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Der Teppich war schnell gerettet. Dani druckste herum, während sie den dreckigen Lappen zusammenlegte. Wie automatisch und ohne hinzusehen. Ihre Hausfrauenqualitäten traten in Krisenzeiten besonders zum Vorschein.

„Also. Wir haben nicht mehr gesprochen seitdem. Nicht dass ich wirklich gewollt hätte. Aber er hat gesagt er ruft an und es kratzt an meinem Stolz, dass er sich nicht gerührt hat.", gab sie schließlich zu.

Wir hatten also das genau gegenteilige Problem. Wo ich zu viel bekam, bekam Dani zu wenig. Mein schlechtes Gewissen klopfte wieder an. Diesmal rügte es mich für die miese Lage meiner beste Freundin. Als ob ich daran Schuld trug.

„Und Jeremy ist halt so heiß. Blond, dunkle Augen und so gut gebaut. Und hat ne ganz tiefe Stimme. Ich hät das gern nochmal..."

Dani brach ab und grinste. Ich wünschte mir Aydin her. Damit sie mit ihm zusammen über Männer schwärmen konnte. Bei mir stieß sie bei der Beschreibung männlicher Reize auf nicht viel Liebe.

„Magst du dich denn bei ihm rühren?"

Meine Freundin schüttelte den Kopf. Sie nahm ihre Brille ab und rubbelte sie über ihre kurze weiße Pyjamahose, mit pinkem Herzchen Muster.

„Nah. Bringt mir eh nicht so viel. Du weißt ich mach keine Fernbeziehungen mehr."

Eine gute Idee. Ich hatte Danis letzte zwei Versuche, über Meilen hinweg zu lieben, glorreich scheitern sehen. Das Drama sparte ich mir zu gerne.

„Und wenn er nochmal anruft?"

Sie zog eine Augenbraue hoch und grinste noch breiter. Das war Antwort genug. Ich wollte heute eher nicht mehr über Sex reden. Stattdessen widmete ich mich den Salzbrezeln.

Dani legte ihre Hand auf meine. Ihr ernster Blick fing mich ein. Ich zerdrückte die Brezeln in meinen Fingern. Die Brösel regneten auf den Teppich, doch diesmal ignorierte meine Freundin die Sauerei.

„Magst du mir jetzt alles erzählen? Du bist doch nicht nur hergekommen, um mich über Jeremy auszuquetschen."

„Nein. Du hast auch erstklassige Snacks anzubieten."

Ich entlockte Dani ein müdes Lächeln. Sie drückte meine Hand fester. Als hätte sie einen Schalter gedrückt, brannte wieder Tränen in meinen Augen. Es würde schwer werden ihr alles zu erzählen, ohne sie in meinen Fluten zu ertränken. Ich wischte mir über die Augen, obwohl noch gar keine Tränen rauskamen. Vielleicht konnte ich sie mit meinen Händen aufhalten.

Mit einem lauten Seufzen zog ich die Beine an und die Kekspackung zu mir.

„Hast du Cola?"

„Poppy...", rügte Dani leise.

„Nein. Ich will nicht ablenken. Ich brauch nur mehr Zucker und dann erzähl ich dir alles. Ok?"

Außerdem hatte mich das Weinen vollkommen ausgetrocknet.

„Schon gut. Bin gleich wieder da."

Mit diesen Worten marschierte Dani davon und ich malte mir aus, wie ich unbemerkt flüchten konnte. Doch ich fand nicht die Motivation aufzustehen und loszurennen.



Die riesige Flasche Cola, mit der meine beste Freundin mich versorgte, und die ich mir am liebsten intravenös zugeführt hätte, warf meinen Gesprächsmotor an. So gestärkt brachte ich hinter mich, was getan werden musste. Ich erzählte ihr die Geschehnisse des Nachmittages, nüchtern wie ein Nachrichtensprecher und verschwieg die vielen, kleinen Details, die diese Erinnerungen so wertvoll machten. So schaffte ich es auch, nicht mehr zu weinen.

Diesmal war es angenehm, dass wir Aydin nicht zugeschalten hatten. Es ersparte mir unangenehme Nachfragen und Kommentare, die auf Heavens Vorzüge im Bett abzielten.

„Und dann bin ich raus aus dem Hotelzimmer, so schnell ich konnte. Und ja ich weiß, mein Abgang war widerlich. Ich mein wir hatten Sex und ich hab sie quasi direkt danach abserviert."

Mit dem Ende des Vortrages begann mein Herz zu schmerzen. Umso mehr ich Dani erzählte, desto klarer wurde mir, wie unglaublich freundlich Heaven zu mir gewesen war. Und ich hatte ihre diese Freundlichkeit direkt zurück ins Gesicht gespuckt. Am liebsten hätte ich ihr sofort geschrieben, um mich zu entschuldigen, mich ihr zu erklären, um Vergebung zu betteln. Dann schwebte Ashley in meinen Gedanken, das Gesicht düster vor Trauer. Wie konnte ich rechtfertigen Heaven fair zu behandeln, während ich Ashley so grausam hinterging?

„Du hast sie überhaupt nicht abserviert. Ihr habt sogar euer nächstes Date ausgemacht. Das ist genau das Gegenteil."

Über das nächste Treffen hatte ich noch nicht weiter nachgedacht. Es schien so weit entfernt. So unglaublich, dass überhaupt die Möglichkeit bestand sich wiederzusehen. Mein ganzes Leben hing in Schieflage, jedes Versprechen schien darin aus den Fugen geraten und einfach herausgefallen zu sein.

„Ich weiß nicht. Sie hat mir den Termin ja irgendwie aufgezwungen. Ich weiß nicht, ob ich das machen soll."

Dani raschelte mit der Alufolie, während sie die Schokolade weiter auspackte. Sie schob sie zu mir und ich brach mir dankbar eine Reihe ab.

„Ok. Was weißt du?"

Das Gesicht von Heaven tauchte vor meinem inneren Auge auf. Ihr charmantes Lächeln. Die grünen Augen, die hinter ihren Wimpern glühten. Ich verdrängte das Bild und ein anderes tauchte auf. Ashley. Ihr wildes Haar flatterte im Wind. Die Haut strahlte sonnengeküsst. Ihr Anblick schenkte mir so viel Frieden.

„Das ich Ashley liebe."

„Aber dann ist doch alles klar. Oder? Was solltest du tun, wenn du dir so sicher bist, dass du Ashley liebst."

Dani stellte diese Frage, als wäre sie so einfach zu beantworten. Vielleicht sollten sie es sein, aber ich fiel noch über Stolpersteine.

„Ich sollte sie anrufen und ihr alles beichten?"

Meine beste Freundin drückte mit den Fingern auf der Packung der Salzbrezeln herum. Das Plastik knirschte und die Brezeln knacksten, während sie zerbrachen. Scheinbar brauchte ich ihr zu lang, um alles so klar zu sehen, wie sie es tat.

„Du musst Ashley ganz sicher anrufen. Aber was sollte dann noch klar sein?"

Ich wusste sofort was sie meinte. Immerhin hatten wir schon darüber gesprochen. Und ich trug das Wissen mit mir herum, seitdem sich Heaven auf dem Klassentreffen zu mir gesetzt hatte. Aber ich zögerte die Wahrheit auszusprechen, weil ich sie inzwischen nicht mehr hören wollte.

„Ich darf Heaven auf keinen Fall wieder treffen."

Dani seufzte erleichtert. Der Kandidat hat hundert Punkte.

„Ja logisch. Piepmatz. Oder? So viel zu eurem Date."

„Aber..."

Der Widerspruch rutschte einfach so heraus, als hätte ich keine andere Wahl.

„Aber was? Du liebst Ashley. Oder?"

Meine beste Freundin klang verärgert. Natürlich, sie stand schließlich auf Ashleys Seite.

Ich stützte den Kopf auf die Knie und schaute zu Boden. Der Teppich sah so weich und wuschelig aus. Genauso fühlte er sich auch unter meiner Hand an.

Dani legte den Finger unter mein Kinn und drückte meinen Kopf nach oben. Sie musterte mich mit besorgtem Blick.

„Poppy. Was fühlst du für Heaven?"

Alles in mir erstarrte. Was sollte ich darauf antworten?

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt