Chapter 11

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„Bereit?", fragte Jago mich. Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein!" Doch dann schluckte ich, holte tief Luft und machte einen Schritt nach vorne.   

Nie hätte ich geglaubt, dass ich mal freiwillig das Haus von unbekannten Menschen betreten würde. Und nie habe ich geglaubt, dass ich mal im Gartenpavillon von Jago's, anscheinend netter, Familie zu schlafen, und am nächsten Morgen von ihm geweckt zu werden. 

Jago war größer geworden, seine Haare waren immer noch so tiefschwarz wie vor drei Jahren und seine grünen von dem selben intensiven Grün. Da fiel mir ein, dass er mittlerweile 19 war. Manno man, die Zeit kann so langsam und gleichzeitig so schnell vergehen. 

Da riss mich eine Frauenstimme aus den Gedanken. Sie klang überrascht, aber nicht zurückweisend. „Hui... ich hätte nicht damit gerechnet, am Sonntag morgen plötzlich einem weiteren Mutanten gegenüber zu stehen. Wer bist du denn?"

Da ich dem Frieden nicht zu hundert Prozent traute, begnügte ich mich mit einem knappen „Alaska.". Jago kam mir glücklicherweise zur Hilfe. „Sie ist von ihren... Besitzern... weggerannt und lebt mehr oder weniger auf der Straße?!"

Die Frau, die anscheinend diese Fiona war, von der Jago vorhin gesprochen hatte, bemerkte die unausgesprochene Frage sehr wohl. Sie lächelte nachdenklich. „Ich bespreche das nachher mit Marcus. Aber solange das nicht geklärt ist, kannst du auf jeden Fall hier blieben... vorausgesetzt, du zerlegst mir nicht die Bude!"

Ein kleines Grinsen huschte mir übers Gesicht. Jago hatte recht gehabt: Fiona war wirklich ziemlich nett! Und Jago vertraute ihr, deshalb tat ich es auch, denn er würde mich niemals in Gefahr bringen!

Eine Viertelstunde später saß ich neben Jago auf einem der Barhocker in der hypermodernen, riesigen Wohnküche. In der Hand hatte ich ein Wassereis, dem Jago nur einen skeptischen Blick zugeworfen hatte, bevor er sich über sein, noch heißes, Spiegelei hergemacht hatte. 

Als ich mir das nächste Eis aus dem Kühlschrank nahm, zog er eine Augenbraue hoch. „Aisy, bist du dir sicher das du nicht kotzten musst? Das ist immerhin das siebte Eis das du dir nimmst!"

Ich spiegelte seine Geste, in dem ich ebenfalls eine Augenbraue hoch zog. „Wie kommst du auf Aisy? Schneewittchen war ja schon irritierend, aber ähm..."

Er zuckte mit den Schultern. „Ich brauchte etwas kurzes, das sich so handlich wie Eis anhört, aber noch Ähnlichkeiten mit Alaska hat und auf Y, endet, denn das tun die meisten Spitznamen. Du wirst dich dran gewöhnen müssen, Fiona gib alles und jedem einen Spitznamen!"

Ich grinste ihn provozierend an. „Ach ja, was ist denn deiner?"

Jago wurde leicht rot und biss sich auf die Lippe. Er schien wohl zu bereuen, dass er das mit den Spitznamen gesagt hatte. Doch er kannte mich wohl noch gut genug, um zu wissen, dass ich nicht locker lassen würde. 

„Bitte lach mich nicht aus!"

„Ich doch nicht!"

„Okay... zum einen gibt es da Fire oder Bobby. Auf Bobby ist sie gekommen, weil Marcus mich einmal so aus Spaß Fireboy genannt hat, aus Fireboy wurde, Firebob, dann nur noch Bob und dann wieder die Sache mit dem Y. Zum anderen sind da noch Scary und Durchgedrehter Sonderling...", er verzog kurz das Gesicht, „...aber ihr aktueller ist Feo. So hieß nämlich eine der beiden Katzen. Feo war schwarz und Fea war weiß! Die beiden sind allerdings kurz vor meine Ankunft gestorben und-" Er brach ab und starrte mich an. Dann begann er zu grinsen. „Ich glaube, du wirst ihre nächste Fea sein. Ich meine, schau mich an, und dann dich!"

Ich stöhnte auf. Doch dann lachte ich. Jago fiel mit ein und wir machten so einen Lärm, dass Fiona runter kam und uns ermahnte, leiser zu sein. 

                                                                                            ***

Inzwischen lebte ich schon drei Wochen bei Fiona und Marcus. Am Anfang war ich etwas skeptisch gewesen, doch ich hatte mich bei ihnen auf den ersten Schlag wohl gefühlt. Ich hatte das letzte freie Zimmer neben dem von Jago im dritten Stock bekommen und mir sogar Möbel und Wandfarben aussuchen dürfen. Das Zimmer war in weiß, grau und hellen blau Tönen gehalten und zu meiner Erleichterung hatten mir die beiden eine Klimaanlage einbauen lassen, die sogar Minusgrade erreichen konnte. 

Jago's Zimmer war das komplette Gegenteil von meinem: Es war in weiß und dunklen grün Tönen gehalten und seine Heizung konnte bis zu 50 Grad aufheizen. 

Ich mied es, sein Zimmer zu betreten, so wie er es mied, in meines zukommen. Fiona und Marcus kamen sowieso nie in den dritten Stock, sie sagten, es sei unser Privatbereich. Das fand ich extrem großzügig von ihnen. Außer unseren beiden Zimmern, die durch ein geräumiges Badezimmer miteinander verbunden waren, gab es noch einen größeren Raum der sowohl Kälte- als auch Hitzebeständig war, sodass wir uns darin austoben konnten, wenn wir einen Wutanfall bekamen oder einfach mal so Dampf ablassen wollten. 

Die beiden hatten sich ziemlich erschrocken, als ich das erste mal ausgerastet war, weil im Fernsehen gezeigt worden war, wie ein Mutant hingerichtet wurde, da er einen Menschen angegriffen hatte. Er war vielleicht 15 Jahre alt gewesen. Aber Mutanten hatten keine Chance. Sie durften sich nicht verteidigen. Für sie gab es keine Hoffnung.

Bei dem Wort Hoffnung musste ich an Hope denken. Ich hatte die Kleine zwei mal gesehen, als sie den Müll rausgebracht und das Unkraut auf der Auffahrt gerupft hatte. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, ihre Nummer kam mir bekannt vor, aber ich konnte mich nicht erinnern. 

Es war zum verrückt werden!

Auch Jago und ich halfen im Haushalt mit, mal kochte einer von uns, mal staubsaugte er. Aber es waren Aufgaben, die normale Menschenkinder auch erledigten. Und wir waren es Fiona und Marcus schuldig, immerhin behandelten sie uns ziemlich gut!

Manchmal öffneten sie auch ein paar Fenster und brüllten uns dann an, einfach, um das Image zu bewahren, dass die Mutanten auch in diesem Haus wie Müll behandelt wurden. Ich bekam zwar jedes mal einen Lachanfall, aber ich war ihnen trotzdem dankbar, denn wenn die Regierung oder Kepler22 erfuhr dass wir gut behandelt wurden, würde das nicht nur für uns schwerwiegende Folgen haben. Fiona und Marcus konnten dafür sogar für bis zu zehn Jahre Gefängnis verurteilt werden. 

Gedankenverloren ging ich zum Kühlschrank und nahm mir ein Wassereis. 

„Och Schneeflöckchen...", Fiona schaute von ihrer Zeitung auf, „das ist die Dritte Packung mit je 15 Wassereis-Teilen in vier Tagen!"

Ich sah sie entschuldigend an. „Es ist nun mal noch nicht kalt. Ich hatte ja gehofft, dass der Herbst sich nicht so viel zeit lassen würde, aber anscheinend hat er noch keine Lust!"

Mit diesen Worten ging ich rüber zu der kleinen Kühlkammer und machte es mir drinnen gemütlich. Jago hatte es am Anfang ziemlich komisch gefunden, wenn er etwas hier raus holen wollte und ihm sein Essen tiefgefroren entgegen geflogen war, genau wie die anderen beiden auch, doch sie hatten sich dran gewöhnt. 

Manchmal war es doch ganz praktisch, wenn man bei netten reichen Schnöseln wohnen durfte!



Alaska︱✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt