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„Halt mal an. Mausezahn.", sagte Dani, bevor wir auf die Landstraße einbogen, die uns in Schlangenlinien durch Wiesen und Felder zum nächsten Highway führen würde.

„Hast du was vergessen. Soll ich umdrehen?"

Ich setzte den Blinker und fuhr an die Seite der Fahrbahn.

„Dreh bloß nicht um. Ich bin meiner Mum geradeso entkommen. Aber stell schnell mal den Motor ab."

Wir hatten keine Eile, aber auch nicht so viel Zeit, dass wir uns zu viele Pausen leisten konnten. Immerhin musste ich vor Ashley zu Hause ankommen. Ich hatte Dani bereits gestern Abend am Telefon alle Neuigkeiten erzählt. Für ein weiteres, emotionales Gespräch über meine Gefühle hatte ich im Moment nicht die Nerven. Dani erkannte es an meinem genervte Blick und grinste.

„Keine Sorge. Ich will dich nicht nochmal wegen Heaven grillen. Ich glaub, du sprichst jetzt erstmal mit Ashley. Und wir können das Thema auf der Autofahrt auch gerne ganz lassen. Je nachdem nach was dir ist. Aber..."

Sie streckte mir die Handfläche hin.

„Du gibst mir jetzt deine Autoschlüssel. Ich fahr uns nach Hause. In deinem Zustand möchte ich dich nicht hinter dem Steuer haben."

Ich starrte sie wortlos an, die Finger so fest um den Autoschlüssel gekrallt, dass seine Kanten mir in die Handfläche stachen.

„Ja guck mich nicht so an. Hast du heute schon Mal in den Spiegel geguckt. Du schaust aus, als wärst du seit 3 Tagen wach und zwischendurch hätte dich jemand verprügelt. Bei aller Liebe, mein Schatz, aber ich häng an meinem Leben."

Natürlich sah ich furchtbar aus. Mir war übel und ich hatte Kopfschmerzen. Hätte ich die Wahl gehabt, würde ich jetzt in meinem Zimmer liegen und an die Decke starren, um mich wunderbar leer und unglücklich zu fühlen. Denn Heaven ließ sich nicht aus meinem Kopf verdrängen. Seit Stunden starrten ihre traurigen Augen aus dem Dunkel und ließen mich nicht zur Ruhe kommen.

„Ich könnte nur die erste Stunde fahren.", murmelte ich. Das Autofahren sollte schließlich helfen mich von dem ganzen Gefühlschaos abzulenken.

Dani hob einen schweren Beutel hoch, den sie neben ihre Handtasche in den Fußraum gelegt hatte.

„Schau! Da drin ist meine Switch mit allen Spielen, die ich habe. Ein Heft zum Ausmalen und Buntstifte. Außerdem hat meine Mama mich noch mit allen möglichen Gummibärchen, Keksen und Chips versorgt. Die sind auch da drin. Du kannst dir auch noch dein Zeichentablett oder den Laptop aus dem Koffer holen. Damit bringst du die Zeit schon rum. Und ich bring dich sicher nach Hause. In Ordnung?"

Mir fehlte die Kraft mit ihr zu Streiten. Vor allem weil Dani recht hatte. Meine beste Freundin schloss ihre Finger um meine verkrampfte Hand und zog sie zu sich. Sie strich sanft über meine Faust und ich ließ den Schlüssel in ihre Hand fallen. Dann tauschten wir Plätze.

Ich rollte mich auf der Beifahrerseite zusammen und Dani spielte am Radiosender herum. Erst als ein Gute Laune Sommerhit aus den Boxen trällerte, warf sie den Motor an.

Bevor sie aus der Lücke herausfuhr, wuschelte sie mir durchs Haar.

„Das wird schon Poppy. Jetzt sprich erstmal mit Ashley. Sie wird dir nicht den Kopf abreißen. Du weißt doch wie Ashley ist. Ihr findet schon eine Lösung."

Mit dem Versuch mich aufzumuntern, trampelte Dani direkt auf meinem schlechten Gewissen herum. Denn kein einziger Gedanke im meinem Kopf galt Ashley. Natürlich würde ich mit Ashley eine Lösung finden. Ashley funktionierte nicht ohne Lösungen. Ich würde sie treffen, mich Entschuldigen, sie anbetteln mir zu verzeihen. Und über die nächsten Monate alles wiedergutmachen, was ich verbrochen hatte.

Aber für Heaven konnte ich nichts tun. Sie war fortgelaufen. Die Verbindung zwischen uns verschwunden.

Wir ließen die letzten Häuser hinter uns. Der blaue Himmel hing über satten, grünen Wiesen. Ein einzelner Baum streckte seine Äste weit und präsentierte stolz seine mächtige Baumkrone. Es war eine Eiche und immer mein letzter Abschiedsgruß von New Brighton. Bei meinem nächsten Besuch hier würden die letzten Blätter des Baumes von dürren Ästen auf das Gras regnen und die Wiese im Nebel versinken. Ein tristes Bild, das viel besser zum heutigen Tag passte. Auch in mir waberte der graue Nebel und Wind fegte verdorrte Blätter fort.

Meine Tränen steckten hinter brennenden Augen fest. Ich hatte es nicht verdient mein Unglück zu beweinen. Denn ich hatte genau bekommen was ich wollte.

Mit einem leisen Seufzen zog ich die Beine näher an den Körper. Eine kleine Kugel Traurigkeit.

Müdigkeit überwältigte meine Sinne. Alles klang hohl und weit entfernt, als steckte ich in einem Wattebausch fest. Ich schloss die Augen und hoffte diesmal nicht Heaven vor mir zu sehen. Das sanfte Brummen des Motors wiegte mich sanft in den Schlaf, wie eine Mutter ihr Baby. Das Radio hallte dumpf.

Eine Hand in meiner, schwitzig, warm und so vertraut. Ein Lachen, das wie Klaviertasten auf meinem Herz herumspielte. Sie erzählte und ihre Augen strahlten. Ich hing an ihren Lippen. Ihre Lippen hingen an mir, an meiner Stirn, meiner Wange und strichen über meinen ganzen Körper.

Wir neckten uns, wir brachten uns zum Lachen, wir spielten Spiele, wir lächelten uns an. Wir schwiegen und redeten. Und wir gingen auseinander, wie damals, mit gebrochenen Herzen.

Wieder ließ ich alles in New Brighton zurück und drängte alles Unerwünschte, nicht kontrollierbare nach unten. Immer wieder. Bis es nicht mehr kämpfte, endlich nachgab und sich hinter meterdicken Mauern verstauen ließ.



Ich erwachte, Schweiß gebadet. In meinem Kopf drehte sich alles und meine Kehle brannte vor Trockenheit. Der Wachzustand ohrfeigte mich zurück in die miese Realität. Davor hatte ich wundervoll geträumt.

„Hey. Willkommen zurück, Schnarchnase. Hast du gut geschlafen?"

Obwohl ich die Worte gehört hatte, sickerte der Inhalt nur langsam in mein Bewusstsein. Ich blinzelte Dani verschlafen an. Sie verschwamm vor meinen Blick und ich rieb mir die Augen. Vor dem Autofenster zogen hohe Mehrfamilienhäuser vorbei, dicht an dicht, wie für Städte üblich.

„Wir sind quasi da. Ist es in Ordnung, wenn ich dich zu Hause abliefer und dir das Auto morgen früh wiederbringe. Ich glaub nicht, dass du heut noch fahren solltest."

Diesmal verstand ich meine beste Freundin und nickte. Tatsächlich traute ich es mir auch nicht zu ein Fahrzeug zu steuern, während Kopfschmerzen gegen meine Schläfen hämmerten, als wollte sie meinen Schädel zertrümmern.

Nach kurzer Zeit hielten wir und Dani half mir mein Gepäck nach oben zu tragen. Sie bot mir an zu bleiben, doch ich bat sie zu gehen. Ich war zu erschöpft für weitere Gespräche. Also drückten wir uns und sie entließ mich mit den besten Glückwünschen.

Es würde schon alles werden. Aber was sollte überhaupt noch werden? Was von dem das ich ruiniert hatte, konnte ich überhaupt noch fixen?

Ich saß auf dem Sofa und schaute aus dem Fenster. Licht und Schatten wanderte über die Wände, den Fernseher, das Bücherregal, hinter dem sich mein Arbeitsbereich versteckte und die Topfpflanzen und Muscheln auf dem Fensterbrett. Der feine Streifen Himmel, den ich von unserem Fenster aus erblicken konnte, verlor immer mehr des satten Blaus. Bis sich dunkel hineinmischte und rötliche Wolken über das Dach des Nachbarhauses hinwegzogen.

Ich spielte ein Handyspiel, kritzelte auf meinen Zeichentablett herum, schaltete den Fernseher an und wieder aus, und ging in die Küche, um Essen zu machen. Nach einem Blick in die gähnende Leere im Kühlschrank gab ich das Vorhaben auf.

Dann starrte ich nur gerade aus. Jedes Gefühl wie ausgeschalten, doch der Kopf voller Gedanken, voller Schuld. Ich hätte so vieles besser machen müssen.

Endlich erlöste mich das Knirschen des Schlüssels an der Haustür. Ashley kam nach Hause und ich konnte damit beginnen, mein Leben wieder in Ordnung zu bringen.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt