Chapter 17

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Weder Jago noch ich hatten Fiona oder Marcus von diesem Gefühl erzählt. Wir wollten sie nicht beunruhigen, solange wir nicht genau wussten, ob wir es uns nicht einbildeten, denn mittlerweile war ich mir garnicht mehr so sicher, ob ich mich wirklich beobachtet gefühlt hatte, oder ich mir einfach nur in diese ganze Sache hineingesteigert hatte. 

Jago konnte es auch nicht mit Sicherheit sagen, da ihm noch eingefallen war, dass in diesem Moment die Nachbarn zurück gekommen waren. 

„Ich habe heute Nachmittag einen Termin in der Stadt...", geschäftig wuselte Fiona durch die Küche, während sie hier und da etwas verschob und ziemlich orientierungslos aussah. 

„Kann ich dir helfen?", fragte ich sie.

„Ach, das ist lieb von dir, aber ich denke, gerade nicht..." Sie fuhr mir durch die Haare und verschwand dann nach oben ins Bad, wo kurz darauf die Dusche anging. 

Ich seufzte und ließ mich auf das Sofa fallen. Gelangweilt zählte ich die Konfettipunkte auf den Bildern, die an der Wand hingen und zuckte erschrocken zusammen, als Marcus herein kam. 

„Ach hier bist du. Ich weiß nicht ob sie es dir schon erzählt hat, aber Fiona ist heute Nachmittag in der Stadt. Ich habe ebenfalls einen Geschäftlichen Termin, also seid ihr zwei allein Zuhause. Bitte fackelt mitnichten die Bude ab, ja?" 

„Das überlasse ich Jago.", gab ich nur zurück, ohne den Blick von den Punkten abzuwenden. Marcus lachte, dann verschwand er in den Flur, wo er in seinen Mantel und die Schuhe schlüpfte und kurz darauf die Tür ins Schloss zog. 

„Alaska?", rief Fiona von oben. „Ist mein Cardigan unten?"

Ich schaute mich um und schrie dann zurück: „Nee, den hast du doch gestern in die Wäsche geschmissen!"

Ich hörte sie oben fluchen, doch ein paar Minuten später stand sie fertig angezogen und zurechtgemacht in der Tür zum Wohnzimmer. 

„Wie sieht das aus? Meinst du, so kann ich mich vor allen meinen Mitarbeitern und der Presse sehen lasen?" Zweifelnd hob sie eine Augenbraue.

Ich betrachtete sie kritisch von oben nach unten und nickte dann bestätigend. Den schwarzen Rock mit den silbernen Reisverschlüssen an den Seiten, hatte sie mit einer eleganten weißen Bluse und einem ebenfalls schwarzen Blazer kombiniert. Über der dünnen Strumpfhose trug sie, wer hätte das gedacht, schwarze Balarinas mit einer eher flachen Sohle, die mit zwei übereinander gekreuzten Riemen über den Knöcheln gehalten wurden. 

Ihre goldbraunen Haare hatte sie zu einem lockeren, aber ordentlichen Dutt hochgesteckt und vorne ein paar Strähnchen herausgezogen, die ihr schmales Gesicht umrahmten. Ihre Lippen hatte sie mit ein wenig Lippenstift betont und ihre Wimpern mit Wimperntusche getuscht, was ihre bernsteinfarbenen Augen besonders gut zur Geltung brachte. Die funkelten Ohrringe waren das Sahnehäubchen ihrer Outfits. 

„Fea...?"

„Das sieht nicht gut aus!" Ich stand auf und musste mich sehr zusammen reißen, um bei Fionas enttäuscht verzweifeltem Blick nicht meine strenge Maske zu verlieren. 

„Nein?", fragte sie leise seufzend. 

„Nein, nicht gut! Perfekt!" Ich sprang auf und umarmte sie. „Man Fiona, du siehst toll aus! Ich glaube, ich muss mitkommen, um sicherzustellen, das du Marcus nicht untreu wirst!"

Sie erwiederte meine Umarmung überrascht, dann lachte sie perlig. „Ach Aisy, ich bin so froh dass ich dich habe!" Liebevoll strich sie mit über den Rücken und ich musste schlucken. „Ich bin auch froh, dich zu haben...", erwiderte ich dann. 

Oh man, Alaska, werd jetzt bloß nicht sentimental!

Ich machte einen Schritt zurück und schaue sie dann mit großen Augen lieb lächelnd an.

„Ich kenne diesen Blick..." Fiona hob einen Finger. „But I don't need a puppy-face!"

„Och menno..." Ich drehte mich gespielt schmollend ein Stück zur Seite. Fiona lachte erneut. Dann seufzte sie. „Ich muss jetzt los, sonst lande ich gleich im Stau! Fackelt mir bitte nicht die Bude ab."

„Wie schon gesagt: Das überlasse ich Jago." Wieselflink sprang ich die Treppe hoch und klopfte an Jago's Zimmertür. 

„Was?", grummelte er, während er die Kopfhörer von den Ohren nahm, jedoch keine Anstalten machte aufzustehen.

„Kommst du mit nach draußen?"

Er warf mir einen entsetzten Blick zu. Draußen lag immer noch eine dicke Schneeschicht, doch das Thermometer zeigte gerade mal -2 Grad an. Leider kannte ich Jago gut genug um zu wissen, dass er keinen Schritt über die Schwelle der Terassentür machen würde, weshalb ich es bei einem Seufzen und einem „Gammelsocke!" beließ. 

„Gammelsocke?"

„Jaha..."

„Gibt es dieses Wort überhaupt?"

„Keine Ahnung."

„Keine Ahnung?"

„Wieso wiederholst du alles was ich sage?"

„Wieso ich alles wiederhole was du sagst?"

„Kann es sein, das deine Sprachlichen Fähigkeiten ein wenig unter dem Nullpunkt liegen?" Ich legte den Kopf schief. Er grummelte etwas unverständliches und ich ging rüber in mein Zimmer wo ich den Fernseher anschaltete und es mir auf meinem Bett bequem machte. Doch als ich sah, worüber gerade berichtet wurde, fuhr ich kerzengerade in die Höhe. 

Moderator: „Die Mutanten mit den Nummern Zweihundertdrei (203),  Vierhundertdreiundzwanzig (423), vierundvierzig (44) und einhundertundeinunddreißig 131) versuchen, sich auf dem Alexanderplatz in Berlin, Deutschland, Gehör zu verschaffen. Noch ist es nicht zu einem Kampf gekommen, doch hoffentlich wird die Polizei bald eintreffen, um die Zivilisten von ihrer Bedrohung zu befreien. 

Ich schnaubte. Diese Mutanten redeten. Sie redeten doch nur. Wieso konnte man sie nicht einfach in Ruhe lassen? Wieso sah man uns immer und überall als Bedrohung an? Ganz einfach: Weil Kepler22 und die Regierung uns als Monster darstellten. Sie berichteten nur über den Schrecken, den wir verbreiteten, über die Zerstörung, und das Leid, das wir verursachten. War den Menschen denn garnicht klar, dass wir einmal genau wie sie gewesen waren? Das sie ihre eigenen Kinder ermordeten?

Ich spürte die altbekannte Wut in mir auflodern. Wut auf die Wissenschaftler, Wut auf die Ärtzte, Wut auf die Regierung und Wut auf die Menschen. Wir wollten nur ein Leben, in dem wir nicht unterdrückt wurden, in dem wir nicht ständig gejagt wurden, in dem wir frei waren. Wir wollten nur ein Leben, in dem wir akzeptiert wurden. Akzeptiert als das, was wir waren. Mutanten. Genveränderte Menschen. Kinder und Jugendliche. 

Neben meiner Wut spürte ich jedoch auch etwas Neues. Verzweiflung. Ja, ich war wirklich am Verzweifeln. Es war unmöglich, das wir jemals akzeptiert wurden. Das die Youngs und so gut behandelten, war einfach eine Riesen große und sehr sehr riskante Ausnahme. Es gab genug Mutanten, denen es hundsmiserabel ging. Die kleine Hope war dafür das perfekte Beispiel. Ihre Leuten war es egal, das sie noch ein Kind war. Er war ihnen egal, wie sehr sie litt. Es war ihnen egal, weil sie nur schreckliches über uns zu sehen bekamen. Diese Bilder verhinderten, dass sie uns aus einem anderen Blickwinkel betrachteten. 

Alaska︱✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt