine Geste, die für Menschen bestimmt war, die sich liebten, auf welche Art und Weise auch immer.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt