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Der Kuss dauerte eine Ewigkeit. Lang genug, dass Frieda seufzte, ihre Hände in Heavens Haar wühlte und ihren Hexen Hut zu Boden stieß. Und lange genug, dass ich die Nachricht verstand.

Heaven wollte mich nicht mehr. Oder sie wollte mich Eifersüchtig machen. Obwohl ich ihr sowieso schon, wie ein verliebter Trottel hinterherlief. Ganz egal aus welchen Gründe sie diese Show aufführte. Ich würde ihr nicht dabei zusehen.

Als ich mich hastig zur Seite wandte, um das Zimmer fluchtartig zu verlassen, stieß ich gegen die Becher am Fensterbrett. Eine Lawine rauschte zu Boden. Die Becher klapperten, rollte herum und stießen gegen die Beine des niedrigen Tisches. Alle Köpfe im Raum fuhren zu mir herum.

Heaven gab Frieda frei. Jetzt dachte sie sicher, ich hatte absichtlich Krach gemacht. Die Situation überforderte mich. Ich schwankte zwischen meiner Pflicht das Chaos zu beseitigen, mich zu entschuldigen, aber wollte immer noch weglaufen.

Wie bescheuert schickte ich eine hilfesuchenden Blick an Heaven. Die einzige Person im Raum, die mir sicher nicht helfen würde. Mit ihren rotgeschwollenen Lippen starrte sie weggetreten zurück. Währenddessen spielte Frieda in ihrem Haar herum. Ihre dunklen Augen liebesblind vernebelt.

„Hey. Alles gut mit dir?", überraschte mich ein besorgter Ausruf.

Eine junge Frau stand von demselben Sofa auf, von dem Frieda aufgesprungen waren. Durch das lange, silbern gefärbte Haar, zogen sich blaue Strähnen. Der Aufdruck auf ihrer Kleidung formte ein Skelett. Ein genauso hippes Mädchen wie Frieda. Die beiden waren sicherlich befreundet.

„Ja. Sorry, für den Krach. Ich bin ans Fensterbrett gestoßen."

Die Unbekannte kam zu mir und hob auf ihrem Weg zwei der Becher auf.

„Die stehen da auch echt blöd."

Sie lächelte und stellte die Becher auf einem kleinen Stehtisch ab. Da standen sie auch nicht wirklich besser.

„Vielleicht stand ich da auch blöd.", murmelte ich und das Mädchen kicherte.

Über ihrer Schulter hinweg sah ich, wie sich nach und nach alle im Raum wieder ihrem eigenen Kram zuwandten. Außer Heaven. Sie starrte immer noch zu mir, obwohl Frieda versuchte mit ihr zu sprechen.

„So viel ist auch gar nicht runtergefallen. Ich glaub ehrlich gesagt, dass es ziemlich egal ist, ob der Müllhaufen auf dem Fensterbrett, oder auf dem Boden liegt."

Nach ihren netten Worten streckte die Frau die Hand aus.

„Ich bin übrigens Mia."

„Hallo. Poppy.", stellte ich mich vor und schlug in ihre Hand ein. Ihre vielen Ringe drückten hart in meine Haut.

Irgendwie lief der Abend ganz anders als geplant.

„Darf ich fragen, woher du kommst? Ich war nämlich schon oft auf Caseys Partys, aber dich seh ich zum ersten Mal."

Sie hielt mich immer noch fest. Ihr Daumen strich über meinen Handrücken und ich löste die Verbindung.

„Ich wohn in Seattle. Ich bin..."

...nur zufällig hier, hatte ich sagen wollen. Aber Heaven hörte mir zu und sie sollte keinen falschen Eindruck bekommen. Ich war nur wegen ihr hier, aber das konnte ich einer Fremden wohl kaum auf die Nase binden.

„Du bist?", fragte Mia nach.

„Ein Pirat."

Mein Hirn hatte auf die schnelle nichts Besseres ausgespuckt.

Mia lachte. Ein sehr lautes und fröhliches Lachen.

Heaven stürzte davon, ohne Hut und Besen. Dabei schlug sie Friedas Hand zur Seite, die versuchte nach ihr zu greifen.

„Ah. Hey. Dein Zeug.", rief Frieda. Sie hob den Hexen Hut vom Boden auf und hielt ihn nach oben, als könnte sie Heaven damit zur Umkehr bewegen. Das Mädchen machte alles genauso falsch wie ich. Es brachte nichts zu hoffen, dass Heaven umkehrte. Um sie einzufangen, musste man ihr nachlaufen.

„Sorry. Muss weg.", klatschte ich Mia hin und rannte Heaven hinterher.

„Auch schön deine Bekanntschaft zu machen.", brüllte mir Mia nach.

Manchmal gab es wichtigeres als Höflichkeit.

Im nächsten Raum, einer erstaunlich modernen Küche, führte eine Terrassentür nach draußen. Als ich ins Zimmer platzte, verschwand Heaven bereits im Garten. Ich hechtete ihr nach und stolperte beinah auf der Türschwelle. Heavens Schritte knirschten auf dem Kiesweg.

„Hey. Jetzt bleib doch mal stehen.", rief ich.

Meine Worte ließen sie nur schneller rennen.

„Komm. Das ist doch kindisch. Lass uns reden."

Heaven wandte sich nur für einen Augenblick um.

„Wer ist hier kindisch? Du läufst mir doch die ganze Zeit hinterher, wie so ein widerlicher Stalker.", zischte sie.

„Ja. Weil ich mir dir reden möchte."

Der Weg formte eine Kurve, aber Heaven lief geradeaus weiter über die Wiese.

„Ich muss aber nicht mit dir reden."

„Ja. Ist gut. Du musst nicht mit mir reden. Aber vielleicht kannst du mir nur zuhören."

Heaven sagte nichts mehr. Sie drosch einen Ast aus ihrem Weg und ich wich hastig aus, damit er mir nicht ins Gesicht klatschte.

„Es tut mir leid. Ok. So unheimlich leid. Ich hab mich benommen wie das letzte Arschloch."

Das Stück Wiese endete und vor uns schossen riesige Tannen in die Höhe. Wie dunkle Riesen ragten sie in einen wolkenverhangenen Nachthimmel.

„Ich hätte das mit Ashley viel klarer machen müssen. Und hätte von vornherein nicht mit dir flirten dürfen. Ich hab dir falsche Hoffnungen gemacht. Aber ich bin jetzt auf jeden Fall von Ashley getrennt. Diesmal mach ich keinen Mist."

Heaven stampfte weiter und tauchte in den Schatten der Bäume. Blätter raschelten unter unseren Schuhen.

„Und nebenbei war meine Art dir mitzuteilen, dass ich dich nicht mehr sehen will, absolut widerlich. Mit dir zu schlafen und dann sowas. Das ist wirklich..."

Mir fehlten die Worte, um auszudrücken, wie sehr mich mein eigenes Verhalten entsetzte.

Heaven stoppte. Ich rannte fast in sie hinein.

„...so unendlich grausam.", beendete sie meinen Satz.

„Das ist irgendwie noch freundlich ausgedrückt."

Sie trat einen weiteren Schritt nach vorne und drehte sich zu mir. Ihr Gesicht verschwand im Dunkeln.

„So hat es sich angefühlt.", wisperte sie.

„Es tut mir wirklich so leid. Heaven. Du warst diesmal nur nett zu mir und ich mach sowas."

Jetzt redeten wir endlich und ich hatte keine Ahnung was ich sagen sollte, außer mich immer wieder zu entschuldigen. In der Hoffnung, sie würde mir glauben.

„Ja. Stimmt. Ich war diesmal nett zu dir. Nicht wahr? Aber es hat keinen Unterschied gemacht. Es tut immer so unheimlich weh, wenn du mich nicht mehr sehen willst. Egal ob ich Schuld habe, oder nicht."

Ein leises Schniefen drang an mein Ohr. Schon wieder hatte ich sie zum Weinen gebracht.

„Ich hab es dir schon zweimal gesagt. Und zweimal mit voller Überzeugung. Obwohl ich es eigentlich gar nicht will. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann will ich dich jetzt, und wollte dich vor ein paar Monaten und vor zehn Jahren. Eigentlich schon immer, seitdem wir beide dreizehn waren. Und das ist die reine Wahrheit und sie macht mir mehr Angst als alles andere in meinem Leben."

Ein fieser Kloß in meinem Hals wuchs immer größer und ich krächzte die letzten paar Worte nur noch erstickt hervor. Ich hatte sie ihr endlich gesagt. Die Wahrheit, für die ich hergekommen war.

Jetzt konnte sie damit machen was sie wollte. Mir sogar einen Strick daraus drehen und mich am nächsten Baum aufhängen. Aber ich hatte alles gesagt, damit ich diesen Abend nicht für den Rest meines Lebens bereuen musste.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt